Silvesterchaos in Berlin - Vom Kiez zum Banlieue

Über das Silvesterchaos wird weiterhin kontrovers diskutiert. Allerdings genau so populistisch, wie das zu erwarten war. Wer die Herkunft der Täter als irrelevant abtut, ist an einer Problemlösung nicht interessiert. Wer die Taten ausschließlich auf die Herkunft reduziert, ebenfalls nicht.

Der Busfahrer Inal Ercan vor seinem ausgebrannten Reisebus in Neukölln / sulupress
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Nicht die Zuwanderung ist das Problem gewesen an Silvester, sondern der ungehemmte Zugang zu Feuerwerk! Jeder, der das zu einem Problem von Migrant*Innen macht, statt zu einem gesamtgesellschaftlichen, ist ein Rassist!“, schleuderte mir jüngst ein junger Mann auf Twitter entgegen, der regelmäßig damit auffällt, komplexe Sachverhalte auf seine Weltsicht zu reduzieren, wofür der Vorwurf „Rassist!“ besonders zweckdienlich ist.

Wer anderen eine böse Gesinnung unterstellt, geht dem Erkenntnisgewinn prophylaktisch aus dem Weg. Man kennt das schon. Gleichwohl ist an einem Teil seiner Aussage ein kleines Fünkchen Wahrheit dran. Nämlich dann, wenn die Herkunft zur Grundursache für Gewalt wie in der Silvesternacht erklärt und Migrationsgeschichte zum Stigma gemacht wird, wonach Menschen aus bestimmten Kulturkreisen im Prinzip gar nicht anders könnten, als Straftaten zu begehen. 

Raketen, Böller, Eisenstangen

Der Mann im Beitragsbild oben heißt übrigens Inal Ercan. Er ist 46 Jahre alt und Busfahrer von Beruf. Und das Blechgerippe hinter ihm war mal sein Reisebus. Das Fahrzeug wurde in der Berliner Silvesternacht in Neukölln abgefackelt. Nach allem, was wir durch zahlreiche Videos und Berichte wissen, waren die Chaoten vor allem junge Männer aus dem migrantischen Milieu. Freilich nicht junge Japaner, Dänen oder Portugiesen, sondern junge Männer, die sich dem zuordnen lassen, was „muslimischer Kulturkreis“ genannt wird. 

Diejenigen, die Polizisten angegriffen und weitere Straftaten begangen haben – Raketen, Böller, Eisenstangen und Schreckschusspistolen waren dafür nur Mittel zum Zweck –, stammen also überwiegend aus dem gleichen Kulturkreis, dem sich oberflächlich betrachtet auch Herr Ercan zuordnen lässt. Und mit ihm ganz viele Neuköllner mit Migrationsgeschichte, die Silvester wahrscheinlich nicht weniger friedlich feiern möchten als der autochthone Rheinpfälzer in seinem Haus auf dem Land. Die einen sind Täter, Menschen wie Herr Ercan sind Opfer der Krawalle. Beides zu sehen, ist Teil einer klaren Betrachtung der Ereignisse. 

Verbotsdurchsetzung als Herausforderung

Neukölln ist auch Herrn Ercans Stadtteil, in dem er lebt, isst, arbeitet und schläft. Der selbe Stadtteil, in dem auch viele der Chaoten dieser Silvesternacht leben, essen, vielleicht arbeiten, ganz sicher schlafen. Eigentlich ist die Sache relativ einfach. Wer behauptet, geografische Herkunft mache kriminell, der sollte die eigenen Ressentiments dringend hinterfragen. Wer darauf hinweist, dass die randalierenden Vollpfosten hauptsächlich migrantisch waren, stellt einen einfachen Sachverhalt dar, der zu benennen dringend notwendig ist für eine ehrliche Problemanalyse, aus der erst zielgerichtete Handlungen folgen können.  
 

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Doch stattdessen haben die Vorfälle in Berlin und anderen Großstädten eine Debatte vom Zaum gebrochen, die von der grundsätzlichen Weigerung geprägt ist, selbige in Gänze zu diskutieren. Insbesondere Politiker der Grünen und ihr Wählerklientel tun mal wieder das, was sie am besten können: ein Verbot fordern, konkret ein Böllerverbot. Als würde man die Angriffe auf Polizisten, Feuerwehrleute und Nothelfer, die statistisch betrachtet auch an den anderen 364 Tagen des Jahres zugenommen haben, dadurch verhindern.

Mal abgesehen davon – darüber schrieb ich hier bereits ausführlicher –, dass Angriffe auf Polizisten bereits verboten sind, aber trotzdem passieren. Und dass auch der harte Kram, der an Silvester dabei vielfach zum Einsatz gekommen ist, Stichwort „Polen-Böller“, in Deutschland längst verboten ist, aber dennoch gezündet wird. Die Kernherausforderung ist damit offenkundig die Durchsetzung bestehender Verbote und die Verhinderung von Straftaten, deren schiere Existenz nicht allein Ausdruck des Zerstörungswillens der Täter ist, sondern auch Ergebnis eines politischen und behördlichen Kontrollverlustes im öffentlichen Raum, der sich tagtäglich beobachten lässt. Nicht nur in Berlin. 

Grüne Clownspolitik als Antwort

Stimmt schon, in der Silvesternacht ist es besonders krass zugegangen, aber genau genommen hat sich in den Ausschreitungen nur geballt gezeigt, was in vielen Städten des Landes bereits bittere Realität ist. Problemanalyse heißt deshalb auch, nach biografischen Gemeinsamkeiten bei den Straftätern zu suchen. Und diese sind, was die Vorfälle in der Silvesternacht betrifft, bekannt: jung, männlich, muslimisch geprägt, gleiche Stadtteile, ähnliche Sozialisierung. Es sind die gleichen Schnittmengen, die wir von der berüchtigten Silvesternacht auf der Kölner Domplatte kennen und die sich auch in der Kriminalstatistik zeigen: Junge Männer aus dem genannten migrantischen Milieu werden überproportional häufig straffällig. 

Daher ist es entweder ideologieblind oder naiv, wenn die Grünen-Politikerin Amina Touré öffentlich folgenden Standpunkt vertritt: „Wir können jetzt natürlich gerne 18 Wochen lang dämliche Metadebatten über Integration führen oder wir schützen Einsatzkräfte und Bevölkerung mit nem Verbot von Böllern.“ Erstens: Setzt man bestehende Verbote und deren Einhaltung sowie ein mögliches Verbot legaler Böller ins Verhältnis, sieht es nächstes Silvester dann so aus: Polizisten werden nur noch mit Schreckschusspistolen, Eisenstangen und bereits illegalen „Polen-Böllern“ angegriffen und nicht mehr mit den vergleichsweise Kinderknallern „Kracher-Inferno“, die man für für 2,99 Euro bei Lidl kaufen kann. Das ist keine Problemlösung, sondern Clownspolitik. 

Zweitens: (Meta-)Debatten über Integration in Deutschland sind nicht „dämlich“, sondern dringend notwendig, um die fortschreitende Banlieueisierung gewisser Stadtteile zu verhindern, unter der dann nicht nur zufällig vorbeikommende Passanten und Einsatzkräfte zu leiden haben, sondern auch viele Bewohner dieser Stadtteile. Diese Banlieueisierungstendenzen sind keine Hirngespinste, sondern Realität. Dass Touré und andere das nicht erkennen und benennen wollen, lässt nur einen Schluss zu: Es geht ihnen nicht darum, Einsatzkräfte und Bewohner zu schützen, sondern darum, endlich eine passende Gelegenheit gefunden zu haben, ihr schon lange gefordertes Böllerverbot durchsetzen, um dem feucht-grünen Traum von der Bundesrepublik als Spaßbefreit Postfaktistan einen entscheidenden Schritt näher zu kommen. 

Auch das ist keine Problemanalyse

Was dagegen ebenso unterkomplex ist, ist die plumpe Reduzierung der erlebten Gewalt an Silvester auf die Herkunft der Täter. Zumal Menschen wie Herr Ercan und viele andere zeigen, dass es so einfach nicht sein kann. Die entscheidende Frage ist nicht, welche Herkunft die Täter haben, sondern warum es offenkundig gewisse migrantische Milieus gibt, in denen die Gewaltaffinität ausgeprägter ist als in anderen. Das mag mit patriarchalen Strukturen und der in linken Kreisen viel zitierten „toxischen Männlichkeit“ zu tun haben. Aber viele friedliche Menschen mit Migrationshintergrund sind in der Silvesternacht eben selbst Opfer von jungen Männern geworden, die vielleicht ihre Nachbarn sind, oder sogar ihre Neffen und Enkel. Was sie von den Krawallen halten, lässt sich unter anderem in der Reportage „Die Gesetzlosen“ erfahren: gar nichts. 

Der CDU-Politiker Christoph de Vries zum Beispiel erweist dieser Debatte nicht weniger einen Bärendienst als eingangs erwähnter junger Mann, wenn er twittert: „Wenn wir Krawalle in unseren Großstädten, Verachtung gegenüber dem Staat und Übergriffe gegen Polizisten und Feuerwehrleute wirklich bekämpfen wollen, müssen wir auch über die Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp sprechen. Um es korrekt zu sagen.“ Selbstverständlich müssen wir über die Herkunft der Täter sprechen, andere Faktoren als Migrationsgeschichte aber auszuklammern, um im eigenen Resonanzraum die gewünschen Reaktionen zu erzeugen, ist keine Problemanalyse. Frage an Herrn de Vries: Welche Partei hat denn 16 Jahre lang Deutschland regiert? 

Migrationsprobleme endlich anpacken

Die gewichtigeren Voraussetzungen für eine sachliche Debatte bleiben gleichwohl, Scheuklappen abzulegen, Toleranz nicht über alles zu stellen und auf dumpfe Rassismusvorwürfe zu verzichten, wenn jemand sagt, was ist. Wer leugnet, dass gewisse Probleme in bestimmten Milieus größer sind als in anderen, der leugnet die Realität. Und wer die Realität leugnet, wird gewisse Probleme auch nicht lösen, sondern mehr noch dazu beitragen, dass sie sich weiter verschärfen. Der Streisand-Effekt lässt grüßen, auch in der Integrationsdebatte. 

Wenn die politisch Verantwortlichen also ihren sonderpädagogischen Kuschelkurs wegen falscher Toleranz nicht endlich beenden und sich weiterhin weigern, die Migrationsprobleme, die es hierzulande für jeden sichtbar gibt, klar zu benennen und mit der gleichen Inbrunst anzupacken, mit der sie dem Rechtsextremismus oder irgendwelchen Reichsbürgern den Kampf ansagen, fahren wir Deutschland sehenden Auges gegen die Wand. Der Tacho ist bereits am Anschlag. Deutsche Polizisten wissen das. Und Herr Ercan aus Neukölln auch. 

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