Umfrage zur Kampfbereitschaft der Deutschen - Lob der postheroischen Gesellschaft

Nur elf Prozent der Deutschen sind bereit, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. Manche werden das als Degeneration abtun. Das ist ein Fehler. Das eigene Leben als höchsten Wert zu erkennen, ist das Ergebnis von Säkularisierung und Aufklärung.

Kriegerdenkmal in Worms / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Noch vor wenigen Monaten schien klar: Wir leben in einer postheroischen Gesellschaft. Die Wehrpflicht war abgeschafft. Die Bundeswehr wurde kontinuierlich kaputtgespart. Und Waffen galten ganz generell als politisch ziemlich unkorrekte Relikte archaischer Zeiten. Aus und vorbei. Die Zeitenwende wurde ausgerufen. Die Bundeswehr wird mit Milliarden überschüttet. Und „Panzer-Toni“ Hofreiter will Frieden schaffen mit immer mehr Waffen.

Wer angesichts dieses Klimawandels das Ende der postheroischen Gesellschaft verkündet, den muss man allerdings enttäuschen. Das zeigt unter anderem eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov. Im Falle eines Angriffs auf Deutschland, vergleichbar mit dem auf die Ukraine im Februar 2022, würden sich, so das Ergebnis, lediglich elf Prozent der Befragten freiwillig zum Kriegsdienst melden oder anderweitig helfen. Jeder dritte (33 Prozent) würde versuchen, sein gewohntes Leben weiter zu leben. Und jeder vierte (24 Prozent) würde das Land so schnell wie möglich verlassen. 18 Prozent machten keine Angaben.

Diese Zahlen sind deutlich genug, wenngleich nicht wirklich überraschend. Bemerkenswert sind jedoch einige Details. So zeigten sich Wähler der Grünen stärker geneigt, sich bei dem genannten Szenario freiwillig für den Dienst an der Waffe zu melden als Anhänger anderer Parteien. Der Wandel der Parteiführung vom Pazifismus zur Verteidigung ihrer Werte mit der Waffe wird also von Teilen der Sympathisanten der Partei mitgetragen.

Grüne sind wehrwilliger als alle anderen

Die von YouGov erhoben Daten decken sich mit ähnlich gelagerten Umfragen der letzten Jahre. 2015 etwa zeigten sich in einer Gallup-Befragung nur 18 Prozent der Deutschen bereit, für ihr Land zu kämpfen. In anderen europäischen Ländern sah es ähnlich aus: Spanien (21), Österreich (21), Italien (20), Belgien (19), Niederlande (15 Prozent).

In der berüchtigten, weil sehr nationalistischen Fassung der „Stahlgewitter“ von 1924 schreibt Ernst Jünger:

„Wir können heute nicht mehr die Märtyrer verstehen, die sich in die Arena warfen, ekstatisch schon über alles Menschliche, über jede Anwandlung von Schmerz und Furcht hinaus. Der Glaube besitzt heute nicht mehr lebendige Kraft. Wenn man dereinst auch nicht mehr verstehen wird, wie ein Mann für sein Land das Leben geben konnte –  und diese Zeit wird kommen – dann ist es vorbei, dann ist die Idee des Vaterlandes tot und dann wird man uns vielleicht beneiden, wie wir jene Heiligen beneiden, um ihre innerliche und unwiderstehliche Kraft. Denn alle diese großen und feierlichen Ideen blühen aus einem Bewusstsein heraus, das im Blute liegt und das nicht zu erzwingen ist. Im kalten Licht des bloßen Verstandes wird alles der Nutzbarkeit unterworfen, verächtlich und fahl.“

Jünger hat diese eingeschobene Passage schon in der nächsten Auflage wieder entfernen lassen. Und der spätere Jünger konnte sich mit ihr ohnehin nicht identifizieren. Lässt man mal das Blutspathos beiseite, trifft Jünger aber einen wichtigen Punkt: In durchrationalisierten und säkularisierten Wohlstandsgesellschaften versteht keiner mehr, wie ein Mann oder eine Frau für ihr Land sterben können. Warum sollten sie? Es gibt nur ein Leben, und das bietet für einen Bürger der westlichen Welt viel zu viel, um es einfach wegzuwerfen. Man muss sehr wenig besitzen oder einen naiven Glauben an große Ideen haben, um das eigene Leben zu opfern.

Ergebnis einer umfassenden Säkularisierung

Die postheroische Gesellschaft, auch da hat Jünger recht, ist das Ergebnis einer umfassenden Säkularisierung. Gott ist tot. Und nicht nur Gott. Auch alle anderen Götter und Götzen sind gestorben: Volk, Vaterland, Nation, Republik, Demokratie, was auch immer. Der letzte Gott des zivilisierten Wohlstandbürgers ist sein eigenes Leben. Es gibt nichts Höheres. Und es ist ohnehin zu kurz, trotz Fitness und gesunder Ernährung. Warum sollte er dieses sorgsam gehütete und gepflegte Leben einfach hingeben? Es wäre vollständig irrational.
 

Mehr aus der „Grauzone“:


Es ist leicht, den geringen Wehrwillen als Zeichen einer degenerierten Gesellschaft abzutun. Aber solche Diagnosen sind lächerlich. Denn vor allem zeugt die nicht vorhandene Opferbereitschaft von einem hohen Maß aufgeklärten Denkens. Die Leute lassen sich nicht mehr ihr Hirn vernebeln. Sie haben gelernt, dass all das wohlfeile Gerede von den hohen Werten, egal ob von säkularen und klerikalen Priestern, reiner Aberglaube ist.

Es war Osama Bin Laden, der den Spruch prägte: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod.“ Und es stimmt. Nur unaufgeklärte Fundamentalisten werfen ihr Leben für eine Idee weg. Wer den Menschen etwas anderes einredet, möchte im Grunde Aufklärung und Säkularisierung rückgängig machen und neue Götter installieren. Dass das nicht funktioniert, wie die YouGov-Umfrage zeigt, ist ein Zeichen der Hoffnung.

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