Wer wird Regierender Bürgermeister? - Wegners Wahl und Giffeys Beitrag

Trotz eindeutigem Wahlsieg der CDU bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl ist unklar, wer ins Rote Rathaus einzieht. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat die größten Feinde in ihrer eigenen Partei und muss erst die Grünen wieder einfangen. Und CDU-Chef Kai Wegner hat einen Trumpf.

Wer gratuliert wem? Franziska Giffey (SPD) und Kai Wegner (CDU) / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Als Kanzlerkandidat Armin Laschet am Abend der Bundestagswahl 2021 im Konrad-Adenauer-Haus vor die Mikros trat, da hatten die meisten Parteifreunde die Jubelschilder schon zur Seite gestellt. Zu eindeutig schien die Niederlage, zu enttäuscht waren die Anhänger. Und manche waren doch verblüfft, als Laschet noch gar nicht Trübsal blasen wollte und nicht sofort in Sack und Asche ging, sondern vom Sondieren und Regieren sprach. Die CDU hatte 24,1 Prozent errungen, ein miserables Ergebnis, doch die SPD hatte auch nur 25,7 Prozent erreicht. Warum also nicht mit Grünen und FDP regieren, dachte sich CDU-Mann Laschet.

Der Abstand von gerade mal 1,6 Prozentpunkten wollte Laschet und einigen Getreuen damals nun nicht zum Rückzug genügen. Und in der Tat war es weniger das Wahlergebnis allein, sondern vielmehr die Stimmung im eigenen Lager, die eine Kanzlerschaft Laschets unmöglich werden ließ. Die Ampelparteien kosteten dies damals genüsslich aus. Vor allem den Liberalen diente es als Argument für das neue Dreierbündnis, dass die Union gerade nicht regierungsbereit und regierungsfähig sei, man deswegen zur Ampel keine Alternative habe. Und nicht zuletzt CSU-Chef Markus Söder sah eine Zukunft ohne Laschet in der Union wohl für segensreicher an als eine Zukunft mit Kanzler Laschet.

Die Lage von SPD-Spitzendkandidatin Franziska Giffey könnte sich ähnlich beschreiben lassen. Vieles ist ganz anders jetzt in Berlin: Der Abstand der beiden Ersten ist viel größer, die CDU hat 28,23 Prozent errungen, die SPD 18,40, Gifffey ist anders als Laschet bereits im Amt, die Grünen sitzen der SPD knapper auf den Fersen (18,39 Prozent). Alles richtig. Und dennoch: Giffey ist wie Laschet die Zweitplatzierte, die durchaus eine Machtoption hat, doch einfach wird es nicht. Mehr noch: Giffey hat eine Mehrheit für die amtierende Regierung. Und dennoch wird es für sie kein Selbstläufer sein, diese alte Koalition neu aufzulegen. Und die größten Gegner hat sie, wie Laschet einst, in den eigenen Reihen. Denn die Niederlage der einen ist immer auch die Chance der anderen in derselben Partei. Und gerade Giffey ist in der Berliner SPD keineswegs von Freunden umgeben, manche fragen sich, ob sie überhaupt noch Unterstützer hat.

Die Grünen hatten sich schon als Wahlsieger gesehen

Am Montag danach sind es zunächst noch die Stimmen aus der zweiten Reihe, die Giffey verklausuliert noch, aber deutlich infrage stellen. Der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Kian Niroomand formulierte im RBB vielsagend: „Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Die Rede vom „Neuanfang“, machte die Runde, selbst die Regierende Bürgermeisterin hatte am Wahlabend noch die Wendung geprägt, es dürfe kein „Weiter so“ geben. Zu dem Zeitpunkt allerdings lag ihre Grüne Mitbewerberin Bettina Jarasch vorn. Da hatte Giffey noch andere Szenarien im Kopf. Die frühere Staatssekretärin Sawsan Chebli grübelt am Montag dann sogar offen über Rückzug nach. „Die SPD muss keine Angst haben vor Opposition“, sagt sie. Doch leicht vergiftet in Richtung Giffey klang das schon.

Das Berliner Wahlergebnis, das nun das politische Paradox in sich vereint, einen historischen Wahlsieg der Opposition bei gleichzeitiger Mehrheit für die bestehende Regierung zu präsentieren, lässt sich nicht ganz so einfach in praktische Politik übersetzen. Das liegt vor allem an der Zerrüttung im Regierungslager. Die Dissonanzen zwischen Giffey und Jarasch führen dazu, dass hier kein selbstbewusstes Auftreten der bestehenden Regierung zu sehen ist, das man ja trotz Wahlergebnis zumindest performativ zeigen könnte. Im Wahlkampf hatten beide sich auch an inhaltlichen Punkten wundgerieben. Giffey hatte sich klar gegen Enteignungen von Wohnungskonzernen ausgesprochen, Jarasch hingegen die Umsetzung eines entsprechen Volksentscheids gefordert. Selbst bei der Frage der Sperrung der Friedrichstraße konnten die Koalitionspartner keine Geschlossenheit demonstrieren.

 

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Dadurch dass SPD und Grüne nun auch im Wahlergebnis so nah beieinander liegen, wird die Rollenverteilung noch schwieriger. Emotional hatten die Grünen am Wahlabend schon rund zwei Stunden lang ihren Vorsprung vor der SPD gefeiert, sahen Berlin erstmals von einer Grünen Bürgermeisterin regiert, um dann doch mit der Enttäuschung aufzuwachen, sage und schreibe 105 Stimmen hinter den Sozialdemokraten zu liegen. Verständlich, dass man diesen Kater erstmal überwinden muss. Sowohl die personelle Konstellation als auch die Stimmenanteile machen nun die Moderation hin zur Fortführung des Bündnisses kompliziert. Im Abgeordnetenhaus werden SPD und Grüne gleich viele Mandatsträger stellen, einen eindeutigen Vorrang für eine rote Regierende ergibt sich also nur rein formal im Kleingedruckten, keineswegs augenfällig. Da wird es den Grünen Schmerzen abverlangen, in das Bündnis einzusteigen.

Allein die Alternative ist für viele Rote wie Grüne eine noch bittere Pille. Nach diesem polarisierten Wahlkampf wird es manchen Abgeordneten, die sich gerade aus der Gegnerschaft zu CDU-Chef Kai Wegner politisiert haben, eine erschreckende Vorstellung sein, nun diesen Spandauer zum Regierungschef zu wählen. Wegner selbst hat dieses Dilemma gestern Abend sofort erkannt. Während seine Anhänger jubelten, gönnte er sich kein Triumphgeschrei. Der Wahlkampf sei jetzt vorbei, nun müsse die Spaltung überwunden und die Stadt  geeint werden. Er werbe für eine „Berlinkoalition“, was gut klang, aber doch bloß heißt, dass er  – mit wem auch immer – Regierungschef würde.

Schon in drei Jahren wird in Berlin wieder gewählt

Noch ist also unklar, ob Giffey Regierende bleibt, zusammen mit SPD, Grünen und Linken, oder ob Kai Wegner erstmals seit Jahrzehnten das Rote Rathaus für die CDU sichern kann, entweder mit den Grünen oder der SPD. Es werden schwierige Verhandlungen, in welcher Konstellation auch immer. Wegner hat für seine Gespräche immerhin den Trumpf des Zweierbündnisses in der Hand. Er kann Grünen oder Sozialdemokraten mehr Senatorenposten bieten, als sie bei Rot-Grün-Rot zu vergeben wären, weil dann auch noch die Linke bedient werden müsste. Es könnte auch sein, dass die SPD inhaltlich jetzt wieder stärker einen Mittekurs einschlagen will, was mit Wegner besser ginge, nur laut sagen mag sie dies noch nicht.

Dabei spielen vor allem auch strategische Überlegungen eine Rolle. Am Sonntag gab es eine Wiederholungswahl nach dem Chaos 2021. Das bedeutet, die Legislaturperiode läuft bereits, und Berlin darf schon wieder in gut drei Jahren wählen. Drei Jahre sind eine kurze Zeit, zumal um sichtbar die allgemein beklagte Berliner Misere zumindest der Tendenz nach zu bekämpfen. Das bedeutet, ein Bündnis der Wahlverlierer bietet mutmaßlich keine besonders gute Voraussetzung, um 2026 in den Wahlkampf zu gehen.

Die Grünen wollen dann in drei Jahren aber endlich den Regierenden Bürgermeister stellen. Haben sie möglicherweise die besseren Startbedingungen, wenn sie sich aus einer Schwarz-Grünen-Koalition heraus bewerben, als gefangen in dem Notbündnis mit Giffey und ihrer streitenden SPD? Ähnliche Überlegungen lassen sich auch für die SPD anstellen. Schon in drei Jahren müsste sich Giffey einer Wiederwahl stellen, mutmaßlich gelingt ihr das dann doch schlechter als jetzt. Aus einer Großen Koalition heraus hingegen könnte die Ausgangslage für eine dann verjüngte SPD besser sein.

Armin Laschet musste nach ein paar Tagen einsehen, dass er seine Union nicht in die notwendige Kampfbereitschaft versetzen würde, um nach der Niederlage doch das Kanzleramt zu stürmen. Wie Franziska Giffey nun ihre Truppen aufstellen kann, ist noch unklar. Wer auf Platz zwei landet, hat es nie leicht die Regierungskrone zu ergattern. Aber unmöglich ist das nicht, unredlich letztlich auch nicht, denn die Demokratie kennt nur die Kategorie: Mehrheit oder keine. Ob es lohnend ist, kann dann wieder der Wähler bewerten.

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