Wahlwiederholung in der Hauptstadt - Müder Wahlkampf in Berlin

Am 12. Februar sollen die Berliner erneut über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und somit indirekt über die künftige Regierung der Hauptstadt entscheiden. Der Wahlausgang ist noch vollkommen offen. Doch egal wie es ausgeht – ein wirklicher Neustart ist nicht zu erwarten.

Würde gerne im Amt bleiben: Franziska Giffey / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Falls das Bundesverfassungsgericht nicht doch noch dazwischen grätscht, dann werden am 12. Februar die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den 12 Bezirksverordnetenversammlungen wiederholt. Dies wurde notwendig, nachdem der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin die Wahlen vom 26..September 2021 für ungültig erklärt hatte.

Die organisatorischen Vorbereitungen laufen seit Monaten auf Hochtouren, denn eine erneute Pannen-Wahl kann sich die Hauptstadt keinesfalls leisten. Bislang scheint das weitgehend reibungslos zu laufen: Es gibt – nicht zuletzt aufgrund der deutlich auf 240 Euro erhöhten Aufwandspauschale – genügend Wahlhelfer, genügend Stimmzettel, genügend Wahlkabinen und umfangreiche logistische Vorkehrungen für einen reibungslosen Ablauf.

Kein Wahlkampffieber in der Stadt

Aber von Wahlkampffieber ist in der Stadt wenig zu spüren. Viele Bürger der Stadt trauen keiner Partei und keiner Regierungskoalition eine Lösung der zahlreichen Probleme zu, was sich laut Prognosen in einer deutlich gesunkenen Wahlbeteiligung niederschlagen könnte. Die Stadt wirkt müde und ausgelaugt, die Spitzenpolitiker der großen Parteien vermitteln den Eindruck, dass sie froh sein werden, wenn das alles vorbei ist. Große Entwürfe für die Entwicklung der Hauptstadt sucht man vergeblich.

Die SPD setzt auf den Amtsbonus ihrer Frontfrau Franziska Giffey, die sie auf Großplakaten als „Unsere Regierende“ anpreist. Bettina Jarasch (Grüne) würde sie gerne an der Spitze der „rot-grün-roten“ Koalition ablösen und verkürzt ihre Wahlwerbung auf die Formel „Grün und gerecht“. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner empfiehlt die Wahl seiner Partei mit der Losung „Damit Berlin funktioniert“. Die Linke betreibt eine Art Lagerwahlkampf für den Fortbestand der jetzigen Koalition. Die FDP, die noch um den Einzug in das Abgeordnetenhaus zittern muss, hofft als Mehrheitsbeschaffer in eine neue Koalition hineinzurutschen. Und der AfD, die voraussichtlich Stimmen gewinnen wird, bleibt die Rolle des Schmuddelkindes, mit dem keine andere Partei was zu tun haben will. 

Keine gute Bilanz der Koalition

Die Bilanz der seit rund einem Jahr im Amt befindlichen „rot-grün-roten“ Regierung ist ernüchternd. Das groß angekündigte „Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen“ ist krachend gescheitert, Verwaltungen und Bürgerdienste funktionieren zumeist schlecht wie eh und je, die Verkehrspolitik verharrt im Chaos, zentrale Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Schulen und Krankenhäuser pfeifen aus dem letzten Loch. Ferner wurde der Senat von den Folgen des Ukraine-Kriegs kalt erwischt, sowohl die große Flüchtlingswelle, als auch die sozialen Auswirkungen der galoppierenden Inflation betreffend.

Dazu kommen strukturelle Defizite etwa bei der Integrationspolitik, auf die zuletzt die Ausschreitungen in der Silvesternacht ein grelles Schlaglicht geworfen haben. Doch selbst diese, sogar für Berliner Verhältnisse beträchtliche Eskalation sorgt für wenig mehr als betroffene Gesichter und wenig unterfütterte Versprechungen, jetzt alles irgendwie besser zu machen.

CDU, SPD und Grüne eng beieinander

Dennoch ist von einer „Wechselstimmung“ wenig zu spüren. Der Senat ist in der Gesamtbevölkerung zwar nicht sonderlich beliebt, doch die ihn tragende Koalition könnte wohl weitermachen – wenn sie denn will. Und tatsächlich ist diese Wahl durchaus noch offen, vor allem die Rangfolge der Parteien betreffend. Derzeit liefern sich CDU, SPD und Grüne ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit jeweils rund 20 Prozent der Stimmen.

Es wird also wieder eine Drei-Parteien-Koalition geben müssen. Gewinnt die CDU die Wahl, dann wäre wohl ein Bündnis mit SPD und FDP die erste Wahl, denn die Schnittmengen mit der SPD sind in Berlin deutlich größer als mit den Grünen. Allerdings wäre die SPD für so eine Koalition kaum billig zu haben, da sie stets mit dem Zaunpfahl einer rot-grün-roten „Koalition der Verlierer“ winken könnte.
 

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Auch eine Koalition mit den Grünen wäre nicht auszuschließen. Die Grünen haben sich stets als äußerst flexibel erwiesen, wenn es um mögliche Regierungsbeteiligungen geht. Wobei man gespannt sein könnte, mit welchen Formelkompromissen die tiefen Gräben besonders in der Integrations- und Verkehrspolitik kaschiert werden könnten. Zweifellos interessant wäre dieses Bündnis als gemeinsames Projekt für vollkommen unterschiedliche Milieus in der.Stadt. Die Grünen sind in den Innenstadtbezirken soziokulturell nahezu hegemonial, während die CDU das in anderen Teilen der Stadt weit verbreitete Unbehagen über Auto-Bashing, queere Identitätspolitik und massenhafte Migration repräsentiert.  

Die Zeichen stehen auf „Weiter so“

Gewinnt die SPD die Wahl, spricht viel für die Fortsetzung der bisherigen Koalition, was dann vor allem auch der bequemste Weg wäre. Nichts spricht dafür, dass sich jene Kräfte in der SPD – allen voran Franziska Giffey und Innensenatorin Iris Spranger –, die eine andere Konstellation vorziehen würden, diesmal durchsetzen könnten. Zumal Giffey längst nicht mehr so unangefochten wie vor der Wahl im September 2021 an der Spitze ihrer Partei thront, wovon auch einige gegen ihren Willen gefällte Beschlüsse von SPD-Landesparteitagen zeugen.

Auch Bettina Jarasch hat gute Chancen, mit ihrer Partei die Spitzenposition zu erringen. Sie hat im Wahlkampf ein klares Bekenntnis zur Fortsetzung der bisherigen Koalition abgegeben – unter ihrer Führung. In der SPD könnte das für einige Verwerfungen sorgen, denn Giffey würde wohl kaum als „Juniorpartnerin“ in dieser Koalition agieren wollen. Die SPD müsste sich dann personell neu aufstellen, aber das kann Jarasch ziemlich egal sein. Den Linken ist das alles ziemlich egal. Ihr Wahlziel ist mitregieren, und auch ihren vormaligen Wahlkampfschlager, die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne, erwähnt sie nur noch in Nebensätzen.

So betrachtet, birgt die Wahl durchaus einiges an Spannung. Doch jenseits der Koalitionsrechnereien relativiert sich das recht schnell. Denn keine der denkbaren Konstellationen scheint das Potenzial zu haben, die tiefgreifenden Probleme dieser ziemlich kaputten Stadt tatsächlich radikal anzupacken. Und so wäre es schon mal ein großer Erfolg, wenn man es wenigstens hinbekäme, eine einigermaßen pannenfreie Wahl über die Bühne zu bringen, damit die deutsche Hauptstadt nicht schon wieder zum Gespött der ganzen Welt wird.    

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