Regierungsklausur in Meseberg - Eine politische Ringparabel

Das Bundeskabinett trifft sich derzeit zu einer Klausursitzung in einem historischen Gebäude mit hohem Symbolwert. Das ist auch dringend nötig, denn die Fliehkräfte innerhalb der Ampel-Koalition haben seit einigen Tagen enorm zugenommen. Aus Meseberg sollen deshalb Bilder des harmonisch-konstruktiven Miteinanders in die Welt gehen. Doch auch die werden am Grundproblem nichts ändern: Rot, Grün und Gelb passen inhaltlich nicht zusammen.

Der Bundeskanzler im Zauberschloss Meseberg / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Am Hofeingang zu Schloss Meseberg prangt bis heute das Wappen der einstigen Besitzerfamilie Lessing. Carl Robert Lessing, Miteigentümer der Vossischen Zeitung, hatte das nördlich von Berlin gelegene Anwesen im Jahr 1885 erworben – und weil Gotthold Ephraim Lessing zu dessen Ahnen gehörte, zeigt das Wappen in Anlehnung an die berühmte Ringparabel aus „Nathan der Weise“ eben jene drei Ringe, die ein gleichberechtigtes Nebeneinander von drei Brüdern (und damit von drei Glaubensrichtungen) symbolisieren sollen. Insofern kann es kaum einen geeigneteren Ort geben für eine Kabinettsklausur als dieses einst von Theodor Fontane als „Zauberschloss“ gerühmte Herrenhaus. Mit den Regierungsspitzen von SPD, Grünen und FDP sind dort nun die Vertreter von drei Weltanschauungen vertreten, welche nach dem Willen des Bundeskanzlers eine „Koalition auf Augenhöhe“ bilden sollen. Welch hübsche Koinzidenz.

Denn nur einer der drei Ringe hatte der Parabel zufolge bekanntlich die Kraft, dessen Träger „bei den Menschen angenehm“ zu machen – nämlich das Original. Nach bisheriger Lage der Dinge dürfte also der grüne Publikumsliebling Robert Habeck geglaubt haben, den echten Ring zu tragen. Jedoch zeigt sich auch in der Politik der eigentliche Kern von Lessings Märchen: Wer sich nicht selbst ausreichend um sein eigenes gutes Ansehen beim Volke bemüht, sollte auf Zauberkräfte besser nicht vertrauen. Habecks selbst verursachte Entzauberung wegen einer Subvention mit dem profanen Namen „Gasumlage“ ist ein schöner Beleg für Nathans Weisheit und den Fluch (quasi)-religiöser Überlegenheitsgefühle. Die Jünger des selbstgefällig-burschikosen Hoppla-jetzt-komm-ich-Wirtschaftsministers fallen schier vom Glauben ab.

Habeck auf Normalmaß gestutzt

Ein bisschen mehr Augenhöhe hat sich jedenfalls eingestellt, seit der Vizekanzler sogar aus den Reihen der Koalitionsparteien auf sein allenfalls mittelwüchsiges Normalmaß gestutzt wurde. Die auf Habeck gemünzten Sätze aus dem Mund des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil („am Ende zählen in der Politik nicht nur schöne Worte, es muss vor allem die Substanz stimmen“) sind zwar von geradezu zeitloser Allgemeingültigkeit. Aber für Klartext-Freunde gibt es ja noch den SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, der das „Prinzip Habeck“ folgendermaßen beschrieb: „Auftritte filmreif, handwerkliche Umsetzung bedenklich, und am Ende zahlt der Bürger drauf.“ Dass man mit dieser Vorgehensweise zumindest als Grüner in der deutschen Politik durchaus reüssieren konnte, war bisher stets der Nibelungentreue journalistischer Claqueure insbesondere beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verdanken. Doch selbst in diesem Milieu lässt sich lästige Kritik an der Lichtgestalt mit der fotogenen Leidensmiene bedauerlicherweise nicht mehr komplett ignorieren. Rot und Gelb dürften sich freuen, wenngleich die Vertrauenspunkte natürlich trotzdem vom gemeinsamen Ampel-Konto abgebucht werden.

 

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Denn noch existiert sie ja, jene Ampel, die vor neun Monaten mit dem Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ in eine neue Zeit gestartet war, die sich aber bisher vor allem durch die Rückkehr alter geopolitischer Konflikte auszeichnet. Nur weil man in Deutschland glaubte, die böse Realität ignorieren zu können, hält die Welt eben nicht den Atem an. Immerhin brauchte der Schnellmerker im Kanzleramt dann doch nur drei Tage, um nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine „Zeitenwende“ zu konstatieren. Dies ist also das historische Panorama der Meseberger Klausur, bei der es laut einer Sprecherin um Themen geht, „die vielleicht auch in dem Alltags-Regierungsgeschäft nicht ständig Vorrang haben“: Tagesordnungspunkt „Berufliche Bildung in Zeiten des Wandels“. Energiefragen, Entlastungspakete und Sicherheitsstrategien sollen die ohnehin angespannte Stimmung zumindest nicht über Gebühr belasten, wo doch bekanntlich schon 2,4 Cent Gasobolus für reichlich Ärger sorgen können. Deshalb müsse beim zweitägigen Treffen sichergestellt werden, „dass wir als Bundesregierung eng und untergehakt zusammenarbeiten“, wie Olaf Scholz zu verkünden wusste und optimistisch hinzufügte: „Das wird eine Klausurtagung, wo es gute Stimmung gibt und die Bereitschaft in einer ernsten Lage eng zusammenzuarbeiten zum Wohl des Landes.“

Ausweis schierer Desillusioniertheit

Gute Stimmung, ernste Lage, Wohl des Landes: Wie das alles zusammengehen soll, bleibt vorerst ein Rätsel, das selbst den weisen Nathan in Verlegenheit gebracht hätte. Denn der erste Akt dieses märchenhaften Ringspiels der Nie-Gelungen zeigt eben sehr deutlich, dass rote, grüne und gelbe Ideen keineswegs gleichberechtigt nebeneinander koexistieren geschweige denn jenen Fortschritt bringen, der vor der Ouvertüre als gemeinsame Grundmelodie komponiert worden war. Dass FDP-Chef Christian Lindner inzwischen selbst die Latte niedriger hängt und seiner Partei die Rolle des Korrektivs zuweist nach dem Motto „Ohne uns wäre alles noch viel schlimmer“, ist Ausweis schierer Desillusioniertheit. Zumal der Bundesfinanzminister natürlich ganz genau weiß, dass Parteien nicht gewählt werden fürs Verhindern, sondern fürs Durchsetzen der eigenen Agenda. Was halt schwer ist als liberaler Juniorpartner in einem linken Bündnis mit fataler Neigung zu kontrafaktischer Politik nicht nur in energiepolitischen Belangen.

Das Meseberger Konklave dürfte also vor allem von symbolischem Wert sein – eine Demonstration für die Öffentlichkeit, dass diese Ampel funktionieren kann, wenn nur alle Beteiligten guten Willens sind. Am Ende der beiden Tage werden schon genügend harmonische Bilder entstanden sein, um den Deutschen ein bisschen Zuversicht zu vermitteln und die Angst vor dem kalten Herbst zu nehmen, der nicht in einen heißen Winter münden darf. Die Tage dieser dysfunktionalen Koalition neigen sich denn auch keineswegs dem Ende zu, der zweite Akt kommt ganz bestimmt. Wenn die gegenwärtige Jahrhundertkrise zwar auch nicht den erhofften Nebeneffekt eines breiten gesellschaftlichen Rückhalts für die amtierende Regierung mit sich bringt, so schweißt sie doch immerhin die Regierenden selbst zusammen – gegenseitige Beleidigungen hin oder her. Nur wie gesagt: Fortschritt sollte man sich davon nicht erhoffen. Daran wird auch das Zauberschloss Meseberg nichts ändern.

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