Olaf Scholz bei Maybrit Illner - Krisenkanzler im Zaudermodus

In der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ sollte Kanzler Olaf Scholz die Fragen von normalen Bürgern beantworten, die unter steigenden Energiepreisen leiden. Statt klarer Aussagen gab es Ablenkungsmanöver und Märchen. Scholz ahmt sein Vorbild nach: Angela Merkel. Doch mit deren Zaudertaktik wird die sich anbahnende Megakrise nicht zu bewältigen sein. Sie ist ein Resultat davon.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei Maybrit Illner / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Es herrscht eine merkwürdige Stimmung in Deutschland. Wir schlittern in eine Energie- und Wirtschaftskrise hinein, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Aber der Politik- und Medienzirkus moderiert routiniert darüber hinweg. Erst etwas Alarm schlagen, dann kleinteilig und ermüdend über Lösungs- und Rettungspakte diskutieren. Und darauf vertrauen, dass es so schlimm doch nicht kommen und die nächste Krise die aktuelle ablösen wird. So läuft es schließlich schon seit Jahren. So lief das Modell Merkel, deren gesamte Kanzlerschaft aus einer Abfolge von Krisen bestand.

Ihr Nachfolger, SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz, kopiert Merkels vermeintliches Erfolgsrezept. Das wurde gestern Abend bei seinem Auftritt in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ auf quälende Weise deutlich. Die Redaktion hatte die Idee, den oft etwas unterkühlt wirkenden Hamburger nicht mit anderen Talkshow-Profis wie Politikern und Journalisten zu konfrontieren, sondern mit echten Menschen, die sich echte Sorgen machen. Ein Intensivkrankenpfleger, der eine Familie gründen will, aber nicht weiß, ob er sich ein Kind leisten kann. Und ein Bäckerehepaar aus Thüringen, deren Betrieb vor dem Aus steht, weil sie die explodierenden Preise für Energie und Rohstoffe nicht an ihre Kunden weitergeben können.

Aus inhaltlich nicht unbedingt nachvollziehbaren Gründen musste noch eine studentische Klimaaktivistin in der Runde sitzen. Und Kateryna Mishchenko, eine aus der Ukraine geflüchtete Verlegerin, Übersetzerin und Schriftstellerin, sollte offenbar verhindern, dass bei all der Beschäftigung mit nationalen Wohlstandssorgen das Leid der Menschen im Kriegsgebiet aus dem Blick gerät.

Ablenkungslitanei des Kleinkleins alltäglicher Regierungsarbeit

Olaf Scholz gab sich alle Mühe, den Talkshow-Gästen und Fernsehzuschauern den Eindruck zu vermitteln, er habe die schwierige Lage, in die sich Deutschland durch seine Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen hineinmanövriert hat, im Griff. Genauso wie es Angela Merkel stets getan hat, erstickte er die drängenden, grundsätzlichen Fragen durch eine im monotonen Tonfall vorgetragene Ablenkungslitanei des Kleinkleins alltäglicher Regierungsarbeit. Auf diese Weise soll dem Wähler das beruhigende – man könnte auch sagen: einschläfernde – Gefühl vermittelt werden, der Kanzler kümmere sich schon um alles. Mit Ruhe, Besonnenheit und Weitblick. Kein Grund zur Aufregung.

 

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Scholz’ Taktik mag derzeit noch aufgehen. Noch ist Sommer. Die Deutschen sind krisenmüde. Nach Euro- und Finanz-, dann Flüchtlings- und zwischendurch Klimakrise hat das Land gerade erst zwei Jahre Corona-Daueralarmstimmung hinter sich gebracht. Dass im kommenden Winter das Gas knapp werden könnte, ist zwar eine reale, aber für viele Bürger noch rein abstrakt wirkende Gefahr. Und auch der Energiepreisschock hat die meisten Privathaushalte noch nicht richtig getroffen. Denn über längerfristige Verträge mit ihren Versorgern sind sie zunächst gegen allzu stark steigende Kosten für Gas und Strom geschützt.

Unternehmer wissen nicht mehr, wie es weitergeht

Ganz anders sieht es aber bei Unternehmen aus, die ihren Energiebedarf kurzfristiger decken. Das machte das Ehepaar Steffen und Cornelia Stiebling aus Thüringen, die in der ZDF-Sendung zugeschaltet waren, deutlich. Nicht nur in dem, was sie sagten, sondern auch darin, wie sie Scholz’ Antworten aufnahmen. Während der Kanzler zu langatmigen Ausführungen über beschlossene Entlastungsmaßnahmen und rechtliche Vorbereitungen für eine Gasmangellage ausholte, blickte das Bäcker-Paar entgeistert vom Studiobildschirm.

„Ich bin der Meinung, dass man jetzt alles auf den Tisch legen sollte“, platzte es irgendwann aus Steffen Stiebling heraus. „Man muss auch mit den Russen reden. Nord Stream 2 aufmachen. Dass das irgendwie weitergeht. Ich kann doch nicht dieses Land komplett vor die Wand fahren, weil ich gegen den Krieg bin. Das ist alles richtig. Aber der Schaden ist unermesslich, der da entsteht.“

Der Bäckermeister, der seine Brötchen weiterhin für 70 Cent verkauft, aber mehr als das Doppelte für Gas, Weizen und Verpackungsmaterial zahlen muss, sprach damit aus, was in den kommenden Monaten die entscheidende Frage sein wird: Welche Einschränkungen und welche Wohlstandsverluste nimmt die deutsche Bevölkerung in Kauf, um der Ukraine weiterhin beizustehen?

„Jetzt erst recht“-Mantra der Energiewende-Anhänger

Zu Beginn des russischen Angriffs auf das Nachbarland war der Rückhalt für die sich zur Wehr setzenden Ukrainer auch hierzulande groß. Doch spätestens seit Putin begonnen hat, am Gashahn zu drehen, wird der breiten Öffentlichkeit langsam klar, was auf dem Spiel steht. Der Rückhalt wird umso stärker schwinden, je kälter es in deutschen Wohnungen wird und je mehr Arbeitsplätze verloren gehen, weil der Industrie das Gas fehlt – oder es schlicht zu teuer wird.

Olaf Scholz versucht bisher, diesen Fragen auszuweichen. Das ist ihm bei „Maybrit Illner“ mehr oder weniger gut gelungen. Er betonte, dass Deutschland keine Sanktionen beschlossen hat, die das Gas betreffen, weil man ja wusste, wie sehr uns das schaden würde. Und er beschwor das bislang noch als Lösungsweg angesehene „Jetzt erst recht“-Mantra der Energiewende-Anhänger: Der rasant zu beschleunigende Ausbau von Wind- und Solarstromerzeugung werde Deutschland unabhängiger und Energie billiger machen. Als wäre es nicht genau diese verfehlte Energiepolitik gewesen, die Deutschland in die Abhängigkeit von Putins Gazprom getrieben hat. Der Kreml-Herrscher freute sich über jedes abgeschaltete Atomkraftwerk, denn er wusste, dass es durch Gaskraftwerke ersetzt wird. In Deutschland hält man jedoch weiterhin an der großen Märchenerzählung fest, ein europäisches Industrieland könne sich durch heimischen Wind- und Solarstrom autark versorgen.

Der Mythos vom billigen Ökostrom

„Wir versuchen langfristig, uns aus diesen Abhängigkeiten zu befreien“, sagte Kanzler Scholz am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung. „Aber das wird nicht morgen und im nächsten Jahre helfen. Wir haben gerade heute viele Beschlüsse gefasst, dass wir Strom aus erneuerbaren Energien produzieren wollen, der auf Dauer billiger sein wird. Aber das ist nicht jetzt. Das wird sich hinziehen, bis das sich bei den Preisen niederschlägt.“ Ein weiterer Teil des Energiewende-Märchens: Angeblich ist Strom aus erneuerbaren Quellen konkurrenzlos billig. Wind und Sonne schicken keine Rechnungen, heißt es.

Doch das ist ein Mythos. Die Rechnung schicken andere: Netzbetreiber, die neue Leitungen bauen müssen, um wetterbedingte Schwankungen im Stromnetz ausgleichen zu können, damit es nicht zum Blackout kommt. Energiekonzerne, die ihre Kohle- oder Gaskraftwerke betriebsbereit halten, um im Notfall einspringen zu können, wenn gerade nicht genug Wind weht und die Sonne nicht scheint.

Diese Probleme hat in der Fernsehrunde mit Scholz niemand angesprochen. Und eine naheliegende, immer drängender werdende Frage hat niemand gestellt: Können wir uns es tatsächlich leisten, die verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke mitten im kommenden Winter abzuschalten? Stattdessen durfte der Kanzler unwidersprochen behaupten, die Bundesregierung versuche jetzt „alles, was in unserer Macht steht, dazu beizutragen, dass wir jedenfalls nicht allzu sehr explodierende Energiepreise haben“.

Olaf Scholz muss jetzt Führungsstärke zeigen

Scholz zaudert bei der Bändigung der Energiekrise genauso wie bei den Waffenlieferungen an die Ukraine. Noch gelingt es ihm, dieses Zaudern als hohe Regierungskunst zu verkaufen. Doch wie lange klappt das? Wenn es ernst wird, also spätestens im kommenden Winter, wird er damit nicht mehr durchkommen. Er muss jetzt Führungsstärke zeigen und den Bürgern in aller Deutlichkeit klar machen, was auf sie zukommt. Entweder schafft er es, eine Mehrheit hinter der Idee zu versammeln, dass schmerzhafte Einschnitte notwendig sind, um Europas Freiheit zu verteidigen, oder er gibt den russlandfreundlicheren Kräften innerhalb seiner Partei nach und setzt darauf, dass bald wieder mehr Gas durch die Gazprom-Pipelines fließt.

Mit der Merkel-Taktik des Durchwurstelns wird sich diese Krise jedenfalls nicht bewältigen lassen. Sie ist vielmehr ein Resultat davon.

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