Harter Schlagabtausch im Bundestag - „Dieses Land ist an der Leistungsgrenze angekommen“

Die Regierungsbefragung im Bundestag gerät zu einem erbitterten Austausch zwischen der Ampel und der Opposition. Die Stimmung ist vergiftet, ein Wechsel zu Rot-Schwarz kaum vorstellbar. Insbesondere Friedrich Merz und Saskia Esken geraten aneinander.

Friedrich Merz an diesem Mittwoch im Bundestag / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Offiziell war es die „Befragung der Bundesregierung“ vor dem Hintergrund des morgen beginnenden Europäischen Rats in Brüssel. Aber die Veranstaltung im Bundestag war keine Fragestunde, sondern geriet zu einem handfesten politischen Schlagabtausch zwischen den Vertretern der Ampelparteien und jenen der Opposition. Im Zentrum der Debatte stand auch nicht das Thema Europa, sondern der kurz zuvor von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete Kompromiss zwischen SPD, Grünen und FDP in Sachen Bundeshaushalt 2024 – wobei hier nur grobe Konturen erkennbar wurden wie: Umschichtungen im Klimatransformationsfonds, Abbau „klimaschädlicher“ Subventionen, Mehreinnahmen durch höhere CO2-Besteuerung oder die Absicht, mehr ukrainische Flüchtlinge in Arbeit zu bringen.

Scholz moderiert „Notlage“ an

Scholz machte den Auftakt und zeichnete zu Beginn seiner Ausführungen ein düsteres Bild von der militärischen Lage in der Ukraine, zählte die einzelnen Hilfszahlungen Deutschlands an den überfallenen Staat auf (darunter acht Milliarden Euro für Waffenlieferungen) – und wies darauf hin, dass bei einer sich weiter verschlechternden Situation künftig auch noch mehr an Kiew gezahlt oder geliefert werden müsse. Sein damit verbundener Hinweis auf Artikel 115 des Grundgesetzes, indem auch die temporäre Aussetzung der Schuldenbremse im Fall von Notlagen geregelt ist, dürfte klar gemacht haben, worauf die ganze Sache im nächsten Jahr hinausläuft. Deswegen konterte Unionsfraktionschef Friedrich Merz in seiner Replik auf Scholz, der Bundeskanzler habe eine entsprechende „Notlage“ bereits angekündigt, bevor diese überhaupt eingetreten sei. Zur Aussetzung der Schuldenbremse bedürfe es allerdings einer „unvorhergesehenen“ Situation, so Merz, weshalb er Scholz vorwarf, seine „üblichen Tricksereien“ zu betreiben.

Der Kanzler selbst lobte den „guten“ Haushaltskompromiss als Ergebnis schwieriger Abwägungen; man habe Ausgaben priorisiert, ohne soziale Einschnitte vorzunehmen. Mit Blick auf den Europäischen Rat sprach er sich vehement dafür aus, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine (und Moldau) auf den Weg zu bringen, ebenso wie mit den Westbalkanländern. Ohne die ungarische Position zu erwähnen, die solche Verhandlungen mit der Ukraine ablehnt (und ein Veto einlegen kann), plädierte der Kanzler dafür, derlei Fälle künftig mit qualifizierter Mehrheit beschließen zu können. Dass weder die Ukraine in absehbarer Zeit ein ernsthafter Beitrittskandidat sein wird, noch die EU in der Lage, das Land in seine Reihen aufzunehmen, wird allerdings sogar von manchen Parlamentariern der Ampelkoalition so gesehen – allerdings nicht offen benannt, weil das Thema so heikel ist. Scholz sieht das offenbar anders. Auch seine Forderung nach einer Zweistaatenlösung nach Ende des Gaza-Kriegs dürfte einem Realitätscheck zumindest nach derzeitiger Lage nicht standhalten.

Merz: „handfeste Regierungskrise“

Friedrich Merz sprach in seiner sehr emotionalen Rede von einer „handfesten Regierungskrise“, die Einigung im Haushaltsstreit zwischen den Ampel-Spitzen sei nichts weiter als ein Formelkompromiss – eine „Quadratur des Kreises“, mit der versucht werde, die Wünsche und Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP gleichermaßen zu erfüllen. Auf einen Zwischenruf der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken reagierte Merz mit harschen Worten, indem er sie daran erinnerte, dass sie soeben auf dem SPD-Parteitag behauptet hatte, die Union mache gemeinsam mit der AfD Stimmung gegen die Ampel. Dies sei ein Tiefpunkt der politischen Kultur – ebenso wie die Tatsache, dass Esken aus der SPD-Fraktion heraus auch noch mit demonstrativem Applaus der Rücken gestärkt wurde. Der Oppositionsführer kritisierte den Kanzler, dieser habe durch seine Zögerlichkeit bei den Waffenlieferungen an die Ukraine deren aktuell schwierige Lage mit befördert. Außerdem lasse Scholz es zu, dass der Asylkompromiss von den Grünen wieder verwässert werde. Fazit Merz: „Dieses Land ist an der Leistungsgrenze angekommen.“

 

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Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann attackierte daraufhin den CDU-Chef in ihrer Rede, er habe „viel Selbstvergewisserung für wenig“ betrieben und hätte folglich auch noch „länger quatschen“ können, ohne inhaltlich Substanz zu bieten. Das Asylpaket sei auch nicht gescheitert, sondern werde Anfang nächsten Jahres kommen. Merzens Kritik am Haushaltskompromiss könne ebenfalls nicht ernstgenommen werden, weil dieser die Einzelheiten noch überhaupt nicht kenne. Haßelmann plädierte ferner für eine „Reform“ der Schuldenbremse und rief dazu auf, im Ukrainekonflikt jetzt keine „Kriegsmüdigkeit“ zuzulassen.

AfD-Chrupalla: „Reine Kriegsrede“

Daraufhin warf ihr der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla vor, eine „reine Kriegsrede“ gehalten zu haben. Er kritisierte die Bundesregierung dafür, den Import russischen Gases gekappt zu haben, sowie für „konstruierte Feindbilder“ (gemeint war offenbar Putin). Auch am Bürgergeld ließ Chrupalla kein gutes Haar, dies entspreche nämlich einer Art bedingungslosem Grundeinkommen und schaffe neue Abhängigkeiten. Die Ampelregierung, so der AfD-Parteivorsitzende, würde die Bundesrepublik in beispielloser Weise „kaputtwirtschaften“.

Johannes Vogel wiederum, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, lobte den gefundenen Haushaltskompromiss, weil man hierfür Ausgaben priorisiert habe. Auch im nächsten Jahr werde die Schuldenbremse nicht ausgesetzt, verkündete er – und plädierte für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine.

Insgesamt wurde bei dieser Regierungsbefragung deutlich, wie vergiftet die Stimmung zwischen Regierung und Opposition inzwischen ist. Dass in dieser Situation ein Wechsel vom Ampel-Bündnis hin zu einer Großen Koalition mit der CDU unter einem SPD-Kanzler Scholz zustande kommen könnte, wie sie derzeit allenthalben ins Gespräch gebracht wird, erscheint völlig unplausibel. Das rot-grün-gelbe Bündnis wird sich also vorerst weiter durchwursteln. Auch, wenn es den Beteiligten erkennbar schwer fällt.

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