Ausgesetzte Schuldenbremse - Warum es keine Klage gegen den Nachtragshaushalt geben wird

Die Ampel wird mit dem Nachtragshaushalt durchkommen, weil die CDU nicht dagegen klagen wird. Denn auch sie hat kein Interesse an einem radikalen Bruch mit der Transformationspolitik, an der sie selbst mehr oder weniger teilhat.

Wirtschaftsminister Robert Habeck, Hubert Aiwanger, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, und Armin Willingmann, Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Wirtschaftsminister Robert Habeck hat vor dem Treffen mit seinen Ministerkollegen aus den Ländern wiederholt, was er – und viele andere Politiker auch – sinngemäß schon vielfach seit dem Verfassungsgerichtsurteil gesagt haben: Auf dem Spiel stehe die wirtschaftliche Substanz des Landes. Darum soll es keine Abstriche an den vom Urteil betroffenen Subventionen (das Wort fällt nie, aber es sind solche) für Unternehmen und andere staatliche Projekte im Sinne der „Transformation“ geben. 

Aus Habecks Perspektive ist das Argument zwingend. Die „große Transformation“, also der Umbau der deutschen Volkswirtschaft zum Zwecke des Klimaschutzes, ist für ihn und seine grünen Parteifreunde schließlich nicht umsonst die „grüne“ Transformation. Die Dekarbonisierung ist laut Habeck „die große strukturelle Aufgabe unserer Zeit“, und er fühlt sich bekanntlich berufen, sie auszuführen. 

Auf das Geld für diese Aufgabe zu verzichten, wäre für Habeck, seine Partei und alle, die ihr verbunden sind, ein Sturz in ein großes politisches Nichts. Was ist dagegen schon der Bruch des Grundgesetzes? Und selbstverständlich stecken die anderen Parteien in diesem Projekt mit drin, auch die CDU. Für Christdemokraten ist es zwar kein Herzensprojekt (die gibt es gar nicht). Aber man hat sich nun einmal spätestens seit Merkels Hauruck-Entscheidung zum endgültigen Atomausstieg 2011 auf diesem Politikfeld (und nicht nur diesem) letztlich der Agenda der Grünen unterworfen. Und in einigen wichtigen Bundesländern, allen voran Nordrhein-Westfalen, koaliert man bekanntlich auch mit den Grünen. 

 

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Deswegen gab es beim heutigen Wirtschaftsministertreffen auch keinen radikalen, wirklich zum Äußersten entschlossenen Widerstand der CDU-Minister gegen Habecks Wunsch, die auf verfassungsbrecherischen Schulden beruhenden Transformationsausgaben komplett zu annullieren. Man würde sich selbst kaum weniger beschädigen als die Grünen. Den sofortigen und völligen Bruch mit der bisherigen, auf verschleierten Schulden beruhenden Transformationspolitik will auch in der Union wohl kaum jemand. 

Angst vor dem Ende der Subventionen

Denn der bedeutete für viele Wähler und vor allem mächtige Interessenvertreter sofortige scharfe Einschnitte. Das meint Habeck, wenn er von einem „Ökosystem des Aufbruchs“ schwärmt und von einer „Haltung in den Betrieben, in die Zukunft zu investieren“. Denn zu dieser seiner Politik gehören auch Vermeidungsaufwendungen gegen die eigentlich aus der Transformation folgenden Einbußen für Unternehmen und Bürger. Nicht zuletzt etwa die Energiepreisbremsen für Millionen Menschen und milliardenschwere Subventionen wie für die „Intel-Ansiedlung“ in Magdeburg. Die wohlstandsbewahrenden Effekte im Falle eines Radikal-Stopps der Transformationsprojekte dagegen wären zwar im Endeffekt sicher größer, aber sie wirken nicht sofort – und vor allem nicht zugunsten jener Regierenden, die diese Politik seit Jahren vorangetrieben haben. 

Darum werden alle politisch relevanten Akteure, unabhängig von Parteipräferenzen, sowohl  in Ministerien und Behörden, als auch vor allem in den betroffenen Unternehmen aus kurzfristigem Eigeninteresse und schierer Furcht vor der sonst drohenden Planungsunsicherheit alles tun, um die verfassungsbrecherischen Schulden-Milliarden dennoch fließen zu lassen. Für die Union geht es jetzt also darum, die durch das Verfassungsgerichtsurteil geschaffene Blamage der Ampel-Koalition stimmungspolitisch und vielleicht auch machtpolitisch auszuschlachten. An einer materiellen Eskalation, also wirklich ausbleibenden Zahlungen oder gar Rückabwicklungen, dürften nur wenige interessiert sein.

In der Union ist schon jetzt ein gewisser Riss zu erkennen. Nämlich zwischen jenen, die bei der grün dominierten Transformationsschuldenpolitik unter Merkel oder in schwarz-grünen Landesregierungen mitgewirkt haben und besonders wenig Interesse an Eskalation haben, und den daran Unbeteiligten, die auf radikalere Konfrontation setzen. Zu letzteren gehören an erster Stelle der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz selbst und sein Generalsekretär Carsten Linnemann. 

CDU-Ministerpräsidenten werden nicht klagen

Auf der anderen Seite stehen vor allem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, die mit Grünen koalieren. Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder steht wohl in der Mitte. Er spekuliert auf maximalen Reputationsverlust für die Ampel bei geringen sachlichen Folgen des Urteils. Darum hat er gleichzeitig mit seiner Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen im Bund schon angekündigt, dass er nicht gegen die Erklärung einer Notlage durch die Bundesregierung klagen werde. Ähnlich äußerte sich CDU-Haushaltspolitiker und Fraktionsvize Mathias Middelberg, der zwar einerseits „die gesamte Haushaltspolitik der Ampel“ wackeln sieht, aber dennoch „nicht zu einer Klage raten“ will. Nicht einmal Bayerns Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger will das. 

Die Union wird also, das kann man wohl prophezeien, im Bundestag gegen die Erklärung einer Notlage und den Nachtragshaushalt stimmen, wohlwissend, dass sie ihn damit nicht verhindert, aber auf eine erneute Verfassungsklage, die ihn tatsächlich mit guten Aussichten stoppen könnte, verzichten. Weil sie die Konsequenzen eben nicht wirklich will. 

Ebenso wie die staatlich forcierte Wachstumshybris der vergangenen Jahrzehnte seit den 1970er Jahren auf einer wachsenden Staatsverschuldung beruhte (kombiniert seit der Währungsunion mit Verbilligung des Geldes also Inflationierung), so soll eben auch die große, grüne Transformation mit neuen Staatsschulden bezahlt werden. Während noch vor wenigen Jahren der hybrid-absurde Merkel-Satz „Ohne Wachstum ist alles nichts“ das offizielle Dogma deutscher Politik war, lautet es jetzt: Ohne Transformation ist alles nichts. So muss man wohl Habecks Aussage, die Substanz stehe auf dem Spiel, verstehen. Dass seine Politik und nicht die Verfassungsrichter dieses Spiel eröffnet hat, sagt er natürlich nicht.

Schulden als Bedingung der Transformation

Was diese Habeck-Aussage aber in letzter Konsequenz bedeutet, ist erschütternd. Beruht die Substanz der deutschen Wirtschaft wirklich auf der Notwendigkeit, die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Nachkommen auszubeuten? Denn das bedeuten Staatsschulden. Oder weiß der Mann, der schon einmal vor den Augen und Ohren der Fernseh-Nation bezeugte, dass er nicht weiß, was eine Insolvenz ist, auch nicht wirklich, was Staatsschulden bedeuten? 

Die Staatsschulden der vergangenen fünf Jahrzehnte wurden gerechtfertigt durch das Versprechen künftigen, noch größeren Wohlstands für die Nachkommen. Doch die Transformation, die jetzt mit neuen Staatsschulden finanziert wird, wird keinen zusätzlichen Wohlstand erwirtschaften, denn sie steigert nicht die Produktivkräfte, sondern mindert sie. Mit dem Klima- und Transformationsfonds, beziehungsweise der „Notlagen“-Konstruktion, die die Bundesregierung sich nun einfallen lassen wird, lässt sie künftige Steuerzahler für ihre Agenda bezahlen, in der Annahme, dass es zu deren Wohl ist, obwohl es ihren Wohlstand mindert. 

Das geben die radikaleren (und vermutlich ehrlicheren) unter den Transformationsakteuren auch offen zu. Ihr Versprechen ist stattdessen die „klimaneutrale“ und „klimagerechte“ Wirtschaft. Nicht ohne Grund gab es auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen einen Antrag, den Begriff „Wohlstand“ aus dem Parteiprogramm zu streichen. Aber so viel Idealismus traut man der Mehrheit der eigenen Wähler bei allem Hurra-Transformismus dann eben doch nicht zu. Der Antrag ist gescheitert. Also verspricht man weiterhin beides: wachsenden Wohlstand und wachsenden Klimaschutz. Die Illusion ist so lange möglich, wie der transformierende Staat noch Kredit hat.
 

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