Regierungsbefragung - Olaf Scholz lobt sich selbst

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich erstmals den Fragen der Abgeordneten gestellt. Dabei sprach er sich erneut für eine allgemeine Impfpflicht aus. Wann die kommen und wie sie aussehen soll - das blieb ebenso vage wie seine Ausführungen zur Energiesicherheit, zur Inflationsbekämpfung und zum Pflegebonus.

Er weiß, was er tut. Aber weiß er auch warum? Bundeskanzler Olaf Scholz / dpa
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Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

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Abgeordnete fragen, der Bundeskanzler weicht aus, so könnte das Format auch heißen. Seit 2019 gibt es das Ritual der regelmäßigen Regierungsbefragung im Bundestag, und heute Nachmittag war zum ersten Mal Bundeskanzler Olaf Scholz an der Reihe. Erwartungsgemäß ging es in vielen der Fragen um die Corona-Politik der Ampel-Regierung. Praktischerweise hatte der Bundestag kurz zuvor ein Saalverbot für ungeimpfte Abgeordnete erlassen; wer keinen Impfnachweis vorweisen kann, sondern „lediglich“ negativ getestet ist, darf ab heute den Plenarsaal nicht mehr betreten, sondern muss auf der Besuchertribüne Platz nehmen. Auf die Idee, dass der Bundeskanzler sich mit dieser Maßnahme lästige Fragesteller vom Hals halten will, können natürlich nur Schwurbler und sonstige schlechte Menschen kommen. Jedenfalls stimmten zu Beginn der heutigen Bundestagssitzung sämtliche Fraktionen außer der AfD für diese Änderung, Enthaltungen gab es keine.

Zur Einleitung der Fragerunde lobte Scholz zunächst die deutsche Corona-Politik in den höchsten Tönen. Dabei räumte er sogar ein, dass die Restriktionen in Deutschland „weitreichender sind als in den meisten anderen Ländern der Europäischen Union“, auch die Booster-Kampagne werde weit massiver vorangetrieben als bei den europäischen Nachbarn. Doch der Erfolg spreche für diese Maßnahmen: Omikron sei hierzulande weniger verbreitet als anderswo. Warum andere Länder denn glauben, auf harte Einschränkungen wie etwa 2G-plus verzichten zu können, und der Verbreitung der Omikron-Variante wesentlich gelassener entgegensehen, schien Scholz nicht zu interessieren. Sind sicher alles Geisterfahrer. Auch beim Thema Impfpflicht scheint der Rest Europas und der Welt dem deutsch-österreichischen Beispiel nicht folgen zu wollen. Dennoch blieb Scholz dabei: „Ich halte sie für notwendig und werde mich aktiv dafür einsetzen.“ Denn: „Mit der Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, trifft man eine Entscheidung nicht nur für sich, sondern für 80 Millionen Bürger, das sieht man an den Infektionszahlen.“ Man könnte dem das Recht auf körperliche Selbstbestimmung entgegensetzen, aber wer würde, wenn es um das (Über-)Leben von 80 Millionen Mitbürgern geht – die durch die eigene Impfung offenbar nicht geschützt werden, sondern nur durch die des Nebenmenschen –, schon kritisch nachfragen?

Der CDU geht es nicht schnell genug

Und so fragt denn auch kaum einer kritisch nach, jedenfalls niemand aus den Regierungsparteien, und den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion geht es beim Thema Impfpflicht einfach nur nicht schnell genug. So will der Abgeordnete Thorsten Frei (CDU) vor allem wissen, wann es denn einen konkreten Gesetzgebungsvorschlag geben solle, der regelt, wie sich eine Impfpflicht „ethisch richtig und verfassungsmäßig korrekt“ durchführen lasse. Und auch sein Parteikollege Günther Krings fragt sich, wie eine Impfpflicht ganz konkret ausgestaltet werden soll. Offenbar so, laut Scholz: „Es ist wünschenswert, eine möglichst unbürokratische Lösung zu finden, die nicht alles bis in die letzten Verästelungen regelt.“ Das klingt eher nach Willkür denn nach klaren gesetzlichen Vorgaben und Rechtssicherheit. Aber entscheiden müsse ja eh der Bundestag. Was denn die allgemeine von der berufsbezogenen Impfpflicht für Pflegekräfte unterscheide, die doch auch einfach durchgewunken worden sei, haken Frei und Krings dann noch nach. Doch auch hier gibt es keine Nägel mit Köpfen. Das sei eben etwas anderes, gar nicht zu vergleichen.

Auch auf die Frage von Pascal Meiser (Die Linke), wer denn nun eigentlich den versprochenen Pflegebonus bekommen soll – sämtliche Beschäftigte in Pflegeberufen, wie ursprünglich vorgesehen, oder doch nur Mitarbeiter auf Corona-Stationen, oder am Ende sogar ein noch engerer Personenkreis, ist dem Kanzler beim besten Willen keine klare Antwort zu entlocken, auch auf abermalige Nachfrage nicht. Das werde eben irgendwann von irgendwem entschieden. Nächste Frage bitte.

Die Frage des AfD-Abgeordneten Martin Sichert zur offiziellen, vom Paul-Ehrlich-Institut bekanntgegebenen Zahl der schweren Impfnebenwirkungen bügelt Scholz dann gleich aggressiv ab: „Vielen Dank für die Frage, aber nicht für die Intention, die dahintersteht. Sie verwirren die Bürger! Und das kann nicht gelingen. Denn das Land ist keineswegs gespalten, sondern hält zusammen. Das Beste, was man tun kann, ist, sich impfen zu lassen.“ Und damit ist die Frage nach den Impfnebenwirkungen abschließend, erschöpfend und umfassend geklärt.

Mehr Strom mit weniger Kraftwerken

Ebenso ähneln die Fragen und Antworten zur Energiekrise, zur Inflation und zum Ausstieg aus der Atomkraft dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Warum sämtliche Nachbarländer auf Atomkraft setzen und nur Deutschland einen Sonderweg gehe, wollte der AfD-Abgeordnete Tino Chrupalla wissen. „Atomkraft ist nicht nachhaltig und auch wirtschaftlich nicht sinnvoll“, sagte Scholz wie auswendig gelernt. Eine Begründung lieferte er nicht. Stattdessen appellierte er an Ängste: „Statistische Berechnungen zur Ungefährlichkeit sind dann hinfällig, wenn doch was passiert und man lebt in der Nähe. Daher ist der Ausstieg richtig.“ Wahrscheinlich sind Polen und Franzosen einfach weniger ängstlich, oder einfach nicht aufgeklärt genug. Auf die Frage der Grünen-Abgeordneten Katrin Uhlig zum Tempo des Ausbaus erneuerbarer Energien reagierte Scholz mit dem überraschenden Bekenntnis: „Es ist ganz klar, wir brauchen mehr Strom.“ Deswegen müsse man mit dem Ausbau von Windkraft und Co. so schnell wie möglich beginnen – und hier wurde der Kanzler zum ersten Mal ein wenig konkreter; denn es sei wichtig, „sich den Schneid nicht abkaufen zu lassen, es in diesem Jahr zu beginnen“. Aber wie der eingestandene erhöhte Energiebedarf allein mit Erneuerbaren gedeckt werden soll, das blieb offen, wenn auch der Hinweis, dass es des „Schneids“ bedürfe, auf eine ungemütliche Wegstrecke schließen lässt. Auf Erfahrungen vergleichbarer Industrieländer mit ähnlichem Energiebedarf wie Deutschland wird man jedenfalls nicht zurückgreifen können, denn die bleiben wie gesagt der Kernkraft treu.

Und so bleibt der Eindruck, dass sich Bundeskanzler und Bundesregierung in entscheidenden Fragen – Corona-Regeln, Impfpflicht, Energiewende – tatsächlich auf einem Sonderweg befinden, den sie nicht einmal nachvollziehbar, geschweige denn überzeugend, begründen können. Was die Impfpflicht betrifft, hat die SPD kurz vor der heutigen Regierungsbefragung übrigens erstmals einen Zeitplan vorgelegt, nachdem sie von der CDU/CSU-Opposition in dieser Frage vor sich hergetrieben worden war. Demnach sollen SPD-Abgeordnete Ende Januar einen konkreten Vorschlag machen, wie Fraktionschef Rolf Mützenich ankündigte – also just zu dem Zeitpunkt, da die britische Regierung alle Corona-Restriktionen aufheben will. Nun soll es in zwei Wochen zunächst eine „Orientierungsdebatte“ zur Impfpflicht im Bundestag geben, bei der Abgeordnete der SPD Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen sollen, die dann Grundlage für einen Gruppenantrag zusammen mit Parlamentariern anderer Fraktionen sein werden.

Impfpflicht ohne Pandemie?

Bis zu einer Entscheidung im Bundestag sollte sich das Parlament danach nicht länger als zwei Monate Zeit lassen, meinte Mützenich: „Wir werden das im März abgeschlossen haben, ganz klar.“ Scholz hatte sich im vergangenen Jahr für ein Inkrafttreten einer allgemeinen Impfpflicht Anfang Februar oder Anfang März ausgesprochen. Anscheinend geht die SPD nach wie vor davon aus, dass selbst im März noch diesbezüglicher Handlungsbedarf besteht, obwohl Daten aus mehreren Ländern sowie zahlreiche Studien darauf hinweisen, dass die Omikron-Variante nicht nur deutlich harmloser ist als bisherige Covid-Varianten, sondern auch den Impfschutz durch die zugelassenen Vakzine unterläuft. Entweder spielt die größte Regierungspartei hier auf Zeit, in der Hoffnung, dass sich die Pandemie und damit die Frage nach der Impfpflicht bis dahin erledigt haben wird, wodurch man sich mit den vorauszusehenden rechtlichen Hürden nicht weiter auseinandersetzen muss. Oder man beharrt stur auf dem einmal eingeschlagenen Impfkurs, ohne Rücksicht auf die Frage, ob überhaupt noch eine epidemische Lage besteht. Doch wenn Länder wie Großbritannien die Omikron-Variante gut überstehen und ohne Impfpflicht wieder zur Normalität übergehen können, dürfte deren Durchsetzung hierzulande noch schwieriger werden.

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