Konsequenzen aus der Silvesternacht - Contra Böllerverbot: We shall overcome, Neukölln

Nach dem Silvesterchaos in Berlin und in anderen Großstädten des Landes werden Rufe nach einem bundesdeutschen Böllerverbot laut. Was spricht dafür? Was dagegen? Die Cicero-Redaktion hat zwei Sichtweisen aufgeschrieben. Lesen Sie hier einen Beitrag contra Böllerverbot.

Sorgt für gesellschaftlichen Zündstoff: ein stinknormaler Böller / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Dieser Beitrag ist ein Kommentar contra Böllerverbot. Ein Pro-Beitrag folgt zeitnah.  

„Was in der Silvesternacht in Berlin geschehen ist, hat mich auch schockiert und ist gänzlich inakzeptabel. Wir müssen im Senat über Konsequenzen sprechen. Ich denke, dass ein bundesrechtlich geregeltes Böllerverkaufsverbot tatsächlich fällig ist“, twitterte jüngst Linken-Politiker Klaus Lederer, der sich selbst als „Weltbürger“ bezeichnet und in seinem irdischen Dasein als Berliner Senator für Kultur und Europa tätig ist. Um über diese Forderung diskutieren zu können, muss man zunächst einmal definieren, was Lederer – und andere, die Ähnliches bereits vor dem Jahreswechsel und nach dem nun dokumentierten Chaos umso nachdrücklicher fordern – mit „Böller“ eigentlich meinen. 

Genau genommen sind Böller in Deutschland bereits verboten, jedenfalls der harte Kram aus dem Ausland. Unter anderem jene ab ringfingergroßen Dinger, die weniger Knaller als Kanonenschlag sind, und die ich als „La Bomba“ kenne und erkenne, wenn sie in einem Polizeivideo aus der Berliner Silvesternacht explodieren. Ein Bekannter von mir hatte ein solches Exemplar mal während eines Silvesterurlaubs im schneebedeckten Garmisch-Partenkirchen dabei und in der Silvesternacht damit zwei mittelgroße Dachlawinen ausgelöst. Da war er ziemlich überrascht und lässt seitdem die Finger davon, weil er sich selbige auch nicht wegsprengen will wegen irgendeiner sektgeschuldeten Unaufmerksamkeit. 

Nein, ich will die Gefahr, die vom Böllern ausgehen kann, nicht kleinreden. Schon meines pädagogischen Anspruchs wegen, den man in meiner Zunft über die vergangenen Jahre aus voller Überzeugung kultiviert hat. Ebenso wie in der Politik übrigens, wo Paternalismus das neue Must-Have zu sein scheint, mit dem man sich von Genossen aus Spaßbefreit Postfaktistan die ein oder andere Stimme beim nächsten Urnengang erhofft. Aber jene Böller, die in Deutschland nach wie vor legal verkäuflich sind, pauschal als Gefahr für Einsatzkräfte und Passanten zu etikettieren, scheint mir dann doch ein bisserl übertrieben zu sein. 

Teil unserer Silvester-Tradition

Ich habe Silvester mit einem Teil der Familie in einem kleinen Dörfchen im Allgäu verbracht. Es gab bayerische Schmankerl – vom Wurstsalat bis zum von mir zubereiteten Obazda; eine Käsemischung, die in unseren Breitengraden sehr beliebt ist. Dazu tranken wir gutes Bier, kurz vor Mitternacht wurde der Sekt eingeschenkt und um Punkt Null Uhr standen wir auf der Straße, um den ein oder anderen Böller zu zünden sowie den Inhalt zweier Batterien und ungefähr zwei Dutzend Raketen in den Himmel zu schießen.


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Der Spaß hat mich fast 100 Euro gekostet. Aber das ist eben Teil meiner und unserer Silvester-Tradition, ebenso wie das Entzünden von Wunderkerzen, und weder umstehende Nachbarn noch Einsatzkräfte wurden in dieser Nacht verwundet, weil es sehr einfach ist, niemanden zu verletzen, wenn man sich an die gängigsten Höflichkeitsformen hält und an die banalsten Vorsichtsmaßnahmen. Wobei die in Deutschland legal verkäuflichen Knaller und Raketen ohnehin so harmlos sind, dass schon sehr viele unglückliche Umstände und wohl auch sehr viel Alkohol im Blut zusammenkommen müssen, um gegen 0:30 Uhr nicht erneut im Esszimmer, sondern im Wartebereich einer Notaufnahme zu sitzen. 

Selbstverständlich ist Böllern und Raketenzünden, nüchtern betrachtet, sinnlos. Genauso, wie es sinnlos ist, dafür wortwörtlich 100 Euro zu verbrennen, was nach einer Blitzumfrage im knalleraffinen Bekanntenkreis sogar noch vergleichsweise günstig war. Aber ich sträube mich eben dagegen, dass wir alles, was nicht einem höheren Zweck dient, aus unserem Leben verbannen sollten. Nein, Böllern ist nicht „Freiheit“, was ja durchaus behauptet wird. Aber Spaß ist Freiheit, und wer Spaß empfindet beim Böllern und Raketenschießen und sich dabei nicht asozial verhält, sollte das auch weiterhin tun dürfen. Der Mensch ist eben mehr als Quinoa-Müsli und Mülltrennung. 

Tierwohl, Müllberge, Restgefahr

Das heißt übrigens nicht, dass ich die Kritik am Böllern nicht nachvollziehen könnte: Feinstaub, Tierwohl, Müllberge, Restgefahr. Aber ich wundere mich über die Inbrunst, mit der nach dem Silvesterchaos in Berlin, Frankfurt am Main oder Düsseldorf nun gefordert wird, künftig 83 Millionen Deutschen das Böllern zu verbieten, weil sich einige hundert Vollpfosten nicht im Griff beziehungsweise unsere Behörden und Sicherheitskräfte einige hundert Vollpfosten nicht im Griff haben.
 

Illegale „La Bomba“ / dpa


Ich würde auch nicht auf die Idee kommen, Autos zu verbieten, um illegale Straßenrennen zu unterbinden. Oder Volksfeste, weil es dort auch zu Schlägereien kommt. Oder das Skifahren, das jeden Winter dazu führt, dass Hunderte, vielleicht Tausende Freizeitsportler im Krankenhaus landen. Alles drei verursacht übrigens Müll, birgt gewisse Gefahren, belastet Luft und Umwelt, schadet im Zweifelsfall dem Tierwohl, wenn sich mal wieder eine Katze vors Fahrzeug wirft – und dient keinem höheren Zweck. 

Ich sehe mehr noch auch nicht ein, warum ich und andere in dem kleinen Dorf im Allgäu und überall anderswo, wo an Silvester friedlich mit Böllern und Raketen gefeiert wurde, genau das künftig nicht mehr tun sollten, weil zum Beispiel in Berlin mehr Wert darauf gelegt wird, dass Polizisten politische korrekte Sprache verwenden, als auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. So zu tun, als seien Böller und Raketen das Problem, und nicht die Unfähigkeit der politischen und behördlichen Verantwortlichen für mehr Sicherheit zu sorgen, einschlägige Milieus besser zu integrieren und hart genug durchzugreifen, sodass Polizisten in Teilen Deutschlands nicht mehr als zum Abschuss freigegebene Kindergärtner in Uniform wahrgenommen werden, ist lächerlich. 

Ein bundesweites Straftatenverbot

Die Wahrheit ist: Das Böllern und anderes, das in der Silvesternacht in den Händen der Falschen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen geführt hat, ist bereits stark reguliert bis verboten. Von den ebenfalls in jener Nacht zahlreich zum Einsatz gekommenen Schreckschusspistolen bis zu den eingangs erwähnten ringfingergroßen „La Bomba“ und deren noch krassere Brüder und Schwestern. Auch Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter anzugreifen ist meines Wissens nicht erlaubt. Und überhaupt fast alles, das einige verhinderte Sozialpädagogen nun meinen, mit einem „Böllerverbot“ bis zum Ende aller selbst gezählten Tage in Berlin und anderswo unterbinden zu können; auch, um sich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen, dafür die Rahmenbedingungen zu lange toleriert bis selbst geschaffen zu haben. 

Bemerkenswert daher, dass das so viele Leute, die nun ebenfalls ein bundesdeutsches Böllerverbot fordern, nicht erkennen können oder wollen. Und alarmierend obendrein, wie viele Menschen schon wieder nach dem Nanny-Staat rufen, obwohl selbiger offensichtlich nicht in der Lage ist, bereits bestehende Verbote durchzusetzen. Nach dieser Logik können wir an Silvester künftig auch Polizisten-mit-Schreckschusswaffen-angreifen-Verbotszonen errichten oder gleich ein bundesweites Straftatenverbot einführen. Beides führt dann ganz bestimmt dazu, dass Berlin die friedlichste Stadt der Welt wird, wo selbst in Neukölln nicht mehr geböllert, sondern den ganzen Tag Bio-Gemüse gezüchtet wird, während alle Beteiligten – Politiker, Polizisten und Bewohner – in felsenfester Eintracht ein schönes Liedchen trällern: „We shall overcome“. 

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