Mit dem Kanzler auf der Liegewiese  - „Das Land nimmt Fahrt auf!“

Bundeskanzler Olaf Scholz ist schon im Urlaubsmodus. Bei seiner Sommerpressekonferenz verblüfft er mit rosaroten Zukunftsaussichten: Die AfD wird wieder schrumpfen, die Wirtschaft wird wachsen und die Sorgen der Menschen werden – baden gehen.

Vorm Urlaub zu Fuß unterwegs: Der Kanzler auf dem Weg von Kanzleramt zur Bundespressekonferenz /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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„Schöner Sommertag heute“, begrüßte Bundeskanzler Olaf Scholz die Journalisten. So wie man es zum Sitznachbarn im Freibad sagt, der zu dicht neben einem liegt, weil es so drangvoll eng ist; mit dem man aber eigentlich nicht sprechen möchte, schon gar nicht über Politik. In seiner anderthalbstündigen Sommerfragestunde auf Einladung der Bundespressekonferenz blieb der Regierungschef heute Mittag in Berlin stets freundlich und locker. Nur war Scholz eigentlich schon im Liegewiesen-Modus. Jede Frage brachte letztlich bei ihm doch nur eine abgespulte und abgewogene Antwort hervor. Lästig, solche Smalltalks. Lasst uns die Sonne genießen. Alles prima! „Das Land nimmt Fahrt auf!“ Wird schon! Sonnenbrille auf und weiter dösen. 

Der Ferien-Scholz ist nicht der alte „Scholzomat“, der hölzern wirkt und steif. Der neue Sommerkanzler schmunzelt ständig, schaukelt mit dem Kopf, er ist wie früher der knallrote Kaugummi-Automat an der Hauswand: Es gibt immer eine süße Kugel, was immer man auch reinwirft. Das wurde besonders bei eben der Freibad-Frage deutlich. In Berlin wird das Columbiabad geschlossen, weil die Mitarbeiter Angst vor den randalierenden Jugendlichen haben. Was ist da los? Antwort Scholz: „Freibad ist Lebensqualität“. Nachfrage: Gibt es Integrationsprobleme, weil hier oft junge Männer mit Migrationshintergrund randalieren. Antwort: „Die Leute verhalten sich nicht richtig, das dürfen wir nicht dulden.“ 

Klar, im Urlaub will man nicht mit lästigen Problemen bedrängt werden. Schon gar nicht hat man Lust auf Diskussion. Aber Scholz war heute ja eigentlich noch nicht im Urlaub, und doch hat er schon im Vorgefühl auf das nahe Glück alles schwierige, heikle und brisante gekonnt umschifft. Und am Schluss war er auch noch selbst stolz darauf, wie elegant er durch das politische Themen-Potpourri der Hauptstadt-Journalisten gesurft ist. „Schöne Ferien“, schloss er dann auch sichtlich zufrieden die Fragerunde.

AfD wird bei Bundestagswahl nicht stärker

Manchmal brachte Scholzens Frageabwehrstrategie dann aber doch überraschende Antworten hervor. Jemand wollte wissen, was er denn zu den wachsenden Umfragewerten der AfD meine. Antwort: Das geht vorbei. Er sei „ganz zuversichtlich“, so der SPD-Politiker, „dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht viel anders abschneiden wird als bei der letzten.“ Da reibt man sich die Augen. Hat er das wirklich gesagt? Statt einer Problemanalyse also einfach eine waghalsige Prognose, so geht der Sommer-Talk am Plantschbecken. In allen 16 Bundesländern hätten die „demokratischen Parteien“ eine „große Mehrheit“. Wie kann er zu so einer Aussage kommen, obwohl doch gerade die Umfragewerte der AfD im Osten eben anders aussehen? Und eine „Normalisierung“ rechten Gedankenguts sehe er nicht, so Scholz. Aber dann müsste er doch was zu der Motivlage der  vermeintlichen Protestwähler sagen. Fehlanzeige! Und im Übrigen seien Rechtspopulisten europäische Normalität, sagt Scholz. Was soll uns das sagen?

Es ist eine verblüffende Strategie, alle Fragen nach der gegenwärtigen Krise beantwortet Scholz mit einem waghalsigen Doppellooping vom Ampel-Dreier: Früher war es noch schlechter, und in Zukunft wird alles noch besser. Platsch, Wasseroberfläche, eintauchen und weg. Seine Analyse zur Stimmung der Bevölkerung lautet dann zusammengefasst in etwa so: „Viele Bürgerinnen und Bürger sind sich nicht so sicher, wie die Zukunft in 20 bis 30 Jahren sein wird.“ Deswegen modernisiere die Regierung das Land, sorge für Innovationen und stärke die Volkswirtschaft. Die Botschaft wörtlich: „Es wird gut ausgehen für jeden Einzelnen und für jede Einzelne von uns.“ Aber wo ist das Heute? Das Hier und Jetzt? Der Alltag hat Urlaub! Weder das Wort Inflation noch das Thema Wohlstandsverlust kamen bei Scholz vor. „Gelassenheit“, fordert Scholz und blinzelt in die Sonne.

Einmal jedoch verließ der Kanzler die relaxte Position, richtete sich sozusagen innerlich auf. Wiederholt wurde er gefragt, wieso er in der Klimapolitik nachlasse, das Heizungsgesetz „weichgespült“ habe, kein „Klimakanzler“ mehr sei. Die Journalisten attackierten ihn sozusagen wie dunkelgrüne Bademeister. Das wollte er nicht stehen lassen. Deutschland werde als viertgrößte Industrienation der Welt bald klimaneutral wirtschaften, das sei sowohl ein hoher Anspruch als auch eine anspruchsvolle Aufgabe.

Kanzler empfiehlt Volksabstimmungscheck

Aber deutlich wurde doch, dass der Kanzler die Bademeister-Besserwisser-Attitüde ablehnte. Die Bürger müssten mitgenommen werden, eine breite Unterstützung der Bevölkerung sei bei allen politischen Entscheidungen notwendig. „Meine Überzeugung ist, wer zum Beispiel Klimapolitik machen will, muss sich zutrauen, dass jede einzelne gesetzliche Regelung in einer Volksabstimmung eine Mehrheit fände. Das muss der Ehrgeiz sein.“ Das war dann doch Scholz klare Ansage gegen grüne Avantgarde und für einen traditionellen sozialdemokratischen Gestus. Doch ist der im Regierungshandeln schon sichtbar? Wenn für die Ampel künftig dieser Volksabstimmungscheck gilt, dann wird es eng für manche grüne Vorhaben. Das Selbstbestimmungsgesetz lässt grüßen.

 

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Zu Beginn der Pressekonferenz hatte der Kanzler mit vier Spiegelstrichen eine Art kleine Halbjahresbilanz seiner Regierung gezogen. Ukrainekrieg, Wirtschaft und Klimaschutz, soziale Sicherheit und Schuldenbremse waren die Stichworte. Dabei ist dann doch verblüffend, wieviel Scholz und wie wenig die SPD vorkommt. Die Sozialdemokratie musste bei der „Zeitenwende“ die Aufrüstung hinnehmen, beim Klimaschutz gewisse Rücksichten auf die Wirtschaft nehmen, bei der sozialen Sicherheit auf eine klare Sozialstaatswende verzichten – trotz Mindestlohn und Kindergrundsicherung – und vor allem in der Finanzpolitik strenge Haushaltsdisziplin statt Reichensteuer und Schulden für Investitionen hinnehmen. Wie lange werden die Genossen einen Scholz an der Spitze ertragen?  

Der Kanzler selbst geht von einer langen Kanzlerschaft aus. Von Halbzeitbilanz will er keineswegs reden, er stehe erst ganz am Anfang. Als Perspektive für sein Denken bietet er die 30er Jahre dieses Jahrhunderts an. Die aktuell niedrigen Umfragewerte will er deswegen auch nicht kommentieren. Urlaubsreif? So ein Wort kennt sein Sprachschatz deswegen auch nicht. Er freue sich nun auf die Auszeit, nötig habe er sie aber nicht. Und im Übrigen war er schon seit 40 Jahren nicht mehr im Freibad baden, bekennt er. Freibäder kenne er nur von Wahlkampfveranstaltugen. Vielleicht ist das, knapp gesagt, das Scholz-Defizit. Zuviel Kanzleramt, zu wenig Badeanstalt. 

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