Umfragehoch der AfD - Verpönte Debatten

Über die AfD-Erfolge rätselt die politische Klasse. Rechte Schreckensbilder erscheinen an der Wand. Aber ist unsere Demokratie tatsächlich in Gefahr? Oder ist das, was gerade geschieht, die eigentliche Demokratie – Streit, polemisch, wütend gar, also voller Emotionen?

Die Demokratie ist kein evangelischer Kirchentag: Boxring / dpa
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Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Mehr als 20 Prozent der Bundesbürger wollen die Alternative für Deutschland wählen. In den östlichen Bundesländern hat die AfD sogar noch höhere Zustimmungswerte. Steht die Machtübernahme der Rechtsextremen bevor? 

Deutschland malt gerade mit dürrenmattscher Lust am Schrecklichen die allerschrecklichste Wendung des Geschehens an die Wand. Zur Abschreckung der Wähler. Wer verbreitet diesen Schrecken? Eine Allianz der politisch-medialen Kräfte, von denen neue AfDler – brave Sozialdemokraten, strikte Liberale, sanftmütige Christdemokraten – den Hals voll haben.

Herrschaft von oben nach unten

Laut Kevin Kühnert „zersetzt“ die AfD die Demokratie. Schließt der SPD-Generalsekretär die AfD-Wähler in dieses Verdikt ein? Dann wären auch Genossen mitgemeint, die in seinen Augen noch bei den letzten Wahlen als Demokratiegaranten galten, weil sie damals treu der SPD ihre Stimme gaben. So schnell verspielen Wähler die Gunst der von ihnen Gewählten. 
Herrschaft – von oben nach unten. 

Wenn es hart auf hart geht, dürfen AfD-Wähler auch „Bodensatz“ genannt werden – „à la guerre comme à la guerre“, wie Franzosen solche Wortkriege zu beschreiben belieben. Und um Krieg gegen den Feind geht es gerade. Wer Bild liest, weiß es längst: „Das Demokratie-­Beben“ verkündet des Volkes publizistischer Seismograf. 

 

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Die Grenzen zwischen Freund und Feind sind scharf gezogen: „Rechts“ ist schon rechtsaußen. Wolfgang Kubicki, kämpferisch fröhlicher FDPler, verwahrt sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegen den linguistischen Kurzschluss: „Probleme benennen ist nicht rechts.“ Herrschaft von oben nach unten als Sprachherrschaft. 

Es wäre ein Aberwitz der Politik

Aber ist die bundesdeutsche Demokratie tatsächlich in Gefahr? Oder ist das, was gerade geschieht, die eigentliche Demokratie – Streit, polemisch, wütend gar, also voller Emotionen? In der Demokratie geht es nun mal zeitweise heftig her, oft nach langen Phasen kompromissgeprägter Langeweile, die bis zur Unpolitik führen kann, wie in den 16 Merkel-Jahren. Es könnte ja sein, dass der Unwille, der sich gerade im Zuspruch für die AfD niederschlägt, Ausdruck lebendiger Demokratie ist.

Die Demokratie ist kein evangelischer Kirchentag, wo draußen zu bleiben hat, wer den linksgrünen Oberhirten nicht folgen mag. Das klerikale Ausschlussverfahren empfehlen derzeit auch erwählte Demokratiebewahrer: Man müsse die böse Partei verbieten – ihre Wähler gleich mit. 

Es wäre der Aberwitz einer Politik, die stracks zu den Erfolgen der AfD geführt hat. Wolfgang Kubicki benennt das Schlüsselwort für die aktuelle Malaise: das Benennen! Womit der furchtlose Analytiker aus Schleswig-Holstein ein Verfahren empfiehlt, das früher selbstverständlich war: die Probleme „beim Namen zu nennen“ – seit je zentrale Forderung der Bürger an ihre Politiker. 

Vorbild Schweiz

Leider ist diese Tugend mit Merkels Kurzsatz-­Kultur des „Wir schaffen das“ und des „Sie kennen mich“ aus der Mode gekommen. Ein großes Schweigen umgibt die Asylpolitik – das große Problem nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas: Das notorische Beschweigen des Kulturkonflikts zwischen Migranten aus islamistisch­reaktionären Religionskulturen und demokratiegewohnten Bürgern der säkularen westlichen Freiheitskultur. 

Über die Unvereinbarkeit dieser Weltverständnisse soll niemand diskutieren. Sie wird systematisch weggeschwiegen. Ein Rezept, das besonders eklatant in Frankreich versagt hat, wie eine marodierende Banlieue-Jugend der Welt jüngst erneut vor Augen führte. 

Macht es jemand anders? Vielleicht sogar besser? Im Jahr der freisinnigen Revolution darf hier die Schweiz erwähnt werden, seit 175 Jahren Republik – wenngleich nicht frei von Fehlern, wie etwa der fatalen Verspätung beim Frauenstimmrecht. Immerhin führt die direkte Demokratie den europäischen Zeitgenossen vor, was dieses Beim-Namen-Nennen bedeutet – dieses unverblümte Aussprechen, was ist. 

Demokratie-Hygiene

Die größte Partei der Eidgenossenschaft ist die Schweizerische Volkspartei, SVP: Ja, sie ist rechtspopulistisch, ja, zu ihr gehören Figuren, die nach rechtsaußen keine braune Linie kennen. Diese rechte Rechte hat soeben eine Volksinitiative angekündigt, die verhindern soll, dass mehr als zehn Millionen Menschen das Land bevölkern – eine Anti-Migrations-Initiative. 

Zu den bisherigen SVP-Volksbegehren zählen die Minarett-Initiative, die Ausschaffungs-, die Einwanderungs-, die Durchsetzungs-, die Selbstbestimmungs- und die Burka-Initiative. Alles monate- bis jahrelange offene Debattenschlachten um Themen, die von den Parteien der bürgerlich-linksbürgerlichen Mehrheit der Schweiz systematisch verdrängt wurden.

Ganz wie in Deutschland. 

Doch in der Eidgenossenschaft reden und zürnen und polemisieren und donnern die von unten, ohne Rücksicht auf die von oben! 
Seelendoktoren haben dafür einen Begriff: Psychohygiene. Ins Politische übersetzt: Demokratie-Hygiene.

Einfach mal losdiskursieren

Wäre das nicht auch etwas für Deutschland? Einfach mal losdebattieren, das Mediengeschwätz vom Diskurs endlich mal einlösen. Schließlich leitet sich das Wort „Diskurs“ vom lateinischen „discurrere“ ab, dem Laufen in verschiedene Richtungen – also nicht in die Richtung all der TV-Talkshows mit ihrem Chor wohlgefälliger Wortmeldungen. 

Endlich freie, freche Bürgerinnen und Bürger. Was auch immer sie gewählt haben: gute, zugelassene oder böse, verpönte Parteien. 

Deutschlands Demokratie könnte besser sein als ihr gegenwärtiger Ruf im eigenen Land.

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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