Parlamentarische Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine - Von Geparden und Papiertigern

In dieser Woche debattiert der Bundestag über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Das Ringen um den Antrag der Regierungsfraktionen und der Gegenantrag der Unionsfraktion bestimmen die politische Woche in Berlin. Ob es zum Showdown am Mittwoch oder Donnerstag kommt, ist noch offen. Inzwischen kündigt die Bundesregierung „Gepard“-Lieferungen an. Und dann reist Bundeskanzler Scholz auch noch nach Japan.

Ein Gepard-Panzer, bevor er ausgemustert und vom Hersteller zurückgekauft wurde / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Eine Sitzungswoche verläuft im politischen Berlin eigentlich verlässlich nach einer strengen Choreographie ab. Doch die jetzige parlamentarische Woche könnte auf einen spannenden Showdown zulaufen. Der Kalender des Bundestages kündigt für die 31. Sitzung des Hohen Hauses am Donnerstag als Tagesordnungspunkt 8 die Beratung eines CDU/CSU-Antrags an. Das ist eigentlich ziemlich langweilig, weil die Union in der Opposition sitzt und ihre Vorstöße entsprechend irrelevant sind. Doch unter dem Titel „Stärkung der Selbstverteidigung der Ukraine“ wird nun die Lieferung von „schweren Waffen“ an die Ukraine und zwar „unverzüglich“ und „in größtmöglichem Umfang“ aus den „verfügbaren Beständen der Bundeswehr“ gefordert.

Das ist mehr oder weniger genau das, was auch die der FDP-Parteitag am Wochenende beschlossen hat. Nun wird parallel dazu ein Regierungsantrag der Ampelfraktionen erarbeitet, den wiederum das Bundeskanzleramt – so belegen es Recherchen der Welt – mutmaßlich abschwächen will. Unwahrscheinlich, dass die Union nun in dieser Woche dem Koalitionsantrag unumwunden zustimmen wird. Aber die Chancen seien immerhin durch entsprechende entgegenkommende Signale leicht gestiegen, meinte am Dienstag der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU). Eine leichte Woche aber wird es für die Regierung gewiss nicht.

Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP arbeite an diesem gemeinsamen Antrag, doch bevor man auf die Opposition zugehen kann, muss man sich erst mal selbst einig sein. Laut Medienberichten wird an dem Textwerkstück auch von Regierungsbeamten im Kanzleramt geschraubt, es soll sogar streng redigiert worden sein. Vor allem der umstrittene wie politisch aufgeladene Begriff „schwere Waffen“ wurde angeblich im Änderungsmodus des Textverarbeitungsprogramms der Regierungszentrale rot markiert – und mit der Floskel „politisch zu prüfen“ versehen. Was also passiert, wenn sich der Kanzler Olaf Scholz durchsetzt, die kanzleramtlich zensierte Fassung von den Regierungsfraktionen brav eingebracht wird – und am Mittwoch oder Donnerstag von den Abgeordneten Disziplin eingefordert wird? Eine knifflige Angelegenheit, denn die Ideen, die von der Union so aufgeschrieben wurden, entsprechen möglicherweise mehr den eigenen Überzeugungen einzelner Parlamentarier der Ampel, als das, was man sich in der Regierungszentrale überlegt hat.

Geliefert wird von der deutschen Industrie, nicht vom deutschen Staat

Das Problem scheint unterdessen erkannt worden zu sein, denn zwar steht nun das Wort „Panzer“ immer noch nicht im Regierungsantrag, aber die „schweren Waffen“ stehen drin. Und parallel spricht das Regierungshandeln eine neue, deutlichere Sprache. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte heute plötzlich die Lieferung von „Gepard“-Panzern an die Ukraine zu. So holen die Ereignisse die bloßen parlamentarischen Papiertiger ein. Was also nun aus den Anträgen wird, ist also noch offen. Klar ist, dass Kanzler Scholz eine Geschlossenheit der Ampel organisieren muss, auch wenn er nicht formal die Vertrauensfrage stellt.

Aber auch die Argumente der Regierung schlagen Purzelbäume. Bis vor kurzem hieß es, Waffenlieferungen seien problematisch, da die Ukrainer die deutschen Geräte nicht bedienen könnten. Ausgerechnet der vor zehn Jahren ausgemusterte (!) „Gepard“ gehört nun nach Auskunft von Veteranen der Flugabwehr zu den schulungsintensivsten Geräten, berichtet Militärexperte Thomas Wiegold Cicero. Und beim „Gepard“ gibt es für die Ampel noch einen argumentativen Trick: Geliefert wird von der deutschen Industrie, nicht vom deutschen Staat, denn die Hersteller hatten die ausgedienten Geräte von der Bundeswehr zurückgekauft. Kümmert die Regierung deswegen die Problematik der Anwendung nicht?

Zu den festen Programmpunkten im Ablauf der politischen Woche gehören als Entree am Montag die Beratungen der Parteigremien und entsprechende Stellungnahmen. SPD-Vorsitzende Saskia Esken informierte gestern der Routine folgend im Anschluss an die Sitzung des Parteipräsidiums die Pressevertreter. Sie gab der Woche ihren eigenen Spin. Der Antrag der Regierung zur Unterstützung der Ukraine werde „umfassender“ sein als der der Union, aber für die Abgeordneten der CDU/CSU durchaus „zustimmungsfähig“ sein. Tatsächlich ist die Frage der Solidarität mit der geschundenen Ukraine inzwischen zu einem derart vermeintlichen Konsensthema geworden, dass die Regierungsfraktionen an die Union appellieren können, hier doch parteiübergreifend geschlossen zu agieren, was sie sicher bei vielen anderen Themen gar nicht erwarten würden. Das Ganze hat nur den Schönheitsfehler, dass sich die Regierungsfraktionen eben selbst untereinander gar nicht einig sind. Da scheint es schwierig, die Leute von der anderen Straßenseite auch noch mit dazuzuholen. Zum Beginn der Woche gibt es nur die Ouvertüre, bis zu Peripetie werden wir in diesem Drama der Woche noch manche Steigerung und manche Verzögerung erleben.

Der Koalitionsausschuss ist ein Gremium, das unsere Verfassung nicht kennt

Der Dienstag ist der Tag der Fraktionen. Nun also muss sich erweisen, wie die Eigenlogiken der Parteien mit der Regierungslinie harmonisiert werden können. Zwar hatte am Wochenende der FDP-Parteichef via Videoschalte aus Washington auf seinem Parteitag gesprochen und das Vertrauen der Liberalen gegenüber dem Bundeskanzler versprochen. Zugleich aber sammelte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann Sympathiepunkte ein – mit ihrem klaren Kurs für mehr Entschiedenheit bei den Waffenlieferungen. Das also müssen die Fraktionen heute zusammenbinden, denn ähnlich uneinheitlich sieht es auch bei den Grünen und der SPD aus. Der Grünen-Politiker und Vorsitzende des Europaausschusses Anton Hofreiter ist unlängst angesichts des Ukrainekriegs zum Waffenfreund mutiert. Auch er beklagt die zögerliche Haltung des Bundeskanzlers. Schwer vorstellbar, dass er dem durch das Bundeskanzleramt ziemlich kastrierten Antragsentwurf zustimmt. Für den Abend ist eine Sitzung des sogenannten Koalitionsausschusses anberaumt, ein Gremium, das unsere Verfassung nicht kennt, und dennoch zum Game-Changer der Wochendynamik werden könnte. Da Bundesfinanzminister Christian Lindner wohl aus den USA zurück ist, kann die Runde intensiv und lange tagen.

Am Mittwoch schließlich gehört die Tanzfläche zunächst den Bundestagsausschüssen. Strack-Zimmermann hatte medienwirksam den Bundeskanzler in ihren, den Verteidigungsausschuss, eingeladen, „nicht vorgeladen“, wie sie betonte. Olaf Scholz sagte auch sein Kommen zu, um den Abgeordneten über die militärische Ukrainehilfe Auskunft zu geben. Allerdings hat er seine Visite erst für Mai angekündigt, sodass der Verteidigungsausschuss diese Woche wohl ohne den Kanzler tagt, was also ganz klar als retardierendes Moment im Verlauf dieses Schauspiels zu betrachten wäre. Strack-Zimmermann hat die Ausschussmitglieder für Mittwoch, 7.30 Uhr, ins Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.700, einbestellt. Unter TOP 7 wird der „Stand der Abgabe sensitiven militärischen Materials“ an die Ukraine debattiert. Da hätte man sicher auch jetzt schon gerne mit dem Bundeskanzler gesprochen.

Auf der Tagesordnung steht das Sondervermögen Bundeswehr

Im weiteren Verlauf des Tages beginnt die Plenarwoche, das heißt die Sitzung des Bundestages in Vollformation. Auf der Tagesordnung steht die erste Debatte über das Sondervermögen Bundeswehr, das mit 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Das Sondervermögen braucht die Zustimmung der Opposition, also wird auch dies keine leichte Übung für die Regierung. Aus der Union gibt es die klare Aussage, so wie vorgeschlagen werde man das OK nicht geben. Damit wäre das Sondervermögen gescheitert, da eine Mehrheit für eine Grundgesetzänderung fehlen würde. CDU/CSU fordern Einsparungen für die Bundeswehr im regulären Etat und einen Tilgungsplan für die neuen Schulden. Auf diese Forderungen ist die Ampel bisher noch nicht eingegangen. 

Der Terminkalender des Bundeskanzlers funktioniert noch nach einer ganz eigenen Logik. Die Exekutive folgt da in ihren Abläufen nicht immer dem Spielplan des Parlaments. Soviel Gewaltenteilung muss sein. Mittwochs tagt um 11 Uhr das Kabinett, das ist der zumindest offizielle Dreh- und Angelpunkt der Regierungswoche, das Magnetfeld, nach dem sich die Minister und Staatssekretäre ausrichten. Außerdem steht für diesen Mittwoch noch die Teilnahme „BK Scholz an der Auftaktveranstaltung zum Girls‘ Day 2022“ im Kalender. Das gehört auch dazu. Problematischer für den in dieser Woche laufenden politischen Kampf um die Militärhilfen für die Ukraine ist ein anderer Eintrag im Kalender des Regierungschefs. Für Mittwochabend vermerkt der Kanzlerkalender: „Reise BK Scholz (bis 29.04.2022)“. Ziel: Japan. Ob vorher noch die Ukraine-Anträge im Bundestag beraten werden können, darüber feilschen noch die Unterhändler. Es könnte auch eine verbundene Debatte mit den Beratungen über das Sondervermögen geben. Auch in einer durchgetakteten Plenarwoche sind Überraschungen nie ausgeschlossen. Sitzungswochen sind dann doch jede für sich nie Generalprobe, immer Premiere.

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