Das Parteiordnungsverfahren - Hohe Hürden für einen Rausschmiss

Die Möglichkeit, ein Parteimitglied ausschließen zu können, gehört zur demokratischen Binnenordnung von Parteien. Das gilt auch für den Fall Hans-Georg Maaßen bei der CDU. Ein solcher Vorgang ist aber kompliziert.

Hans-Georg Maaßen (CDU) / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Hier finden Sie Beiträge von Gastautoren sowie in Kooperation mit anderen Medien und Organisationen. 

So erreichen Sie Cicero-Gastautor:

Anzeige

Sie wollen ihn unbedingt los werden. Der von dem CDU-Kreisparteigericht Thüringen erteilte Verweis für den prominenten Rechtsabweichler Hans-Georg Maaßen genügt der Parteispitze nicht. Generalsekretär Carsten Linnemann drängt auf einen Parteiausschluss des vormaligen Verfassungsschutzpräsidenten. Die Union geht dafür in die nächst höhere Instanz - vor das Landesparteigericht. 

Denn sie fürchtet, mit jedem weiteren Interviewausraster Maaßens im zähen Kampf gegen die AfD in Ostdeutschland ins Hintertreffen zu geraten. In sozialen Netzwerken hatte Maaßen die rote Linie überquert, als er schwadronierte, in den Medien tobe sich ein „eliminatorischer Rassismus gegen Weiße“ entlang einer „grün-roten Rassenlehre“ aus. Damit hat die Christenunion einen ähnlichen Fall wie den von Thilo Sarrazin an der Backe, dessen Ausschluss aus der SPD sich in einem quälenden Prozess zehn Jahre von 2010 bis 2020 hinzog.  

Parteiengesetz von 1967

Die Möglichkeit, ein unbotmäßiges Parteimitglied aus den eigenen Reihen ausschließen zu können, gehört zur demokratischen Binnenordnung von Parteien. Das Verfahren ist niedergelegt im Parteiengesetz von 1967, das den Artikel 21 des Grundgesetzes konkretisierte, wonach den Parteien eine tragende Rolle bei der politischen Willensbildung zukomme. 

„Man wollte von Seiten der Väter und Mütter des Grundgesetzes deutlich markieren, dass die Parteien unter besonderem Schutz stehen sollten,“ betont Parteienforscher Uwe Jun von der  Uni Trier: „Das war die Konsequenz, die Folge eben aus der Nazi-Diktatur, in der ja die Parteien missachtet worden sind“. Hitler hatte in der Debatte um das Ermächtigungsgesetz 1933 vor dem Reichstag unmissverständlich ausgerufen: „Wir sind intolerant. Ich habe mir ein Ziel gesteckt: nämlich die dreißig Parteien aus Deutschland hinaus zu fegen.“ 

Liberaler Umgang mit Abweichlern 

Deshalb war es dem Verfassungskonvent in Herrenchiemsee 1948 und im Jahr darauf dem Parlamentarischen Rat ein zentrales Anliegen, den wichtigen Auftrag der Parteien für die Willensbildung in der parlamentarischen Demokratie hervorzuheben, dass Parteien die Verbindungslinien zwischen Staat und Gesellschaft darstellen. Sorgsamer staatlicher Umgang mit den Parteien war angesagt, um die junge Demokratie zu stabilisieren, mit der Besonderheit, dass nur das Bundesverfassungsgericht eine Partei verbieten darf.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Nachdem die Weimarer Reichsverfassung von 1919 keine spezifischen Bestimmungen über Parteien enthalten hatte, sollte ein neues Parteiengesetz in der Bonner Republik auch eine Regelung zur „innerparteilichen Demokratie“ formulieren. Die Parteien waren aufgefordert, den Umgang mit missliebigen Mitgliedern liberal zu handhaben. Andererseits mussten sie aber als so genannte „Tendenzvereinigungen“ darauf achten, eine gewisse inhaltliche Geschlossenheit vorzuweisen, um für die Wählerschaft überhaupt erkennbar zu sein. 

Einführung einer Schiedsgerichtbarkeit

Wie das zu geschehen hätte, konkretisierte erst ein Parteiengesetz, das 1967 über die grundgesetzliche Regelung des Artikels 21 GG von 1949 hinaus erlassen wurde. Danach haben Parteien das Recht, in einem vorgeschriebenen Verfahren gegen Mitglieder vorzugehen, die nach Ansicht eines Schiedsgerichts der Partei Schaden zugefügt haben, sei es in Wort oder Schrift oder durch sonstiges Fehlverhalten – etwa im Umgang mit Finanzen oder Statuten. 

Mit der Einführung einer Schiedsgerichtbarkeit soll verhindert werden, dass Mitglieder nicht willkürlich ausgeschlossen werden können, etwa durch Mehrheitsentscheidungen in einem Gremium. Schiedsgerichte setzen sich auf Unterbezirks- Landesbezirks- oder Bundespartei-Ebene aus Parteimitgliedern zusammen, konkret aus einem oder einer Vorsitzenden, zwei Stellvertreterinnen oder Stellvertretern und vier weiteren Mitgliedern.

Angerufen werden Schiedsgerichte in Streitverfahren um die Einhaltung der Statuten, zum Beispiel bei der Veruntreuung von Geldern, oder wenn jemand gegen die Ordnung verstößt oder die Grundsätze der Partei verletzt. Beispiele für einen „schweren Verstoß“ gegen die Grundsätze der Partei sind in der Regel das Äußern von rechtsextremem, xenophobem oder antisemitischem Gedankengut, von dem sich alle demokratischen Parteien scharf abgrenzen. 

Abspaltungen im kommunalen Bereich 

Ein Verstoß gegen die Ordnung der Partei liegt zum Beispiel vor, wenn ein Parteimitglied öffentlich dazu aufruft, die eigene Partei nicht zu wählen oder sogar eine andere Partei zu wählen. Ein Beispiel dazu lieferte etwa der frühere Bundesminister und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, der 2008 in der ARD-Talkrunde „Hart aber fair“ offen davon abriet, bei der Hessischen Landtagswahl für die Spitzenkandidatin seiner Partei, Andrea Ypsilanti, zu stimmen. 

Am häufigsten treten dagegen Parteiordnungsverfahren im kommunalen Bereich bei Abspaltungen von Fraktionen auf, wie Hannelore Kohl, die frühere Verwaltungsgerichtspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, bilanziert, die über viele Jahre auch als Bundesschiedskommissionsvorsitzende der SPD fungierte: 

„Die Abspaltung ist in der Tat ein unsolidarisches und fehlerhaftes Verhalten, was mit dem Ausschluss geahndet werden kann. Denn in diesen Fällen entsteht in der Regel auch ein großer Schaden nach außen für die Partei.“ 

Eingeleitet wird ein Parteiordnungsverfahren durch ein beschlussfähiges Gremium einer Parteigliederung, auf Ortsvereins- Kreisverbands- oder auf Landesvorstandsebene. Zuständig ist die Schiedskommission auf der Ebene des Unterbezirks oder des Kreisverbandes, dem das Mitglied angehört. Alles sei „so ein bisschen wie ein Gerichtsverfahren“, sagt Hannelore Kohl. Am Ende stehen der Kommission nicht viele Sanktionen zur Verfügung, die niedrigste wäre eine Rüge oder ein Verweis. 

Eine stärkere Sanktionsmöglichkeit wäre die zeitweilige Aberkennung des Rechts einzelne oder alle Funktionen innerhalb der Partei für die Dauer von drei Jahren zu bekleiden. Als nächst höhere Sanktion gilt das zeitweilige Ruhen einzelner oder aller Rechte aus der Mitgliedschaft für die Dauer von drei Jahren. Ein derart sanktioniertes Parteimitglied dürfte nur noch seinen Mitgliedsbeitrag zahlen, aber weder abstimmen noch kandidieren. Schließlich die schärfste Sanktion: der Parteiausschluss.

Ein hochgradiger Verstoß

Im Falle des grünen Dauerprovokteurs und OBs von Tübingen, Boris Palmer, kam der Betroffene durch seinen Parteiaustritt einem fälligen Ordnungsverfahren zuvor. Bei Ex-Kanzler Gerhard Schröder hatten 17 Gliederungen der SPD versucht, ein Verfahren ins Rollen zu bringen. Die Antragsteller begründeten das mit einer nachhaltigen Imageschädigung der Partei. Die sei entstanden, weil Schröder sich nach der russischen Invasion der Ukraine weder von seinem persönlichen Freund Wladimir Putin distanzierte noch seine wirtschaftlich-geschäftsmäßigen Beziehungen zur staatlich gelenkten russischen Gaswirtschaft abgebrochen habe. 

Strittig ist, ob Schröder als Putin-Amigo die „Grundsätze“ der Partei verletzt oder sich „ehrloser Handlungen“ schuldig gemacht hat. Bislang hat die Bundesschiedskommission keine Sachentscheidung getroffen, sondern „nur“ Berufungen der SPD Ortsvereine Leipzig-Ost/Nordost und Leutenbach gegen die Entscheidung der Bezirksschiedskommission des SPD-Bezirks Hannover aus prozessualen Gründen als unzulässig verworfen.

Bei Sarah Wagenknecht lag der Fall eindeutiger. Deren publizistisches Spiel mit der möglichen Gründung einer Konkurrenzpartei stellte einen hochgradigen Verstoß gegen die Ordnung ihrer bisherigen Partei dar, ohne dass diese sich gewagt hätte, ihn zu ahnden. 

Der Fall Sebastian Edathy

Trotz der jüngsten Häufung von prominenten Fällen lässt sich aber ein tatsächlicher Anstieg von Parteiordnungsverfahren in den unteren Gliederungen der Parteien empirisch nicht belegen. Stattdessen ist anhand von Einzelfällen zu beobachten, dass sich die Art der Gründe und des Umgangs verschoben hat, wie Sophie Schönberger feststellt: 

„Durch die veränderte Struktur der politischen Kommunikation und durch die zugenommene Personalisierung der politischen Kommunikation sehen wir jetzt vermehrt Fälle, in denen es auch tatsächlich eine rituelle Lossagung gibt. Die Partei möchte ein Ordnungsverfahren, vor allem weniger, weil das Parteimitglied in der Partei stören würde, sondern weil man eben nicht möchte, dass die Partei in der Öffentlichkeit mit diesem Parteimitglied in Verbindung gebracht wird.“ 

Ein Beispiel hierfür war der tiefe moralische Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy, der 2014 dem Verdacht des Besitzes von Kinderpornografie ausgesetzt war.

Parteischiedsgerichte genießen guten Ruf

Experten und Expertinnen sind sich grundsätzlich weitgehend einig: Die Parteischiedsgerichtbarkeit habe sich im Großen und Ganzen bewährt. Sie sei – so der frühere SPD-Bundesschiedsrichter Prof. Hans-Peter Bull – moderat, lasse sich nicht instrumentalisieren und habe damit die „hohe Hürde“ für einen Parteiausschluss bestätigt. Dabei gibt es womöglich auch andere Gründe für die Parteien, selbst unliebsame Mitglieder möglichst nicht auszuschließen. Denn die Attraktivität einer Parteimitgliedschaft hat drastisch abgenommen. 

Parteienforscher Uwe Jun: „Die Parteien verlieren an Mitgliedern. Sie verlieren an Einfluss in der Gesellschaft, konkurrieren mittlerweile auch mit vielen anderen, auch durch die sozialen Medien hat sich das Ganze nochmals verschoben, was die Möglichkeiten der Teilnahme an der politischen Willensbildung betrifft. Wir sehen, dass Eintritte und Austritte in manchmal sogar relativ enger zeitlicher Folge zu verzeichnen sind. Wir sehen eben, dass nicht mehr Menschen die Parteimitgliedschaft für ihr Leben anstreben.“ 

Anzeige