Wagenknecht gründet eigene Partei - „Mit jeder Woche, in der diese Regierung amtiert, geht es weiter bergab“

Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat sich nun offiziell als Partei konstituiert. Mit einer Mischung aus linker Sozialpolitik, Mittelstandsorientierung und konservativen Positionen in der Migrations- und Gesellschaftspolitik soll eine Lücke im Parteienspektrum besetzt werden.

Fordern die etablierten Parteien heraus: Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht und Ralph Suikat / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Mit der offiziellen Gründung einer gleichnamigen Partei hat das Bündnis Sahra Wagenknecht am Montag die ersten Weichen für die angestrebte Teilnahme an den Wahlen zum EU-Parlament im Juni und den drei Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im September gestellt. Die Gründung erfolgte in einer nichtöffentlichen Versammlung in einem Berliner Hotel. 

Dort wurden unter anderem ein Vorstand gewählt, der von einer Doppelspitze geführt wird, zu der neben Wagenknecht auch Amira Mohamed Ali gehört, die bis zu ihrem Austritt aus der Linkspartei im Oktober 2023 als Fraktionsvorsitzende derselben im Bundestag amtierte. Stellvertretender Vorsitzender wird der bislang parteilose Bauingenieur und Wirtschaftsprofessor Shervin Haghsheno. Der Bundestagsabgeordnete Christian Leye wird als Generalsekretär amtieren, der Unternehmer Ralph Suikat als Schatzmeister.

Ferner verabschiedete die Versammlung ein vorläufiges Programm, das bis zur Erarbeitung eines umfassenden Parteiprogramms als Leitfaden für die Politik der neuen Partei dienen soll. Ein komplettes Programm soll bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025 vorgelegt werden. Wagenknecht sprach am Rande der Versammlung von einem „historischen Tag“, da man den Grundstein für eine Partei lege, „die das Potenzial hat, das bundesdeutsche Parteienspektrum und vor allem die Politik in unserem Land grundsätzlich zu verändern“. Man werde eine „seriöse Adresse für Menschen sein, die mit den bestehenden Parteien unzufrieden sind“.

Spitzenkandidaten für die Europawahl

Am Mittag präsentierte sich die neue Partei, die in Gänze Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für Vernunft und Gerechtigkeit heißt, dann in der Bundespressekonferenz. Bereits im Vorfeld war deutlich geworden, dass man wohl nicht mehr von einer „One-Woman-Show“ oder einem „narzisstischen Ego-Trip“ der Ex-Linken-Politikerin sprechen kann. 

Denn mit dem über alle Parteigrenzen hinweg anerkannten Finanzexperten Fabio De Masi, der die Linke bereits im September 2022 verlassen hatte, und dem nordrhein-westfälischen SPD-Urgestein Thomas Geisel, der von 2014 bis 2020 als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf amtierte, haben sich zwei politische Schwergewichte der neuen Partei angeschlossen. Beide können wohl kaum als Wagenknecht-Anhängsel abqualifiziert werden.  Auf der Pressekonferenz wurden De Masi und Geisel auch als Spitzenkandidaten für die dieses Jahr anstehende Europawahl präsentiert.  

Gegen die Politik der Ampel-Regierung

Das vorläufige Programm ist eine Art komprimierter Rundumschlag gegen die Politik der Ampel-Regierung, entlang der vier Themenbereiche „Wirtschaftliche Vernunft“, „Soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“. Wagenknecht warf der Bundesregierung vor, keinen Plan zu haben, „außer den Menschen das sauer verdiente Geld aus der Tasche zu ziehen“. 

Auch BSW nehme den Klimawandel und seine Folgen sehr ernst, aber man könne dem nicht mit einer „Wünsch-Dir-was-Politik“ begegnen mit teilweise absurden Plänen, wie etwa beim Heizungsgesetz. Alternative wäre beispielsweise der massive Ausbau der Fernwärme, aber dafür sei kein Geld da. Irrationale Entscheidungen gebe es auch in anderen Bereichen, hieß es. Als Beispiel nannte Wagenknecht die Mauterhöhung für LKW, die zwangsläufig zu einer weiteren Teuerungswelle führen werden. Stattdessen müsste das Schienennetz für den Güterverkehr ausgebaut werden.

„Erntehelfer der AfD“

De Masi bezeichnete die Bundesregierung in der Pressekonferenz als „Erntehelfer der AfD“. Der Bundeskanzler habe in keinem Politikfeld einen Plan. In der EU sei Deutschland mittlerweile eines der Schlusslichter bei öffentlichen Investitionen, besonders in den Bereichen Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung, und „mit jeder Woche, in der diese Regierung amtiert, geht es weiter bergab“. Im EU-Parlament will sich der Politiker vor allem für eine angemessene Besteuerung multinationaler Konzerne stark machen und die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten und der Kommunen stärken.
 

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Auch Geisel, der die SPD vor kurzem nach 40-jähriger Mitgliedschaft verlassen hatte, machte die Regierung dafür verantwortlich, dass sich das Land „noch nie in so einem schlechten Zustand“ befunden habe. BSW verstehe er als Partei des sozialen Zusammenhalts, denn „die Schere zwischen reich und arm geht immer weiter auf“ und aus der Leistungs- werde immer deutlicher eine „Besitzstandsgesellschaft“. Ein starker Sozialstaat basiere auf Solidarität, aber das beinhalte auch, dass niemand ermuntert werden dürfe, es sich in einer Grauzone aus Bürgergeld und Schwarzarbeit bequem zu machen. Es dürften keine „Milieus von Almosenempfängern“ entstehen und auch keine Parallelgesellschaften als Folge unregulierter Zuwanderung.

Migrationspolitik und Friedenspolitik

Die meisten Fragen in der Pressekonferenz drehten sich um die Migrationspolitik und die Friedenspolitik. Wagenknecht betonte, dass BSW das Asylrecht für politisch Verfolgte anerkenne. Dieses könne aber nur bewahrt werden, wenn man einem massenhaften Missbrauch des Asylrechts entgegentrete: „Ob man es bis nach Deutschland schafft, entscheidet sich derzeit ja nicht daran, ob man politische verfolgt ist oder nicht, sondern daran, ob man genug Geld für die Schlepperbanden aufbringen kann.“ 

Eine Haltung, die von allen Podiumsteilnehmern geteilt wurde. Wie auch die klare Position zum Ukraine-Krieg. BSW fordert den Stopp der Waffenlieferungen und nationale und internationale Initiativen für einen Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen. Diese Möglichkeiten hätten sich auch nach Kriegsausbruch mehrmals eröffnet, und seien nicht von Russland, sondern von westlichen Staaten torpediert worden, so Wagenknecht. 

Die neue Partei definiert sich übrigens nicht als „links“. Man stehe zwar, so Wagenknecht, in der Tradition linker Grundprinzipien wie soziale Gerechtigkeit und Frieden. Aber „links“ sei kein passendes Label mehr, da vermeintlich linke Organisationen mittlerweile für ganz andere Positionen und Themen stünden. 

Neue Mitglieder erst kennenlernen

Bereits für den 27. Januar ist der erste Parteitag angesetzt, zu dem alle 450 Mitglieder der „ersten Welle“ in das Berliner Kosmos-Kino eingeladen werden. Dort soll es vor allem um einige parteienrechtliche Formalien gehen, wie die Verabschiedung einer Satzung, die offizielle Bestätigung des Gründungsvorstands und die Nominierung der Kandidaten für die Liste zur Europawahl. Anschließend werde man weitere Mitglieder aufnehmen, allerdings sehr selektiv, betonte Wagenknecht. 

Man wolle die neuen Mitglieder bereits zuvor kennengelernt haben, auch, um zu verhindern, dass die junge Partei von Menschen gekapert werde, die „ganz eigene Interessen vertreten“, die mit den Grundsätzen von BSW kaum vereinbar seien. Aber jeder, der die Ziele der Partei teilt, sei schon jetzt aufgerufen, sich als Unterstützer oder Förderer einzubringen, etwa im bevorstehenden EU-Wahlkampf.

Der erste große Aufschlag von Sahra Wagenknecht, die Gründung der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ im September 2018, ist bereits ein gutes Jahr danach im Chaos versunken. Aus dieser bitteren Erfahrung scheinen Wagenknecht und ihre engsten Mitstreiter ihre Lehren gezogen zu haben. Doch ob die neue Partei tatsächlich das Potential hat, die politische Landschaft in Deutschland nachhaltig zu verändern, muss sich erst noch zeigen. Die Wahlen zum EU-Parlament werden in dieser Hinsicht erste Aufschlüsse geben.        
 

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