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(picture alliance) Abwarten und Tee trinken: In der FDP soll es trotz Krise, mit Kapitän Brüderle bald wieder bergauf gehen

FDP - Rainer Brüderle und die Machtspiele der Liberalen

In ihrer desolaten Lage setzen die Liberalen verzweifelt auf ihren Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle, den heimlichen Parteichef

Freundlich, wie es seine Art ist, brach Rainer Brüderle ein Tabu der Liberalen: Er lobte Wolfgang Schäuble. Der CDU-Finanzminister sei nicht nur ein Ehrenmann, dem er voll vertraue, sondern auch ein exzellenter Fachpolitiker, rief der neue FDP-Fraktionschef den Abgeordneten Ende September im Deutschen Bundestag zu. Er wiederholte damit, was er tags zuvor schon Journalisten bei einem „Pressefrühstück“ in die Blöcke diktiert hatte. Als Vertraute Guido Westerwelles davon hörten, zweifelten sie an Brüderles Verstand: „Hat der was genommen?“

Ausgerechnet Schäuble wurde da hofiert. Der Mann, dem das Elend der FDP angelastet wurde, weil er den Liberalen immer wieder in die Suppe gespuckt und alle ihre Steuersenkungsträume vereitelt hatte. Westerwelle vernahm es auf der Regierungsbank und quittierte Brüderles Lob mit versteinertem Gesicht. Auch sein Nachfolger, Philipp Rösler, den Schäuble kurz zuvor wie einen Schuljungen abgekanzelt hatte, weil er im Zusammenhang mit Griechenland die Formel „geordnete Insolvenz“ in die Debatte geworfen hatte, schien nicht amüsiert.

FDP-Schatzmeister Patrick Döring hingegen begriff Brüderles Charmeoffensive sofort als das, was sie war: „der trickreiche Versuch, den CDU-Finanzminister zu umarmen und zu vereinnahmen. Ich glaube, dass dieses dem Schäuble mehr wehtut, als wenn man sich an ihm abarbeitet.“

Westerwelles Strategie, Schäuble ständig zu zeigen, wie sehr er ihm misstraue, und in Hintergrundgesprächen gegen ihn sticheln zu lassen, habe zwar der Stimmung in der Partei entsprochen, aber zu nichts geführt. Dörings (späte) Einsicht: „Wir werden nicht erfolgreich sein, wenn wir glauben, wir könnten Steuer- und Finanzpolitik gegen den Bundesfinanzminister machen. Der Mann ist ein ganz harter Profi, und den brauchen wir in dieser Krise. Das ist wie beim Papst: Da kann man zwar anderer Meinung sein, aber er hat die größere Meinungsmacht.“

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Das scheint Brüderle genauso zu sehen. Seit seinem temperamentvollen Auftritt im Bundestag, bei dem er frech und selbstbewusst zur Attacke gegen Rote und Grüne blies und damit seine Fraktion auch rhetorisch begeisterte, ist er unangefochten die Nummer eins in der FDP – fast schon der heimliche Vorsitzende. Er ist der Letzte aus der alten FDP-Riege und zu seinem eigenen Erstaunen plötzlich ein Hoffnungsträger der waidwunden Partei geworden. Röslers im Bundestag nachgeschobener Redebeitrag wirkte demgegenüber wie der matte Versuch, das Revier zu markieren und dem Publikum zu zeigen, dass es noch einen amtierenden Vorsitzenden gibt. Der neue Parteichef, sein Generalsekretär Christian Lindner und Gesundheitsminister Daniel Bahr – drei jugendliche Parteinovizen, die es nicht schafften, den gescheiterten Westerwelle auch aus dem Regierungsamt zu drängen und deshalb von den Medien als die „jungen Milden“ verspottet werden – sehen neben dem erfahrenen Brüderle ziemlich alt aus.

Denn der neue Chef im Ring, der während der Westerwelle-Krise behauptete, er wolle unbedingt Wirtschaftsminister bleiben, und eine Zeit lang auch beleidigt tat, weil er als Bauernopfer im Machtgeschacher galt, hat seinen Traumjob gefunden. Als lustiger Pfälzer und wegen seiner verbindlichen und jovialen Art oft unterschätzt, hat er in Mainz, Bonn und Berlin als Minister und Abgeordneter alle Tricks und Kniffe gelernt, die man braucht, um bei den Liberalen voranzukommen. Die Partei, die transparente, liberal offene Diskussionen als ihr Markenzeichen preist, ist – wie alle anderen im Bundestag – ein Konglomerat konkurrierender Gruppen und Grüppchen, in dem der Konsens nur das Resultat anhaltender Intrigen ist. Und die haben eine lange Geschichte.

Brüderle hat selbst kräftig mitgemischt. Von 2002 bis 2009 war er Chef eines immer noch einflussreichen Klüngelzirkels, der sich „Schaumburger Kreis“ nennt, weil er erstmals 1969 in den alten Bonner Zeiten im malerischen „Schaumburger Hof“ am Bad Godesberger Rheinufer tagte. Jahrzehntelang machten die „Schaumburger“ – gelegentlich auch der „Canal“ genannt, weil ähnlich konservativ gestimmt wie einst die „Kanalarbeiter“ in der SPD-Fraktion – erfolgreich Personalpolitik. Wer ihnen nicht in den Kram passte, fiel in der Fraktion durch. Wer aber wie sie dachte oder selbst Mitglied der erlauchten Runde war (oder ist), hat auch heute noch gute Chancen, in der Bundestagsfraktion oder der schwarz-gelben Regierung Karriere zu machen.

1982 unterstützten die „Schaumburger“ – damals angeführt von dem ebenso gerissenen wie trinkfesten Bundestagsabgeordneten Detlef Kleinert aus Hannover – gegen massive Widerstände des linksliberalen Parteiflügels den Koalitionswechsel von der SPD zur CDU/CSU. 1992 verhinderten sie Irmgard Adam-Schwaetzer als Außenministerin und den liberalen Querkopf Burkhard Hirsch als neuen Justizminister. 1994 förderten sie den Aufstieg Guido Westerwelles – seit 2010 seinen Fall. Ohne ihre Mitwirkung, die nie vor Publikum auf offener Bühne stattfindet, sondern immer hinter den Kulissen, wäre auch Brüderle nicht Fraktionschef geworden.

Kleinert, der 1998 aus dem Bundestag ausschied, ist inzwischen 79 Jahre alt, aber gleichwohl immer noch unermüdlich unterwegs, um der liberalen Sache – so wie er sie versteht – zu dienen. Vor wichtigen Personalentscheidungen einzugreifen und rechtzeitig Weichen zu stellen, ist seine Leidenschaft geblieben. Mit wachsender Sorge sah er, dass überall in der Partei nur noch die Generation der 30-Jährigen den Ton angibt, nicht aber mehr die der 40­- bis 60-Jährigen. Vom Treiben der Youngster hält er nicht viel. Für Christian Lindners Entwurf eines neuen Parteiprogramms hat er nur Spott übrig: „Was da im Umlauf ist, strotzt nur so vor politologischem Unsinn.“

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Als Westerwelle abstürzte und eine neue Führung hermusste, war Kleinert häufiger in Berlin als sonst. Im Vorfeld der Entscheidungen mussten Mitglieder des „Schaumburger Kreises“ einige – wie er es ausdrückt – „sehr intensive Gespräche mit den Beteiligten“ führen. Das Problem bestand nämlich darin, dass Rösler Wirtschaftsminister und Brüderle Fraktionsvorsitzender werden sollte. Wohin aber mit der Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger? Sie wurde im Mai erst einmal neu als Mitglied des einflussreichen Klüngelvereins aufgenommen. Aber das genügte nicht. Man musste ihr etwas anbieten. Mehr als eine herausgehobene Position als Stellvertretende Parteivorsitzende war zunächst nicht drin. Inzwischen aber zeichnet sich eine Lösung ab. Birgit Homburger soll demnächst Staatsministerin im Auswärtigen Amt werden – Nachfolgerin von Werner Hoyer, der sich wegen der Libyen-Politik mit seinem Parteifreund Westerwelle überworfen hatte und deshalb geht: ein seltener Fall von politischem Rückgrat.

Kleinert wird allerdings sehr einsilbig, wenn man nach den Teilnehmern der Gespräche oder nach den Mitgliedern des Kreises fragt, obwohl man diese inzwischen sogar im Internet findet: Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms zum Beispiel gehört dazu, aber auch Schatzmeister Döring sowie die Bundestagsabgeordneten Martin Lindner, Stefan Ruppert, Volker Wissing und Heinrich Kolb, der den Vorsitz des Kreises 2009 von Brüderle übernahm. Auch Kolb hält sich an das Schweigegebot: „Das macht eben diesen Kreis aus, dass die Dinge, die dort beraten werden, vertraulich bleiben.“ Allerdings nicht immer: Im Dezember 2010 kam zum Beispiel heraus, dass die „Schaumburger“ in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin darüber beraten hatten, wie man den glücklosen Westerwelle los werden könne. Man beschloss, die Landtagswahlen 2011 abzuwarten. Seitdem wusste Westerwelle, wie es um ihn stand. Dass auch Brüderle an der Verschwörung teilnahm und nichts tat, dies zu leugnen, hat Westerwelle nicht überrascht – aber doch gekränkt.
Seit Brüderle die FDP-Bundestagsfraktion führt, die mit 93 Abgeordneten größte in der Nachkriegsgeschichte der Liberalen, haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Zu Westerwelles Zeiten wurde die FDP vom Thomas-Dehler-Haus geführt. Jetzt liegt das Kraftzentrum der FDP im Büro des Fraktionschefs im Berliner Reichstag.

Und dort wird Klartext geredet – auch über die Lage der Partei in der Koalition. Brüderle versteckt seine Meinung nicht und ist auch Journalisten gegenüber von entwaffnender Offenheit: „Jetzt können wir nicht mehr aus dieser Regierung aussteigen. Die letzte Möglichkeit wäre – nach Fukushima – die Energiewende Angela Merkels gewesen.“ Dass er diese Wende für nackten Blödsinn hält, verbirgt er dabei nicht. Die Gesamtkosten dieser einsamen Entscheidung der Kanzlerin schätzt er auf über 70 Milliarden Euro.

Brüderle weiß: Würde jetzt neu gewählt, wäre die FDP mit großer Sicherheit nicht mehr im Bundestag. Die gleiche Partei, die vor zwei Jahren mit dem Vorsitzenden Westerwelle 14,6 Prozent der Stimmen einfuhr, dümpelt jetzt in Umfragen bei 3 Prozent Zustimmung. Darum kann sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt Neuwahlen weder riskieren noch herbeiführen, sondern nur darauf hoffen, dass auch die anderen Parteien – von ganz links bis zu den Grünen – aus den unterschiedlichsten Gründen Neuwahlen scheuen. Auch die Sozialdemokraten sind keineswegs bereit, in die notleidende Regierung einzutreten. Union und FDP müssen daher aller Voraussicht nach bis 2013 weitermachen – ob sie wollen oder nicht.

„Mannschaftsspiel“ heißt deshalb das Zauberwort, das Brüderle jetzt in jeder Talkshow unterbringt – ganz gleich, worum es dort gerade geht. Die Koalition, das ist sein Mantra, könne nur Erfolg haben, wenn sie geschlossen bleibe. Seine eigene Partei allerdings macht keineswegs den Eindruck eines kohärenten Teams. Das hat Geschichte (siehe auch „Es war einmal eine Partei“).

Die von dem FDP-Rebellen Frank Schäffler initiierte Mitgliederbefragung über die milliardenschweren Rettungsschirme kommt der neuen Fraktionsführung deshalb gar nicht mehr so ungelegen. Bietet sie doch die Möglichkeit, auch in der Europafrage Berechenbarkeit zu demonstrieren. Ganz sicher sind sich die Parteiführer allerdings nicht. Deshalb setzen sie auf ihre emeritierten Würdenträger. Die früheren Parteivorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel sollen es richten. Sie wurden herzlich eingeladen, sich an die Spitze der Gegenbewegung zu stellen und ihre Unterschriften unter eine Resolution zu setzen, die gerade ausgearbeitet wird. Sie soll für ein erweitertes Europa werben, für mehr Solidarität mit in Not geratenen Euroländern und vor allem die Schäffler-Initiative abblocken. Über beide Texte werden dann die Mitglieder abstimmen – Brüderles Leute sind optimistisch, am Ende zu gewinnen. Allenfalls 30 Prozent, so schätzen sie, werden Schäffler und 70 Prozent den Haudegen aus Bonner Zeiten folgen.

Dass das neoliberale Dogma der FDP – „der Markt wird es schon richten“ – ausgerechnet vom Finanzmarkt ausgehebelt wurde, dass der Staat und seine Steuerzahler als letzte Retter jener Europäischen Union werden herhalten müssen, der sich Hans-Dietrich Genscher ein ganzes Politikerleben lang verschrieben hatte, stört die „Schaumburger“ Strategen nicht sonderlich. Ihr immerwährendes Thema ist das alte geblieben: Wie kann die FDP im Kabinett bleiben, egal was die reine Lehre vorschreibt? Es geht um die Macht, mehr nicht. Das „Wofür?“ kommt später.
 

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