Stephan Weil möchte für immer auf russische Energie verzichten - Wenn moralischer Eifer das Hirn vernebelt

Der niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) will Energieimporte aus Russland dauerhaft ausschließen. Doch dies würde zu neuen, gefährlichen Abhängigkeiten führen. Nötig wäre vielmehr eine breite Diversifizierung zur Sicherung der Energiebasis, schreibt Mathias Brodkorb.

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hält einseitig an der Gesinnungsethik fest / picture alliance
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Während in ganz Deutschland immer mehr Menschen aus Angst vor unbezahlbaren Energiekosten auf die Straße gehen und vor allem im Osten Deutschlands sogar die Inbetriebnahme von Nordstream 2 fordern, hat Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dem eine klare Absage erteilt. Im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur (dpa) prophezeite er stattdessen, die Pipeline werde „nie in Betrieb gehen“. Der Grund: „Der Vertrauensverlust ist so fundamental, dass es nie wieder eine Situation geben wird, in der eine deutsche Bundesregierung auf Energie aus Russland setzen kann.“ Die Kooperationsmöglichkeit mit Russland sei „unwiederbringlich zerstört“.

Diese Bekenntnisse sind dabei gar nicht deshalb in erster Linie interessant, weil sie in Opposition zu jenen Menschen stehen, die dieser Tage an den Sanktionen gegenüber Russland zu zweifeln beginnen. Angeblich soll mittlerweile rund die Hälfte der Deutschen nicht mehr bereit dazu sein, weitere finanzielle Einbußen hinzunehmen. Die Äußerungen sind vor allem deshalb so bemerkenswert, weil mit ihnen die außen-, sicherheits- und energiepolitischen Fehler der letzten Jahrzehnte wiederholt werden - nur unter umgekehrten Vorzeichen.

Deutsche Erfolgsmodell bröckelt

Über die unterausgeprägte Lernbereitschaft deutscher politischer Eliten kann man sich daher nur wundern. Denn das genaue Gegenteil vom Falschen kann selbst auch falsch sein. Das liegt einfach daran, dass sich das wirkliche Leben nicht im Weiß und Schwarz, nicht allein in hehren Prinzipien hier und der empirischen Realität dort abspielt, sondern im Grau.

Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten durch eine einfache Konstruktion wirtschaftlich gesund gestoßen: Mit dem Untergang des Ostblocks wurden die Ausgaben für das Militär real mehr als halbiert und die Aufgabe der eigenen Sicherheitspolitik im Rahmen der Nato stillschweigend auf die USA ausgelagert. Zugleich hat Deutschland in Massen billige Energie und Rohstoffe aus Russland bezogen, auch um den USA kräftig wirtschaftlich Konkurrenz zu machen. Seit Jahrzehnten schon „erwirtschaftet“ die nordamerikanische Hegemonialmacht gegenüber Deutschland erhebliche Außenhandelsbilanzdefizite.

Zu bröckeln begann dieses Erfolgsmodell in dem Moment, als Donald Trump den Stecker zog. Weder wollte er weiterhin indirekt deutsche Militärausgaben bezahlen noch sich mit Billigenergie aus Russland von einem seiner Partner in die Tasche fassen lassen. Erst mit dem Ukraine-Krieg und dem Kappen der Gaslieferungen durch Russland an Deutschland steht der einstige Exportweltmeister aber so richtig mit dem Rücken zur Wand. Es droht nicht weniger als die Kernschmelze der deutschen, energieintensiven Industrie.

Wirklichkeit vor lauter Träumerei nicht mehr sehen können

Die fragwürdigen Folgen sind bekannt: Obwohl die Energieimporte aus Russland gedrosselt und beim Gas inzwischen zwangsweise ganz ausgesetzt wurden, sprudeln die Gewinne der russischen Engergieunternehmen, weil die Preise auf dem Weltmarkt außer Rand und Band geraten sind. Eigentlich wollte man aus moralischen Motiven Putin durch die Drosselung seiner Einnahmen die Möglichkeiten nehmen, den Ukraine-Krieg auf Dauer zu finanzieren. Eingetreten ist das Gegenteil. Das wird zwar nicht ewig so weiter gehen, aber Russland nimmt die Gewinne vorerst mit und nutzt die Zeit, um langfristig neue Abnehmer zu suchen: vor allem China und Indien.

Währenddessen bemüht sich Deutschland darum, von anderen Staaten mit Gas beliefert zu werden: von Katar zum Beispiel, das sonst als „Schurkenstaat“ gilt. Oder von Kanada. Bisher schließt Deutschland auch aus ökologischen Gründen kategorisch aus, in Deutschland Fracking-Gas zu fördern. Künftig wird es aber eben solches aus anderen Staaten beziehen. Eigentlich diente die Absicht, kein Gas mehr aus Russland zu importieren, ganz hehren Zielen, die man nun an anderer Stelle zwangsläufig mit Füßen treten muss.

 

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Aus all dem könnte man eines lernen: In der Außen-, Sicherheits- und Geopolitik geht es nicht in erster Linie um Moral, sondern um Interessen und Zweckmäßigkeiten. Das muss und darf nicht bedeuten, dass Moral hier gar keine Rolle spielen darf. Aber moralischer Eifer sollte einem das Hirn nicht so sehr vernebeln, dass man die Wirklichkeit vor lauter Träumereien nicht mehr sieht.

Verzicht auf Energielieferungen aus Russland: „geostrategisch unklug“

Und zu einer solchen Träumerei würde es auch gehören, für immer sämtliche wirtschaftliche Beziehungen zu Russland zu kappen. Die Folge wäre offensichtlich: Die Probleme Deutschlands bestehen ja gerade in der energiepolitischen Abhängigkeit von einer Großmacht. Was Weil nun fordert, läuft aber auf genau dasselbe in umgekehrter Richtung hinaus. Es entstünden problematische Abhängigkeiten einfach zu anderen Staaten. Eigentlich lernt man ja schon zu Beginn eines jeden wirtschaftswissenschaftlichen Studiums, dass man Risiken durch Streuung begrenzt, und nicht nicht durch Klumpen-Abhängigkeiten auch noch vergrößert.

 

 

Aber es besteht nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein geostrategisches Interesse der westlichen Welt, Russland nicht für immer zu verdammen. Der Chef des ifo-Institutes, Clemens Fuest, hat schon vor Monaten gebetsmühlenartig auf diesen Zusammenhang hingewiesen.

Auf Energielieferungen aus Russland völlig zu verzichten erklärte er für „fragwürdig“, sogar für „geostrategisch unklug“. Der Grund hierfür ist nicht schwer zu verstehen: Nur wer weiterhin mit Putin und Russland Geschäfte mache, halte „Druckmittel“ gegen ihn in der Hand. Und wer völlig und für immer auf sie verzichtet, so kann man den Gedanken fortsetzen, treibt Russland nur in die Hände anderer Abnehmer und sich selbst in die forcierte Abhängigkeit gegenüber Dritten.

Fuest plädiert stattdessen für den Aufbau von „Parallelstrukturen“, so dass Deutschland stets flexibel zwischen Energielieferanten wechseln könne. Es müsse darum gehen, die bestehende beidseitige Abhängigkeit in eine „einseitige Abhängigkeit Russlands von der EU“ zu verwandeln. Auf derartige Gedanken kann man aber nur kommen, wenn man nicht in erster Linie moralinsauren Schaum vor dem Mund hat.

Außenpolitik bleibt ein Feld für Verantwortungsethiker

Dabei sprechen ja selbst moralische Gründe dafür, dass Ministerpräsident Stephan Weil am besten sogleich widerruft, was er eben erst verkündet hat. Allein die Enthemmung, das gesamte russische Volk für seinen skrupellosen Präsidenten auf ewig in Haftung zu nehmen, ist eine Form der Kollektivschuldthese, die selbst für einen Deutschen bemerkenswert ist.

Nach der Logik Weils nämlich hätten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich den Morgenthau-Plan umsetzen, also Deutschland in einen unterentwickelten Agrarstaat zurück katapultieren müssen. Wenn das Handeln Putins eine Rechtfertigung dafür sein soll, das gesamte russische Volk auf ewig zu verdammen, dann hätte die Welt Deutschland nach Hitler erst recht auf ewig in der Hölle schmoren lassen müssen.

Aber genau das haben die Alliierten aus guten Gründen nicht getan sondern stattdessen den Marshall-Plan und den Wiederaufbau Deutschlands ins Werk gesetzt. Damals wurde offenbar noch begriffen, dass alle noch so gut gemeinten moralischen Motive kluges und strategisches Entscheiden nicht ersetzen können. Außenpolitik ist und bleibt eben ein Betätigungsfeld für Verantwortungs- und nicht Gesinnungsethiker. Das fühlt sich nicht immer gut an, aber es funktioniert.

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