NRW-Wahl - Von Gewinnern und Verlierern

Zwar ist die CDU aus den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen als stärkste Kraft hervorgegangen, die eigentlichen Gewinner sind jedoch die Grünen. Das Ergebnis der SPD ist bei weitem nicht so schlecht, wie es vielerorts dargestellt wird. Auf dem absteigenden Ast befinden sich hingegen die Linke, die AfD - und die FDP.

Ministerpräsident Hendrik Wüst bekommt nach der Wahl Blumen von CDU-Chef Friedrich Merz. Man achte auf die Farbe / dpa
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Autoreninfo

Michael Sommer lehrt an der Universität Oldenburg Alte Geschichte und moderiert gemeinsam mit Evolutionsbiologe Axel Meyer den Cicero-Wissenschafts-Podcast

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Eine erste kurze Analyse der kleinen Bundestagswahl vom Sonntag (ohne Gewähr): 1. Die Grünen sind erster Sieger. Sie konnten ihr Wahlergebnis nahezu verdreifachen. Allerdings relativiert sich dieser Befund, wenn man berücksichtigt, dass die 6,4% vor fünf Jahren ein Ausreißer nach unten waren. Die Grünen hatten sich in NRW zuvor schon deutlich oberhalb der 10-Prozent-Marke etabliert. Dennoch: Rund 18 Prozent im Industrieland zwischen Rhein und Weser sind für die Ex-Ökopaxe ein Grund zum Feiern. Zu verdanken haben sie das fast ausschließlich ihrer Bundespartei und den beiden Zugpferden Baerbock und Habeck. In Städten wie Düsseldorf kratzen die Grünen an der 25-Prozent-Marke, und selbst im Ruhrgebiet liegen sie solide weit über 10%. Auch die Direktkandidaten der Grünen haben gut abgeschnitten. Die Frage für die Grünen dürfte sein, ob sich die Ergebnisse verstetigen lassen. Antwort: It‘s the economy, stupid. Läuft die Wirtschaft gut und geht die Energiewende ohne größere Blessuren für Wirtschaft und Verbraucher vonstatten, könnten sich die Grünen bei Ergebnissen um die 20% etablieren. Wenn nicht ...

2. Zweiter Sieger ist die CDU. Sie kann vermutlich weiter den Ministerpräsidenten stellen. Hendrik Wüst wird dafür auch bereitwillig den Preis zahlen, dass er als schwarzer Regierungschef für eine grüne Politik steht, in allen eigentlich kritischen Sektoren: Energie, Bildung, innere Sicherheit. Den Kopf seines Innenministers wird er den Grünen auf dem silbernen Tablett servieren, wenn es sein muss. Zu denken geben sollte den Schwarzen, dass ihre Direktkandidaten im Vergleich zum Zweitstimmenergebnis schwach abgeschnitten haben. Das könnte an einem Attraktivitätsdefizit der Kandidaten liegen, Folge von 16 Jahren Vermerkelung der Union und einer katastrophalen Nachwuchsförderung. Das wird der CDU noch auf die Füße fallen. Auffällig auch die von den Demoskopen ermittelten schwachen Kompetenzwerte der Partei. In wichtigen Sektoren (Bildung, Verkehr, Mieten, auch Wirtschaft), viele davon einst klassische CDU-Themen, spielt die CDU nur noch zweite Geige, wenn überhaupt.

Das SPD-Ergebnis ist gerade noch respektabel

3. Für die SPD sieht das Ergebnis schlimmer aus, als es ist. Ins ganz tiefe Tal der Tränen ist die Partei nicht gerutscht, auch wenn das schlechteste Ergebnis seit 1945 schmerzt. Thomas Kutschatys Versuch, sich das vor laufender Kamera schönzureden, war so ganz daneben nicht. Als Kandidat war er mäßig attraktiv. Dafür ist das Ergebnis eigentlich gerade noch respektabel. Ist das Scholz zu verdanken? Eher nicht. Ich vermute, es liegt an der relativ soliden Verankerung der SPD an der Basis. Starke Kandidaten haben recht gute Erststimmenergebnisse in etlichen Wahlkreisen eingefahren. Der rote Pott ist immer noch rot. Ein Grund zum Jubeln ist das Ergebnis für die Hausherren im Willy-Brandt-Haus sicher nicht, aber auch kein Anlass, die Flinte ins Korn zu werfen. Die Vertrauensfrage stellt Scholz wegen der Wählerklatsche an Rhein und Ruhr – anders als weiland Schröder – garantiert nicht.

4. Wirklich bitter ist es für die FDP. Die Wähler fragen sich, warum sie die Partei eigentlich letztes Jahr bei der Bundestagswahl gewählt haben. Eine Rolle mag spielen, dass Christian Lindner mit dem Bundesfinanzministerium aufs falsche Pferd gesetzt hat. Außen oder Verteidigung zu haben, wäre jetzt besser gewesen. Wer hätte das wissen können? Russlandexperten scheint es in der FDP nicht zu geben. Gravierender scheint mir zu sein, dass die Klientel, die der FDP ihre jüngsten Erfolge beschert hat – die ganz jungen Wähler –, eine hochvolatile Gruppe sind. Sie wählen eben heute FDP, morgen die Grünen und übermorgen, wenn es cool ist, vielleicht auch die MLPD. Eine verlässliche Parteibindung wird sich zu diesem Milieu nicht aufbauen lassen, und wenn ich jetzt FDP-Generalsekretär wäre, würde mich das heute und die nächsten paar Nächte unruhig schlafen lassen.

Vielen ist es schlichtweg egal, wer sie im Landtag vertritt

5. Die AfD ist im Landtag geblieben, aber auf dem absteigenden Ast. Es gibt halt doch nicht so viele Putinisten unter den Verschwörungstheoretikern wie Corona-„Querdenker“. Dass die Themen Corona und Migration (fürs erste) durch sind, schadet der Partei. Es zeigt aber auch, dass eine baldige Renaissance nicht ausgeschlossen ist. Warten wir mal die nächsten Wahlen im Osten ab. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass für etliche derjenigen, die man inzwischen als AfD-Stammwähler bezeichnen könnte, die Qualität des Personals kaum eine Rolle zu spielen scheint.

6. Über die Linke braucht man nicht viel zu sagen. Für den Westen gilt: Isch over. Da gibt es auch keine Renaissance mehr. Seit die SPD nicht mehr die Partei von Hartz IV ist, sondern die Partei der sozialen Gerechtigkeit, fragen sich die Leute angestrengt, warum es die Linke eigentlich noch geben muss. Wegen Sahra Wagenknecht? Ebent!

Und die Nichtwähler? Die ausgesprochene oder unausgesprochene Vermutung lautet, diese Leute hätten aus Unzufriedenheit oder Resignation nicht an der Wahl teilgenommen. Was Nichtwähler motiviert, ist immer noch nicht zureichend untersucht. Die Beweggründe dürften aber im einzelnen höchst unterschiedlich und sehr subjektiv sein. Wir schließen gern von uns auf andere und glauben, alle seien ähnlich stark politisiert wie wir selbst. Das ist aber nicht der Fall. Vielen ist es schlichtweg egal, wer sie im Landtag vertritt oder die Regierung bildet. Da mag die vergleichsweise geringe Wahrnehmbarkeit von Unterschieden zwischen den Parteien eine Rolle spielen, aber die Wähler hätten mit Linken oder AfD ja durchaus, meinetwegen aus Protest, Alternativen wählen können. Von dieser Möglichkeit haben sie aber nur in sehr geringem Umfang Gebrauch gemacht. Deshalb glaube ich, dass die 45%, die am Sonntag den Urnen ferngeblieben sind, in ihrer überwiegenden Mehrheit schlicht Besseres zu tun hatten. Eine Krise der Demokratie bedeutet das nicht. Es heißt auch nicht, dass die Parteien oder die Regierung jegliche demokratische Legitimität verloren hätten. Ja, Wahlen sind Maschinen zur Herstellung von Legitimität, aber Konsens ist, dass die, die sich enthalten, die Mehrheitsverhältnisse, die ohne ihr Zutun geschaffen werden, akzeptieren. Insofern: Für den gern und immer wieder angestimmten Abgesang auf die repräsentative (Parteien-)Demokratie ist es zu früh.

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