FDP-Vize Wolfgang Kubicki - „Wir brauchen kein Demokratiefördergesetz, sondern eine demokratische Politik“

Wolfgang Kubicki sieht den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus von Bundesinnenministerin Faeser als einen Angriff auf die Meinungsfreiheit. Im Interview spricht er auch über das bedenkliche Demokratieverständnis der Grünen und warnt den Verfassungsschutzpräsidenten Haldenwang.

Wolfgang Kubicki / dpa
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Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Wolfgang Kubicki (MdB) ist Stellvertretender Bundesvorsitzender der Freien Demokraten und Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Herr Kubicki, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat in der vergangenen Woche anlässlich der Correctiv-Recherchen einen 13 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog gegen Rechtsextremismus vorgestellt. Wie bewerten Sie ihn?

Wir haben das erste Mal, solange ich denken kann, eine komplette Umkehrung der Unschuldsvermutung. Die bloße Annahme eines Mitarbeiters des Verfassungsschutzes könnte nach diesen Plänen bereits ausreichen, um einen Bürger als verdächtig zu bewerten. Das kann schon der Fall sein, wenn ihm eine Aussage der Person missfällt. Es ist bisher unzulässig, daraus unmittelbar staatliche Eingriffe abzuleiten. Doch der Maßnahmenkatalog von Nancy Faeser sieht dies im Kern vor. Wir müssen bei den harten Kriterien bleiben. Denn alles andere ist mehr demokratiegefährdend als demokratieschützend.

Nancy Faeser plant eine stärkere Verfolgung von Staatsbürgern unterhalb der Strafbarkeitsschwelle. Welche Folgen kann eine solche Grenzverschiebung für die Meinungsfreiheit haben?

Wenn Menschen Angst davor haben, bei regierungskritischen Äußerungen in der Kneipe oder auf dem Arbeitsplatz zu einem Verdachtsfall des Staates zu werden, wird dies nur zu Unmut führen und die AfD stärker machen. Das erzeugt dann ein Klima, in dem die Freiheit stirbt.

Die Maßnahmen sehen auch konkrete Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger vor. So sagte Faeser auf der Pressekonferenz beispielsweise: „Niemand, der an eine rechtsextreme Organisation spendet, darf sich darauf verlassen können, dass er dabei unentdeckt bleibt.“ Sie sind Jurist und Mitglied einer Bürgerrechtspartei: Was denken Sie darüber?

Ich finde es verstörend, dass wir uns über diese Frage unterhalten, während islamistische Terroristen ihr antisemitisches Unwesen in Deutschland ungestört treiben durften und es Wochen dauerte, bis Frau Faeser entsprechende Vereine wie Samidoun verboten hat. Und dies erst nach Aufforderung durch die Legislative.

Ich würde dem Verfassungsschutz raten, sich tatsächlich um die Extremisten in diesem Land zu kümmern. Die auf der linken Seite genauso vertreten sind wie auf der rechten Seite. Und zu befürchten ist ja, dass der Islamismus angesichts der Konfliktlage im Nahen Osten noch zunehmen wird. Deswegen wäre es wichtiger, Bürger vor terroristischen Herausforderungen zu schützen, als sich mit Scheinlösungen in die öffentliche Debatte einzumischen.

An der Seite von Nancy Faeser saß auch Thomas Haldenwang. Wie haben Sie den Auftritt des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes wahrgenommen?

Es wäre für das Amt selbst sinnvoller, wenn sich der Präsident des Verfassungsschutzes mit seinen Äußerungen zurückhalten würde. Haldenwang nimmt nicht Partei, sondern er ist der oberste Chef des Verfassungsschutzes und damit zuerst dem Grundgesetz verpflichtet. Er ist nicht dafür verantwortlich, eine bestimmte politische Linie vorzugeben, sondern dafür Sorge zu tragen, den wahren extremistischen Kräften in unserem Land das Handwerk zu legen. Es ist besorgniserregend, wenn der Eindruck entstehen würde, der Verfassungsschutz sei nicht mehr frei von politischer Einflussnahme.

Warum nehmen die SPD und die Grünen ein vergleichsweise unbedeutendes Ereignis wie das „Geheimtreffen“ in Potsdam zum Anlass, solch weitgehende Maßnahmen durchsetzen zu wollen?

Wie bedeutend es war, kann ich nicht sagen. Das ist ja auch Teil einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Aber: Das Verhalten von SPD und Grünen ist auf die aktuell schlechten Umfrage- und die miserablen Wahlergebnisse der Parteien zurückzuführen. Die große Sorge der SPD und der Grünen besteht darin, massive Einbrüche bei der Europawahl erleiden zu müssen. Das führt momentan zu jener hysterischen Warnung davor, dass eine Machtergreifung der Nazis vermeintlich unmittelbar bevorstünde. Wer das tut, der ist nicht nur geschichtsvergessen, sondern er dokumentiert damit auch seine eigene Schwäche. Die Demokratie ist stark genug, sie braucht solche Maßnahmen nicht.  

 

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Auch die Verabschiedung des Demokratiefördergesetzes ist eine der 13 geplanten Maßnahmen im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Sie sprachen im Zusammenhang mit dem Demokratiefördergesetz auch von einer „eigenen Machtpolitik“. Was meinen Sie damit?

Wenn ich Nancy Faeser und Lisa Paus richtig verstanden habe, schützen wir die Demokratie, indem wir eine gesetzliche Grundlage schaffen, die eine finanzielle Unterstützung von ausgesuchten Vorfeldorganisationen sicherstellt. Was die Grünen und die Sozialdemokraten jetzt wollen, ist eine institutionelle, dauerhafte Förderung. Und das halte ich für extrem bedenklich. Auf diese Art und Weise kann man sich willkürlich jene Vorfeldorganisationen geneigt machen, die man braucht, um den nächsten Wahlkampf zu gewinnen.

Was für Organisationen sind das konkret?

Es ist teilweise sehr bedenklich, welche Projekte unter der Überschrift „Demokratie leben“ durch die Bundesregierung gefördert werden. Es werden auch grenzwertige Organisationen unterstützt, bei denen die Verfassungstreue möglicherweise nicht immer tragender Bestandteil des eigenen Denkens ist. Das bedeutet im Zweifel die durch Steuergelder ermöglichte Alimentierung von Organisationen, die sich teilweise auch parteipolitisch einmischen. Und das ist nicht hinnehmbar. Ich erinnere nur daran, dass Renate Künast vor einiger Zeit bereits öffentlich erklärt hat, dass jetzt endlich auch die Antifa dauerhaft gefördert werden müsse.

Lisa Paus sieht mittels des Demokratiefördergesetzes auch die Möglichkeit, Vielfalt staatlich zu unterstützen. Ist das denn die Aufgabe einer Bundesregierung?

Vielfalt gibt es entweder oder sie gibt es nicht. Man kann Vielfalt nicht fördern. Vielfalt zu fördern oder zu gestalten, ist nicht Aufgabe des Staates. Die Aufgabe des Staates ist es sicherzustellen, dass die Grundrechte für jedermann gelten und verteidigt werden. Im Übrigen ist es absurd, die Vielfalt dadurch fördern zu wollen, indem man alles ausschließt, was angeblich rechts ist.

Nutzen die SPD und die Grünen das Demokratiefördergesetz auch als ein Mittel, um rechte und konservative Positionen zu delegitimieren?

In der Tendenz ist das so. Der Aufruf zu Demonstrationen gegen rechts ist inhaltlich sehr bedenklich. Denn „rechts“ ist per se nichts, was staatlich sanktioniert werden kann. Extremismus und strafbare Handlungen müssen verfolgt und geahndet werden, aber nicht Meinungsäußerungen, die einem nicht gefallen. Wer heute erklärt, er sei links, den findet man toll. Wer heute allerdings erklärt, er sei rechts, der wird weitgehend außerhalb der Gesellschaft gestellt.

Sagt das auch etwas über das Demokratieverständnis der SPD und der Grünen aus? Demokratie ist, wenn es dem eigenen Weltbild entspricht …

Wenn ich anhand von Äußerungen der Grünen Jugend urteilen muss oder von manchen geförderten „grünen“ Einrichtungen, dann befürchte ich tatsächlich, dass das der Weg ist, den die Grünen zurzeit beschreiten. Wir erleben ja momentan auch, dass beispielsweise eine kritische Berichterstattung über Robert Habeck im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von Grünen massiv angegriffen wird. Wenn Grüne jetzt schon kritisieren, dass Habeck nicht zum Heiligen erklärt wird, dann merkt man schon, wie eng der Meinungsdiskurs von einigen gedacht wird.

Wird es zu einem Bruch der Ampel kommen, wenn SPD und Grüne nicht bereit sein sollten, sich von den Plänen des Demokratiefördergesetzes zu verabschieden?

Entscheidend ist, dass es das Demokratiefördergesetz nur geben kann, wenn die FDP zustimmt. Und das wird es unter diesen Bedingungen nicht geben. Selbst kosmetische Korrekturen werden bei dem vorliegenden Entwurf nicht ausreichen. Noch einmal: Es ist nicht Aufgabe des Staates, Demokratie zu fördern oder zu gestalten. Aufgabe des Staates ist, eine so vernünftige Politik zu machen, dass die Menschen sich mit warmem Herzen zur Demokratie bekennen.

Momentan haben wir das Gegenteil: Immer mehr Menschen wenden sich von der Demokratie ab, da sie das Gefühl haben, dass die drängenden Probleme vor Ort nicht gelöst werden. Sie haben sogar manchmal das Gefühl, dass sie politisch auf Linie gebracht werden sollen. Wir brauchen daher kein Demokratiefördergesetz, sondern eine demokratische Politik.

Die FDP würde nach aktuellen Umfragen bei der nächsten Bundestagswahl nicht einmal den Einzug in den Bundestag schaffen. Wie kann die FDP aus diesem Tief herauskommen?

Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir aus diesem Umfragetief wieder herauskommen. Wir kommen als FDP aus diesem Tief heraus, wenn wir den Menschen glaubhaft aufzeigen, wie wir ihren Wohlstand sichern können, und wir darauf bestehen, dass der Rechtsstaat seine eigenen Prinzipien einhält. Demokratie ist mehr als nur die bloße Zustimmung zur Regierungspolitik. Die Opposition und der Streit gehören zur Demokratie dazu. Wir können in einer Demokratie Meinungen nicht einfach ausgrenzen, weil sie uns nicht gefallen.

Was hält sie als FDP denn überhaupt noch in der Ampel-Koalition?

Ich glaube, dass wir mit unserem pädagogischen Geschick in der Lage sind, auch Sozialdemokraten und Grüne von Irrwegen abzuhalten. Wir können ja nicht jeden Diskurs einstellen, nur weil uns bestimmte Dinge nicht passen. Aber wir dürfen nicht unsere eigenen Überzeugungen an der Garderobe der Ampel abgeben. Vor allem sind wir nicht Mehrheitsbeschaffer für rot-grüne Projekte, die gegen unsere eigenen fundamentalen Überzeugungen gehen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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