Schuldenpolitik der Ampel-Regierung - „Verfassungsverstoß begründet keine Notlage“

Die Bundesregierung hat verfassungswidrig Schulden aufgenommen. Folgt jetzt eine Legitimierung des Vorgangs durch eine nachträgliche Feststellung einer Notlage? Im Interview erklärt der Staatsrechtler Christian Hillgruber, warum ein solcher Vorgang „höchst fraglich“ wäre.

Nach dem Verfassungsgerichtsurteil fehlen dem Bundeshaushalt Milliarden. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Christian Hillgruber ist Professor für öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Seine Schwerpunkte sind Staatsrecht, Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Zuletzt sind von ihm eine Monografie zur Religionspolitik und ein Herausgeberband zur Hohenzollerndebatte erschienen. 

Herr Hillgruber, das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum Haushaltsrecht eine Regierungskrise ausgelöst. Nun wird diskutiert, welche Folgen das hat und wie weit sich das Urteil über den eigentlichen Gegenstand hinaus erstreckt. Woran müssen sich künftig Bund und Länder halten?

Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil drei klare Grundsätze markiert, an denen sich der Haushaltsgesetzgeber streng zu halten hat. Erstens muss stets, wenn eine Neuverschuldung wegen einer Notsituation erfolgen soll, der notwendige Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten konkreten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen ausreichend dargelegt werden. Dies war beim „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF; vormals: „Energie- und Klimafonds“ [EKF]) nicht der Fall. Hier sollten zur Bewältigung der Corona-Krise bewilligte, aber dafür nicht in Anspruch genommen Kreditmittel entgegen der ursprünglichen Haushaltsplanung und dem dazu gefassten Beschluss des Bundestags nunmehr für andere als die ursprünglich avisierten Krisenbewältigungsmaßnahmen genutzt werden. Das ist nicht schlechthin unzulässig, bedarf aber einer besonderen Begründung, die hier fehlte.

Zweitens sind die Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit zu beachten. Kreditermächtigungen, die in einem bestimmten Haushaltsjahr ausgebracht werden, können nur zur Deckung von Ausgaben verwendet werden, die in eben diesem Haushaltsjahr anfallen. In einem bestimmten Haushaltsjahr bereitgestellte Kreditermächtigungen im nächsten Haushaltsjahr ohne Anrechnung auf die Verschuldensgrenze dieses Haushaltsjahres zu verwenden und stattdessen auf das vorherige Haushaltsjahr anzurechnen, ist unzulässig. 

Drittens ist es verfassungswidrig, einen Nachtragshaushalt zu verabschieden, wenn das Haushaltsjahr, auf das er sich bezieht, schon abgelaufen ist.

Halten Sie dann in der Folge auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, den sogenannten „Doppelwumms“, der etwa die Strompreisbremse finanziert, für verfassungswidrig?

Die Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass der Gesetzgeber eine Gestaltungsform wählt, bei der Kreditermächtigungen für ein juristisch unselbständiges Sondervermögen (Nebenhaushalte) nutzbar gemacht werden. Solche Nebenhaushalte werden von dem grundsätzlichen Verbot der Neuverschuldung und den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Ausnahmen erfasst. 

Für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds gilt insoweit nichts anderes als für den Klima- und Transformationsfonds. Dagegen ist das Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro von den für Kreditermächtigungen im allgemeinen geltenden Verschuldensgrenzen nach Art. 87a Abs. 1a GG explizit ausgenommen.

Christian Hillgruber / Foto: Frank Schoepgens

Nun wird diskutiert, ob sich noch für das laufende Jahr 2023 eine Notlage feststellen ließe, um dann Schulden aufnehmen zu können, die unter den Vorgaben der Schuldenbremse zulässig wären.

Noch mal zur Klarstellung: Im Grundgesetz ist festgeschrieben, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten aufgestellt und ausgeglichen werden müssen. Bund und Länder können Ausnahmeregelungen vorsehen, die von der Normallage abweichende konjunkturelle Entwicklungen in Krisensituationen ausgleichen. Außerdem kommen Ausnahmen vom Neuverschuldungsverbot bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen in Betracht, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Ob eine solche Sonderlage aber noch nachträglich festgestellt werden kann, erscheint höchst fraglich. Der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verfassungsverstoß vermag eine solche Notlage jedenfalls nicht zu begründen, sondern sollte Anlass und Mahnung sein, wieder zu haushalterischer Disziplin und Ordnung zurückzukehren.

Inwieweit sind die Maßstäbe, die für den Bund gelten, auf die Bundesländer anwendbar? In Berlin, Bremen, NRW, dem Saarland und Schleswig-Holstein gibt es Sondervermögen im Umfang von zusammen rund 28 Milliarden Euro. Stehen auch diese zur Disposition?

Auch die Haushalte der Länder sind von Verfassungs wegen grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Die Feststellung des Verfassungsgerichts, der Einsatz von Sondervermögen dürfe nicht zur Umgehung der Schuldenbremse eingesetzt werden, „da anderenfalls erhebliches Umgehungspotential bestünde“, betrifft die Länder in gleicher Weise.

 

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Die meisten Länder geben als Begründung für die krisenbedingte Schuldenaufnahme Klimawandel und Ukrainekrieg an. Sind das zulässige Begründungen?

Ob diese Begründungen, und bejahenfalls in welchem Ausmaß und für welchen Zeitraum, tragfähig sind, bedürfte eingehender Prüfung. Die verfassungsgerichtlichen Darlegungsanforderungen sind zu Recht streng.

Die engen Grenzen der Schuldenbremse würden den Staat zu eng binden und ihn von wichtigen Zukunftsinvestitionen abhalten, wird jetzt gesagt. Teilen Sie die Kritik und würden zu Verfassungsänderungen raten?

Die Tatsache, dass das Verfassungsgericht anders als der Haushaltsgesetzgeber die vom verfassungsändernden Gesetzgeber eingeführte Schuldenbremse ernst nimmt, ist kein Grund, sie wieder zu verabschieden. Im Gegenteil, es ist höchste Zeit, dass sie eingehalten wird und alle möglichen Anstrengungen unternommen werden, durch Einsparungen an anderer Stelle wieder zu einem – von der Verfassung als Regelfall angesehenen – ausgeglichenen Haushalt ohne Kreditaufnahmen zurückzukehren.

Die Fragen stellte Volker Resing

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