Schwarz-Rot in Hessen - „CDU pur“ in der Flüchtlingspolitik

Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD in Hessen trägt, vor allem was die Flüchtlingspolitik betrifft, eindeutig die Handschrift der Union. Die SPD musste einiges hinnehmen, um nicht weitere vier Jahre in der Opposition zu verbringen.

SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser und Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) mit dem Koalitionsvertrag / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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„Humanität und Ordnung“ als Grundsatz deutscher Flüchtlingspolitik: Diesen Begriff hatte einst Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geprägt. Inzwischen hat ihn die rot-grün-gelbe Bundesregierung übernommen. Jetzt findet sich diese Formulierung auch im Koalitionsvertrag, den CDU und SPD am Montag in Hessen unterzeichnet haben.

Nun kann man „Humanität und Ordnung“ unterschiedlich interpretieren. Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fallen „Abschiebungen im großen Stil“ darunter, für viele Grüne indes nicht. Die hessische SPD-Vorsitzende, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, jedenfalls sagte auf dem Landesparteitag zu dem, was sie selbst ausgehandelt und unterschrieben hat: „Manche Punkte im Migrationspaket – da schüttelt’s einen.“

In der Tat wollen ausgerechnet die innerhalb der Bundespartei eher links stehenden hessischen Genossen in der Migrationspolitik eine Politik umsetzen, bei der sehr viel „CDU pur“ mitschwingt – allerdings „CDU pur nach Merkel“. Die SPD liegt eher noch auf dem Kurs von Altkanzlerin Angela Merkel: „Wir schaffen das“. Aber was macht man nicht alles mit, wenn sich nach einem Vierteljahrhundert die Chance bietet, im einst „roten Hessen“ endlich mal wieder regieren beziehungsweise mitregieren zu dürfen?

Schwarz-Rot will jetzt in Hessen „eine echte Rückführungsoffensive“ starten

Der Koalitionsvertrag stellt fest, was auch eine CDU-Alleinregierung nicht anders formuliert hätte: „Wir bekennen uns zur Begrenzung der Migration und dem Schutz der europäischen und deutschen Außengrenzen, u.a. mit stationären Grenzkontrollen (…) bei Bedarf an den Außengrenzen Deutschlands durch die Bundespolizei.“ Dabei hat Faeser noch vor ein paar Monaten die Meinung vertreten, Kontrollen beispielsweise an der Grenze zu Polen brächten nichts.

Schwarz-Rot will jetzt in Hessen „eine echte Rückführungsoffensive“ starten, was wohl ein Unterschied zu dem sein soll, was die Ampel in Berlin angekündigt hat. Zudem sollen die Abschiebehaft ausgeweitet, Rückführungszentren eingerichtet und Bezahlkarten für Flüchtlinge eingeführt werden. Das führte am Wochenende auf dem Landesparteitag der SPD zu scharfem Widerspruch vom linken Flügel: Mit der Einführung von Bezahlkarten werde unterstellt, dass die Flüchtlinge mit ihrem Geld nicht umgehen könnten. Und bei den Rückführungszentren handle es sich um „Gefängnisse“. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken würde wohl von „CDU-Vandalismus“ sprechen.  

 

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Vielen Genossen geht zu weit, dass die neue Koalition neben den „verpflichtenden Deutschkursen auch verpflichtende Rechtsstaatsklassen“ einführen will. Begründung: Integration erfordere das Erlernen ausreichender Sprachkenntnisse sowie von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands“. „Das Grundsatzprogramm von Merz, Linnemann & Co. lässt grüßen,“ kommentierte das die Frankfurter Rundschau, die – ebenso wie der Hessische Rundfunk – an alles den rot-grünen Maßstab anlegt.

Nicht nur Nancy Faeser „schüttelt“ es; auch vielen Delegierten der SPD gehen die Vereinbarungen zur Begrenzung der Migration und zur Förderung der Integration gehörig gegen den Strich. Doch tröstete die Landesvorsitzende die Skeptiker in den eigenen Reihen damit, dass das zuständige „Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales“ von der SPD besetzt werde, einschließlich eines Staatssekretärs für Migration und Integration. Soll heißen: Wir passen schon auf, dass das alles nicht so schlimm wird. Schließlich stimmte der Landesparteitag nach dreistündiger Debatte mit einer sehr deutlichen Mehrheit von 82 Prozent zu.

Der Koalitionsvertrag spiegelt gerade beim Thema Flüchtlinge das Wahlergebnis wider

Der alte und neue Ministerpräsident Boris Rhein hatte es da auf dem „kleinen Parteitag“ der CDU leichter. Da gab es nur Lob für das, was der Wahlsieger vom 8. Oktober ausgehandelt hat. Nur ein Delegierter trauerte laut den schwarz-grünen Zeiten nach. Das führte zu einer Zustimmung von 99 Prozent. Was deutlich besser aussah als ein sozialistisches 100-Prozent-Ergebnis.

Der Koalitionsvertrag spiegelt gerade beim Thema Flüchtlinge das Wahlergebnis wider: 35 Prozent für die CDU gegenüber desaströsen 15 Prozent für die SPD. So musste die SPD manches akzeptieren – einschließlich eines „Gender-Verbots“ in der Verwaltung, an Schulen und Universitäten –, weil weitere vier Jahre in der Opposition den Niedergang der Partei beschleunigt hätten. Ohnehin ist die Landtagsfraktion personell so ausgezehrt, dass die SPD zurzeit prüft, wer aus den Reihen ihrer durchaus erfolgreichen Bürgermeister und Landräte für ein Regierungsamt in Wiesbaden infrage kommt.

Auch wenn die Hessen-Union stolz ist auf das Ausgehandelte: Papier ist – wie der ständige Ärger in der Berliner Ampel zeigt – geduldig. Denn die SPD wird im landespolitischen Tagesgeschäft versuchen, manche Vereinbarung so zu interpretieren, dass sich Spitzengenossen weniger „schütteln“ müssen.

In der Präambel des Koalitionsvertrags rühmt sich die „demokratisch-christlich-soziale Koalition“, einen neuen Konsens anzustreben, „der die Kernkompetenzen unserer Parteien zu einem konsequenten Regierungsprogramm vereint, Gräben überwindet und vermeintliche Gegensätze zusammenführt“. Das allerdings schreibt sich leichter, als es sich verwirklichen lässt. 

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