Bund finanziert zivile Seenotrettung - Früher skandaltauglich, heute Daily Business

Erstmals wird ein Verein, der zivile Seenotrettung betreibt, aus dem Haushalt unterstützt. 2 Millionen Euro jährlich bekommt United4Rescue künftig vom Bund. Damit sendet die Bundesregierung nicht nur widersprüchliche Signale. Im Vorstand des Vereins sitzt auch noch der Lebenspartner einer einflussreichen Grünen-Politikerin.

Zivile Seenotrettung von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer vor Libyen / picture alliance
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Das ganze Prinzip ist hochgradig pervers. Menschen aus dem afrikanischen Raum zahlen Tausende von Dollar an Schlepperbanden, um hinaus aufs Mittelmeer gebracht und dort ihrem Schicksal überlassen zu werden. Das Geschäftsmodell ist für die Kriminellen sehr lukrativ, für die meist jungen Männer, die dann irgendwo auf hoher See und oft in überfüllten Booten treiben, geht es dagegen um Leben und Tod. Werden sie gefunden, steht der Weg nach Europa für sie vielleicht offen. Wenn nicht, gehen sie als weiterer Todesfall in die Statistik ein. Survival of the fittest, lautet die Devise, oder vielleicht eher: Survival of the luckiest. 21.500 Flüchtlinge, so eine Schätzung der UN-Flüchtlingshilfe, sollen seit 2014 im Mittelmeer ertrunken sein. 

Weil dem so ist, sollte es eigentlich EU-Räson sein, alles zu unterbinden, was diese Menschen in die Hände der Schlepper und hinaus auf hohe See lockt. Denn bis heute gibt es keine gesamteuropäische Strategie bei der Migration. Heftig diskutiert wird in dem Zusammenhang seit Jahren auch über die zivile Seenotrettung. Der Gedanke hinter selbiger ist erstmal richtig und ehrenwert: Niemand will Menschen ertrinken lassen. Es gibt aber auch eine zweite Seite der Medaille, die direkt in ein moralisches Dilemma führt. Die Gretchenfrage lautet: Kurbeln zivile Seenotretter das Geschäft der Schlepper an? Und sind sie sogar mitverantwortlich dafür, wenn im Mittelmeer Menschen ertrinken, weil sich diese ohne das Engagement der NGOs vielleicht gar nicht erst auf den Weg gemacht hätten? 

Das Sterben im Mittelmeer

Die Rede ist vom so genannten Pull-Effekt, wonach künstlich geschaffene Anreize – Bilder der Willkommenskultur, Aussagen von Politikern oder eben die zivile Seenotrettung – dazu führen, dass die Zahl der Menschen, die sich über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa machen, steigt. Dieser wird von linken NGOs und Unterstützern zurückgewiesen und als rechtes Narrativ etikettiert. Sie argumentieren, dass Fluchtursachen vielfältig seien, man diese also nicht auf einen einzigen Effekt reduzieren könne. Zivile Seenotrettung sei daher humanitäre Hilfe, die dringend geleistet werden müsse. Sicherheitskreise sehen das ein bisschen anders.

Manuel Ostermann, stellvertretender Bundesvorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, lässt angesichts einer Ankündigung der Bundesregierung, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einen Verein für zivile Seenotrettung mit Geld aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes zu unterstützen, wissen: „Ich vermute, die NGOs schaffen nur weitere Anreize, die lebensgefährliche Route zu nutzen. Darüberhinaus ist Seenotrettung selbstverständlich keine Straftat, aber Schlepperei sehr wohl. Seenotrettung gehört in staatliche Hand und sonst nirgends hin.“ Wohlgemerkt: Ostermann plädiert nicht dafür, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Sondern dafür, dass Seenotrettung nicht Aufgabe privater Organisationen sei, sondern der Staaten und ihrer Sicherheitsbehörden. 

Konkret geht es um einen Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestags, wonach dem Verein United4Rescue ab 2023 bis 2026 jedes Jahr zwei Millionen Euro aus der Staatskasse überwiesen werden sollen. Zwei Rettungsschiffe gehören dem Verein, ein weiteres soll im Frühjahr 2023 in See stechen. Jamila Schäfer, die für den Etat des Auswärtigen Amtes zuständige Grünen-Bundestagsabgeordnete, sagte hierzu der Nachrichtenagentur AFP: „Wir nehmen das Sterben im Mittelmeer nicht hin, sondern unterstreichen als Ampel die Wichtigkeit der Einhaltung europäischen Rechts und der humanitären Hilfe.“

Ein Widerspruch in sich

Das kann man so sehen wie Schäfer, wird der Komplexität des Themas in der Gesamtbetrachtung allerdings nicht gerecht. Seit geraumer Zeit nämlich schlagen Kommunen, Landkreise und Sicherheitsbehörden in Deutschland Alarm. Weil allein in diesem Jahr schätzungsweise 1,4 bis 1,6 Millionen Flüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen sind, inklusive der Kriegsvertriebenen aus der Ukraine, gerät das deutsche Asylsystem mal wieder an seine Kapazitätsgrenzen (s. Cicero-Titelgeschichte 11/22). Wir sind, sagen manche Akteure sogar, längst mittendrin in der nächsten Flüchtlingskrise

Um den großen Zustrom – auch der Migrationsdruck aus dem Nahen Osten und den Maghreb-Staaten ist zuletzt wieder stark angestiegen – in den Griff zu bekommen, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) daher erst vor wenigen Wochen angekündigt, stärker gegen illegale Migration vorgehen zu wollen. Dafür soll unter anderem die europäische Grenzschutzbehörde Frontex gestärkt werden. Die Krux: Letztlich ist Frontex dafür verantwortlich, die europäischen Außengrenzen zu schützen, was freilich auch den Mittelmeerraum betrifft. Wird nun gleichzeitig die zivile Seenotrettung mit Mitteln aus der Staatskasse gestärkt, ist das eigentlich ein Widerspruch in sich.
 

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Denn die meisten Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa und schließlich nach Deutschland kommen, haben genau genommen keinen Asylgrund oder sind illegale Einwanderer. Ein Asylgrund liegt in der Bundesrepublik nämlich nur vor, wenn Menschen in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden. Bei den Flüchtlingen aus dem afrikanischen Raum handelt es sich aber zuvorderst um Personen, die Wirtschaftsflüchtlinge sind.

Das kann man diesen Menschen freilich nicht vorwerfen, man kann die juristische Unterscheidung sogar moralisch verwerflich finden, aber es ist geltendes Recht. Heißt im Umkehrschluss: Letztlich stärkt die Bundesregierung künftig mit 2 Millionen Euro einen Teil eines Systems, das illegale Migration im Zweifelsfall eher fördert als verhindert. Unabhängig davon, ob der Pull-Effekt nun eine besonders große Rolle bei derlei Wanderungsbewegungen spielt oder nur eine Ursache von vielen ist, warum sich Menschen auf den Weg über das Mittelmeer nach Europa machen. 

Ein politischer Präzedenzfall

Bedenklich ist auch die durch die Förderung offenbar werdende enge Vernetzung von Politik, Kirche und NGOs. Der Verein United4Rescue wurde im Jahr 2019 gegründet, auf Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zum Bündnis gehören laut eigenen Angaben derzeit 855 Partner, von Ortsgruppen von Amnesty International über kirchliche Hilfsorganisationen bis hin zur kommunistischen Antifa-Organisation „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)“ und dem US-Eisunternehmen Ben & Jerrys. Durch die Steuermillionen aus dem Haushalt schafft die Bundesregierung im Prinzip einen politischen Präzedenzfall, der die Grenze zwischen Staat und nichtstaatlichen Organisationen klar überschreitet. Bisher hat man diese wenigstens hintenherum überschritten, nun scheut man nicht mal mehr das offene Visier. 
 

Bundespolizeigewerkschafter Heiko Teggatz im Cicero-Podcast:

Interessant ist auch eine Personalie, die mit United4Rescue zu tun hat. Wie angemerkt, kommt die Idee der Bezuschussung des Vereins aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes von den Grünen. Im Vorstand des Vereins wiederum sitzt Thies Gundlach. Von Dezember 2010 bis Oktober 2021 war er einer der Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD. Wem Gundlach kein Begriff ist, der dürfte wahrscheinlich seine Lebensgefährtin kennen, mit der er seit 2021 liiert ist: Die Rede ist von Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages. 

Grenzen zwischen Regierung und NGOs verwischen

Es ist eine Gemengelage, die zu Denken gibt. Wohin steuert ein Staat, in dem die Grenzen zwischen Bundesregierung und NGOs zunehmend und ganz selbstverständlich aufgeweicht werden? Was sagt das über die Grünen, dass sie keine Bedenken haben, wenn der Vorsitzende eines Vereins, der künftig mit 2 Millionen Euro jährlich vom Staat gefördert wird, mit einer der einflussreichsten Grünen-Politikerinnen des Landes liiert ist? Und was sagt es über das Verantwortungsbewusstsein einer Regierung für das eigene Land aus, die inmitten oder mindestens am Anfang der nächsten Flüchtlingskrise derart widersprüchlich handelt? Oder zumindest widersprüchliche Signale sendet. 

Als Außenstehender kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die jährlich 2 Millionen Euro für United4Rescue das nächste offensichtliche Indiz sind, dass das demokratische System in Deutschland irgendwie in Schieflage geraten ist. Und zwar derart, dass jene, die von dieser Schieflage profitieren, sogar längst eine gewisse Schamlosigkeit offenbaren. Etwa, indem nicht einmal mehr versucht wird, sich des Eindrucks zu erwehren, die Bundesregierung würde Steuergelder nach dem Gesinnungsprinzip verteilen. Schon allein die Tatsache, dass der Lebensgefährte einer Grünen-Politikerin im Vorstand von United4Rescue sitzt, wäre von vielen Menschen im Land, inklusive Medien, vor nicht allzu langer Zeit noch als mindestens skandaltauglich gewertet worden. Heute fällt derlei offenbar unter Daily Business.

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