Umgang mit der AfD - „Die Strategie der Brandmauer ist gescheitert“

Die AfD wäre aktuellen Umfragen zufolge bei Bundestagswahlen derzeit die zweitstärkste Kraft. Im Interview spricht der Historiker Hubertus Knabe über die bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland und das Versagen der Brandmauer-Strategie.

Politik und Medien setzen sich kaum inhaltlich mit der AfD auseinander, sagt Hubertus Knabe / dpa
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Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Hubertus Knabe arbeitet als Historiker an der Universität Würzburg und gilt als Kenner der Geschichte der DDR und der neuen Bundesländer. Er ist Mitglied des Zeithistorischen Beirates der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Herr Knabe, in diesem Jahr stehen uns die Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen bevor. Die AfD liegt in aktuellen Umfragen in allen drei Bundesländern bei deutlich über 30 Prozent. Wird unser Land ein politisches Erdbeben erleben?

Wenn bis September nichts mehr Gravierendes geschieht, wird die AfD in Ostdeutschland erheblich an Stimmen dazugewinnen. Laut Umfragen lag sie in Brandenburg zuletzt bei 27 Prozent, in Thüringen bei 34 und in Sachsen bei 35 Prozent. Damit wäre sie in allen drei Bundesländern stärkste politische Kraft. Da die AfD jedoch einen Koalitionspartner benötigt und keine andere Partei mit ihr koalieren will, droht Ostdeutschland unregierbar zu werden.

Während der Corona-Pandemie und des Ausbruchs des Ukraine-Krieges erfuhr die AfD einen deutlichen Zustimmungseinbruch. Manche Kommentatoren sprachen gar davon, die Partei würde sich in die politische Bedeutungslosigkeit verabschieden. Doch das Gegenteil ist eingetroffen: Die AfD ist in Umfragen auf Bundesebene derzeit die zweitstärkste Kraft und damit so erfolgreich wie nie zuvor. Wie erklären Sie sich das?

Umfragen zufolge wählen die meisten nicht deshalb AfD, weil sie von ihr überzeugt sind, sondern weil sie von den anderen Parteien enttäuscht sind. Begründet wird dies zuallererst mit der Migrationspolitik. Da keine andere Partei der Masseneinwanderung wirksam entgegentritt, geben viele aus Protest der AfD ihre Stimme. An zweiter Stelle kommt die Energiepolitik. Vor allem der Unmut über das Heizungsgesetz hat der AfD viele neue Wähler beschert. Als dritter Grund wird die Wirtschaftspolitik genannt. Viele haben den Eindruck, dass es mit Deutschland wirtschaftlich bergab geht und dass die anderen Parteien dies befördern. Hinzukommt, dass sich Politik und Medien kaum inhaltlich mit der AfD auseinandersetzen. Viele Politiker und Journalisten denken, es reicht, die Partei als rechtsextrem abzustempeln.

Hubertus Knabe / dpa

Warum erfährt die AfD insbesondere in Ostdeutschland einen derartigen Zuspruch?

Der Westen ist seit den 1960er Jahren an Migration gewöhnt – für den Osten ist das eine vergleichsweise neue Erfahrung, zumal in dieser Geschwindigkeit. Die Auswirkungen dieser Einwanderungspolitik sieht man in den Fußgängerzonen der Innenstädte, den Flüchtlingsheimen am Stadtrand und den Schulen der Kinder. Viele haben Angst, zu Fremden im eigenen Land zu werden. Zudem ist die Parteienbindung im Osten geringer als im Westen. Die Hemmschwelle, AfD zu wählen, ist deshalb niedriger. Hinzukommt eine gewisse Trotzhaltung gegenüber der politischen Elite in Berlin. Die gab es schon zu DDR-Zeiten gegenüber der SED-Führung und sie hat sich durch die Friedliche Revolution von 1989 noch verstärkt. Staat und Regierung werden nicht als Repräsentanten des Volkes betrachtet, sondern als feindliche Macht, gegen die man sich wehren muss.

Im Osten wird die AfD zudem von vielen nicht als bedrohlich empfunden. In Plauen, so wurde mir dort erklärt, sitzt zum Beispiel der Optiker für die Partei im Stadtrat. Den kennen die Leute schon seit Jahren und der sei mit Sicherheit kein Extremist. Anderswo sind es Handwerker oder Anwälte, also angesehene Leute. Viele fragen sich, warum sie die nicht wählen sollen.

In den ostdeutschen Landtagswahlen werden wir höchstwahrscheinlich erleben, dass die etablierten Parteien mit der Bildung von Viel-Parteien-Koalitionen die AfD als Regierungspartei verhindern werden. Welche Auswirkung wird es auf die politische Kultur haben, wenn die stärkste Partei von der Macht ausgeschlossen und das Votum der Bürger nicht gehört wird?

Wenn sich alle übrigen Parteien gegen die AfD zusammenschließen, gibt es neben ihr nur noch einen einzigen politischen Block. Im Osten erinnert das manche an die „Nationale Front“ der DDR. Und die Aussicht darauf wird die AfD noch stärker machen. Denn selbst wenn man CDU wählt, bekommt man am Ende eine Regierung, in der die Linke mit am Kabinettstisch sitzt. Es schadet aber auch der Demokratie insgesamt, wenn die Unterschiede zwischen den Parteien nicht mehr erkennbar sind und die stärkste Gruppe von der Regierung ausgeschlossen wird. Viele fragen sich dann, wozu es überhaupt Wahlen gibt.

Ist die Strategie der Brandmauer gescheitert?

Die Strategie der Union, dass es rechts von der CDU/CSU keine politische Kraft von Bedeutung geben darf, war lange Zeit durchaus erfolgreich. Ich erinnere an die Wahlerfolge der NPD in den 1960er und 1970er Jahren oder das Aufkommen der Republikaner. In beiden Fällen hat die Strategie gewirkt. Doch wenn eine Partei den Nerv ihrer Zeit trifft und dabei kaum Konkurrenz hat, wird sie durch Ausgrenzung eher noch gestärkt. Das konnte man schon beim Aufkommen der Grünen im Westen beobachten. Auch im Osten war dies der Fall, als sich die ehemalige Staatspartei der DDR unter dem Namen PDS als Sprachrohr der Ostdeutschen inszenierte. Bei der AfD ist inzwischen ebenfalls klar, dass die Strategie der Brandmauer gescheitert ist.

 

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War die Brandmauer nicht zuletzt auch eine Strategie der Grünen und der SPD, welche der CDU Koalitionsmöglichkeiten nehmen und sie dadurch schwächen sollte?

Zweifellos liegt es im Interesse von SPD und Grünen, die CDU an einem Bündnis mit der AfD zu hindern – denn dann landen sie automatisch in der Opposition. Das Vorgehen erinnert an den Umgang der CDU mit der PDS in den 1990er Jahren: Solange es ein Tabu war, mit der PDS zu koalieren, stellte die CDU als stärkste Partei in den meisten ostdeutschen Bundesländern den Ministerpräsidenten. Das änderte sich erst, als sich die SPD nicht mehr an dieses Verdikt hielt. In Sachsen-Anhalt bildete sie 1994 erstmals eine Minderheitenregierung, die von der PDS geduldet wurde. Später koalierte sie ganz offiziell mit der PDS.

Das Beispiel ist auch deshalb interessant, weil es zeigt, was danach passierte: Die Wahlergebnisse der PDS gingen nämlich zurück. Die Partei wurde entzaubert, weil sie plötzlich Realpolitik betreiben musste. Zugleich deradikalisierte sie sich, weil sie nun Leute brauchte, die nicht nur Sprüche klopfen, sondern ein Ministerium managen konnten. Regierungsbeteiligungen fördern den Realitätsbezug radikaler Oppositionsparteien. Das würde auch der AfD guttun.

Was raten Sie den etablierten Parteien, wie Sie mit der AfD umgehen müssen, um diese wirkungsvoll zu bekämpfen?

Ich rate vor allem zu einem sachlichen Umgang. Beschimpfungen machen die AfD nur stärker. Auch wer Anträge im Parlament allein deshalb ablehnt, weil sie von der AfD kommen, überzeugt damit keine Wähler. Wenn die AfD etwas Vernünftiges vorschlägt, sollte man dies auch anerkennen. Wenn sie hingegen Dinge fordert, die für Deutschland gefährlich sind, muss man erklären, warum. Die AfD will zum Beispiel die Nord-Stream-Leitungen wieder in Betrieb nehmen – das würde die Bundesrepublik erneut von Putins Launen abhängig machen. Sie will auch die EU durch eine „Europäische Wirtschafts- und Interessensgemeinschaft“ ersetzen – das würde Deutschland und seine Nachbarn zum Spielball der Chinesen machen.

Ganz konkret gefragt: Würden sie der CDU in den ostdeutschen Bundesländern raten, in eine Koalition mit der AfD einzutreten?

Dafür fehlen momentan die Voraussetzungen. Die CDU müsste erst einmal auf kommunaler Ebene schauen, ob eine Zusammenarbeit möglich ist. Wenn sich dabei herausstellen sollte, dass die Partei durchaus pragmatische Leute in ihren Reihen hat, ist auch eine Zusammenarbeit auf Landeseben denkbar. Bis zu den Landtagswahlen im September ist es für diesen Weg allerdings zu spät. Jetzt kommen nur noch Modelle in Frage, die nicht auf eine direkte Regierungsbeteiligung der AfD hinauslaufen. Also eine Minderheitsregierung, die sich von Fall zu Fall im Parlament ihre Mehrheiten sucht. Das ist allemal besser als eine All-Parteien-Koalition gegen die AfD.

Die SPD-Parteivorsitzende Esken forderte in dieser Woche ein Verbot der AfD. Diese sei rechtsextrem und stelle daher eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung dar. Was denken Sie über diese Verbotsforderung?

Saskia Esken beschert der AfD mit dieser Forderung wieder ein paar Prozentpunkte mehr. Wer eine von mehr als 30 Prozent der Wähler unterstützte Partei verbieten möchte, der wird sich den Zorn vieler Menschen zuziehen. Auch bislang Unentschlossene werden schon aus Trotz nun die AfD wählen.

Die Forderung ist zudem chancenlos. Was ich bisher an Begründungen dazu gelesen habe, ist jedenfalls äußerst dünn. So stützt sich das Deutsche Institut für Menschenrechte in seinem Gutachten allein auf die Behauptung, die AfD würde gegen Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Mit ihrer Politik spreche sie den Migranten diese Würde ab. Wenn das der Maßstab sein soll, müsste man alle Parteien verbieten, die es ablehnen, jedem Einwanderer sofort die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen.

In Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden die AfD-Landesverbände durch die jeweiligen Landesämter des Bundesverfassungsschutzes als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Ist dies nicht ein gewichtiger Grund, der für ein mögliches Parteiverbotsverfahren gegen die AfD spricht?

Der Verfassungsschutz ist eine nachgeordnete Behörde des Innenministeriums. Er ist also weisungsgebunden. Liest man die Statements der Ämter, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese von den Regierungsparteien zunehmend instrumentalisiert werden. Insbesondere der Thüringische Verfassungsschutzchef Stephan Kramer agiert eher wie ein Politaktivist als wie der Leiter eines Nachrichtendienstes. 

Aber auch diese eigentlich zur Neutralität verpflichteten Ämter werfen der AfD nicht vor, eine Diktatur errichten zu wollen. Ihre Einstufung fußt vielmehr auf dem Vorwurf der „Abwertung zugewanderter Menschen“ – wie es im Verfassungsschutzbericht von Thüringen heißt. Damit das Bundesverfassungsgericht eine Partei verbietet, ist es jedoch erforderlich, dass sie „nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt.“ Das zu belegen, dürfte schwierig sein.

In Italien ist mit Giorgia Meloni bereits eine Rechtspopulistin Regierungschefin und in unserem Nachbarland Österreich regierte die FPÖ auf Bundesebene bereits in einigen Legislaturperioden mit. Wird es auch in Deutschland zu einer Normalisierung der AfD als Regierungspartei kommen?

Der Blick über den Tellerrand ist immer hilfreich. Wie wurde vor Giorgia Meloni als Wiederauferstehung des italienischen Faschismus gewarnt! Inzwischen arbeitet Olaf Scholz eng mit ihr zusammen. Die Ideologie verliert offensichtlich an Bedeutung, wenn man regiert. Das dürfte bei der AfD nicht anders sein. Allerdings ist ein pragmatischer Umgang mit radikal rechten Parteien in Deutschland aufgrund seiner Geschichte schwieriger als in anderen Ländern. 1933 mündete die Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler in eine verbrecherische Diktatur.

Die Sorge, dass dies auch mit der AfD passieren könnte, muss man sicher ernst nehmen. Doch die AfD ist weder nach dem Führerprinzip aufgebaut noch verfügt sie über eine paramilitärische Sturmabteilung von mehr als 400.000 Mann. Björn Höcke soll auch nicht Bundeskanzler werden. Vor allem aber lässt es das Grundgesetz nicht mehr zu, dass ein Kanzler mit Notverordnungen des Präsidenten regiert. Denn erst die Reichstagsbrandverordnung beendete die Demokratie von Weimar. Wer heute dagegen in Deutschland eine Diktatur errichten möchte, kann das nicht auf legalem Wege tun, sondern nur durch einen Putsch. Diese Gefahr kann ich nicht erkennen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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