Von der Wannseekonferenz bis zu den neuen Bauernkriegen - Die Absichten der Panik-Politik

In der Kulturnische 3sat lässt sich exemplarisch beobachten, welche negativen Folgen ein homogenes Meinungsmilieu hat. Man bestärkt sich wechselseitig in seiner Angst vor dem Bösen, das jenseits des eigenen Milieus lauert. Als Reaktion bleibt dann den Guten nur noch die unablässige Empörung.

Wer hat Angst vorm wilden Bauern? / Screenshot 3sat Kulturzeit
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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Um die Methoden des Machterhalts zu verstehen, kann es manchmal helfen, in die weniger bekannten Nischen zu schauen. Die 3sat-Kulturzeit, die werktäglich vor der Tagesschau gezeigt wird, gehört sicherlich zu den Sendungen, die nur von einer kleinen Gruppe Kulturinteressierter geschaut wird. Was hier unter Kultur verstanden wird, ist einerseits weit gefasst, andererseits birgt die weltanschauliche Ausrichtung wenig Überraschungen. Zur Kultur wird alles gezählt, was im Weltbild des linksliberalen Bürgertums als erfreulich oder als gefährlich erachtet wird. 

Über die Entdeckung eines „Geheimtreffens“, auf dem die Wannseekonferenz 2.0 vorbereitet worden sein soll, wird in gewohnter Empörung berichtet. Die Bauernproteste passen hingegen nicht ins Weltbild. So verfiel die Kulturzeit auf einen bemerkenswerten Trick, um ihr Missfallen auszudrücken. 

Man teilte offensichtlich die Ablehnung, die jüngst die Autorin Karen Duve äußerte, als sie die Bauern als Klimasünder beschimpfte, die aus „Hass auf die Grünen“ die Bevölkerung „terrorisieren“ wollen. Eine direkte Schmähung der Landwirte erschien der Kulturzeit aber wohl zu plump, also wählte man einen Umweg. So verwandelte sich der Beitrag über die deutschen Bauernproteste in einen Beitrag über die schweizer Bauern, die nach den letzten Wahlen überproportional im Parlament vertreten sind. In kulturzeittypischer Tendenz wurde die neue Landrätin als akkordeonspielende Bäuerin gezeigt, die hinterwäldlerisch die Interessen der Landwirte vertritt, statt sich um Klimawandel und Ökolandwirtschaft zu kümmern. Schweizer Bauern sind rückständig und, wie mehrfach betont wurde, gemessen an ihrem Anteil an der schweizerischen Wirtschaft politisch viel zu stark vertreten. 

Die Absicht dieses Beitrags liegt also auf einer doppelten Ebene. Zum einen erklärt er die schweizer Bauern zum Problem, und zum anderen warnt er davor, Bauern politischen Einfluss einzuräumen. Diese doppelte Botschaft richtet sich, obschon die deutschen Bauernproteste nicht vorkommen, eindeutig gegen diese. 

Gespieltes Entsetzen wechselt sich mit inbrünstiger Besserwisserei ab

Die Kombination aus moralischem Bescheidwissen und Empörung über alle, die politisch nicht auf der eigenen Linie liegen, erzeugt den aktuellen Grundton in vielen Sendungen des ÖRR. Man steht demonstrativ fassungslos vor dem Geheimtreffen, weiß aber genau, dass die Bauernproteste falsch sind. Gespieltes Entsetzen wechselt sich mit inbrünstiger Besserwisserei ab. Dabei werden die beiden naheliegenden Fragen ignoriert: Wieso wird alles in der Welt kritisch befragt, das eigene moralische Bescheidwissen gilt hingegen als absolute Wahrheit? Und wieso übersteigt es den Horizont der Redaktionen, die negative Wirkung ihres erzieherischen Tuns zu sehen? Statt einmal zu versuchen, auf diese beiden Fragen eine Antwort zu suchen, stehen immer mehr Journalisten aus der grünen Blase verständnislos bis verängstigt vor ihrem Bedeutungsschwund. Sie können die Wut, die sie als „Mainstream“-Presse auslösen, einfach nicht verstehen. 

Die wachsende Wut auf die Medien ist aber nicht schwer zu erklären. Man müsste nur einmal den Gedanken zulassen, dass nicht alle Menschen die Meinung der Redaktionen teilen. Und man müsste zugeben, dass nicht jede andere Meinung eine Gefahr darstellt, die bekämpft werden muss. Zuschauer und Leser sind keine Mündel, die Medien konsumieren, weil sie gerne erzogen werden, und sie sind keine potentiellen Übeltäter, die ermahnt werden müssen. 

Würde dieser einfache Gedanke zugelassen, würde aus dem Geheimtreffen der Wannseekonferenz 2.0 das, was Mathias Brodkorb und andere beschrieben haben: ein Treffen, auf dem rechtsradikale Gedanken der identitären Bewegung, die seit Jahren in Buchform vorliegen, besprochen wurden. Was an Gedanken, die als Buch und in YouTube-Videos frei zugänglich sind, geheim sein soll, wäre zu erklären. Und ein Treffen in einem Hotel kann alles Mögliche sein, aber es geheim zu nennen, widerspricht jeder Logik. Wer sich geheim treffen will, wird andere Orte wählen als ein Hotel in Potsdam, das nur aus Sicht der Berliner Innenstadt jenseits des eigenen Horizonts liegt. 

Statt lustgruselnd vor einem selbstkonstruierten Skandal zu erzittern, könnte man die rechtsradikalen Gedanken widerlegen und zugleich ihre Nähe zu den aktuellen Forderungen nach Aberkennung der doppelten Staatsbürgerschaft (Nancy Faeser) und „Abschiebung im großen Stil“ (Olaf Scholz) debattieren. 

Man imaginiert eine Bedrohungslage, um die eigene Macht als gefährdet erscheinen zu lassen

Ebenso könnten die Bauernproteste kritisiert werden. Das Übergewicht der Großbetriebe, die sich der ökologischen Landwirtschaft verweigern, und der verschleppte Wandel von der Qualzucht in Massenställen zur tiergerechteren Haltung könnten angemahnt werden. Doch eine solche Sachdiskussion wird verhindert, wenn die erste Reaktion darin besteht, nach rechter Unterwanderung zu fahnden und jeden Galgen, an dem eine Ampel baumelt, zum Fanal des Umsturzes zu erklären. 

In der Kulturnische 3sat lässt sich exemplarisch beobachten, welche negativen Folgen ein homogenes Meinungsmilieu hat. Man bestärkt sich wechselseitig in seiner Angst vor dem Bösen, das jenseits des eigenen Milieus lauert. Als Reaktion auf das allgegenwärtige Böse bleibt dann den Guten nur noch die unablässige Empörung. Indem keine Argumente mehr gegeneinandergestellt werden, treffen die Wünsche, die andere Meinung möge verboten werden, immer heftiger aufeinander. Die Remigrations-Phantasien eines Identitären treffen dann auf die Cancel-Phantasien eines empörten Moralbürgers. Die Angst vor dem Ende der deutschen Nation trifft auf die Angst der Klimaprotestler vor dem Ende der Welt. Und die Bauernproteste treffen auf besorgte Grüne, deren Essen aus dem Bioladen kommt. 

 

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Dass sich dadurch die Fronten verhärten, ist klar. Der Unterschied zwischen beiden Seiten besteht jedoch darin, dass sich die Seite, die über die umfangreichen Mittel des ÖRR verfügt und die übergroße Mehrheit hinter sich hat, immer häufiger so verhält, als wäre sie eine bedrohte Minderheit, die laut um Hilfe rufen muss. Dann wird jeder Beitrag in einer Kultursendung zum Aufruf an die Gemeinde, jetzt gegen die Übermacht der Rechten, der Bauern oder des Patriarchats die letzten Kräfte zu mobilisieren. Die Pose der Panik ist aber für die Sachwalter der bestehenden Hegemonie ein unlauteres Mittel. Sie imaginiert eine Bedrohungslage, um die eigene Macht als gefährdet erscheinen zu lassen. Aus dieser Machtlosigkeit leitet sie dann das Recht ab, mit allen Mitteln den Feind bekämpfen zu dürfen. 

Der eigentliche Trick besteht also darin, die Bedrohung immer gewaltiger in Szene zu setzen, während die eigene Macht winzig klein erscheinen soll. So wird aus einem Potsdamer Hotel die Wannseekonferenz und aus Bauernprotesten der kommende Umsturz durch rechte Kräfte. Der Trick besteht also darin, mit Panik Politik zu machen, indem man den Gegner als übermächtig und sich selbst als bedroht darstellt, um alle zur Solidarität zu verpflichten. 

Es machen sich erste Risse bemerkbar

Die einfache Antwort auf das Rätsel, warum der ÖRR und das zugehörige grüne Milieu zunehmend an Akzeptanz verlieren, besteht darin, dass immer mehr Menschen diesen Trick durchschauen. Abweichende Meinungen werden erst dämonisiert und dann zur übermächtigen Gefahr stilisiert. Daraus wird dann die Pflicht abgleitet, dass nun alle zu den Guten stehen müssen, soll die Welt nicht untergehen. Damit dieser Trick immer weiter funktioniert, braucht es immer neue Bedrohungsszenarien. Und die ultimative Bedrohung besteht in Deutschland noch immer darin, die Gefahr im Gewand des historischen Faschismus vorzuführen. 

Doch an den immer hektischeren Bemühungen, mit der sich das Entsetzen auf allen Kanälen verbreiten soll, ist abzulesen, dass man dem eigenen Trick nicht mehr unbedingt traut. Es machen sich erste Risse bemerkbar. Das Naziflugblatt des Schülers Aiwanger führt nicht automatisch zu seinem Tod als erwachsener Politiker. Stattdessen geht er als Wahlgewinner hervor. Die Bauernproteste können nicht einfach als rechter Mob disqualifiziert werden. Stattdessen reihen sich zahlreiche Mittelständler in die Proteste ein. Die Worte der Grünen und ihrer folgsamen Leitmedien finden nicht nur Applaus. Stattdessen wird die Kritik an den handwerklich schlechten und ideologisch einseitigen Gesetzen aus dem Ministerium Habeck laut. Und die Panik vor Klimawandel und Nazis versetzt nicht mehr alle in den Ausnahmezustand, in dem es nur noch die eine grüne Wahrheit geben darf. 

Da diese Risse vielleicht auch im Inneren der homogenen Redaktionsstuben bemerkt werden, darf man damit rechnen, dass die Panikmeldungen in kommender Zeit weiter zunehmen werden. Denn das beste Mittel gegen den Machtverlust besteht darin, die eigene Macht als Ohnmacht zu behaupten und eine Übermacht des Bösen möglichst lautstark zu beklagen. Diese Klagen kommen manchmal so umwegig daher wie die Abkanzelung der Bauernproteste in Kulturzeit und manchmal so kolportagehaft reißerisch wie die Wannseekonferenz 2.0. Die Mündigkeit der Bürger würde damit beginnen, die Absichten der Panik-Politik zu erkennen. Dass diese Aufklärung über ihre Tricks von den Medien, die ursächlich der Aufklärung verpflichtet waren, als Bedrohung angesehen wird, könnte nachdenklich stimmen. 

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