Neue Partei „Bündnis Deutschland“ - Bürgerlich, aber ohne Irre und Nazis

In Berlin stellt sich die neue Partei „Bündnis Deutschland“ vor: Sie verspricht ideologiefreie Politik und sieht sich als Sammelbecken für Menschen rechts der Grünen und links des AfD-„Flügels“ – und als Koalitionspartner für bürgerliche Mehrheiten. Kann das klappen?

Der Vorstand der neu gegründeten Partei (v.l.): Walter Münnich, Ellen Walther-Klaus, Vorsitzender Steffen Große, Generalsekretär Niklas Stadelmann, Jonathan Sieber
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Der Veranstaltungsraum im ersten Stock des Berliner Maritim-Hotels ist gut gefüllt an diesem Dienstagmorgen – allerdings ist er auch nicht sonderlich ausladend. Und doch: Das Interesse an den fünf weitgehend unbekannten Politikern, die auf dem Podium sitzen, ist überraschend groß. Es mag daran liegen, was sie sich vorgenommen haben. Steht das politische System des Landes wieder an einem Moment wie im Februar 2013, als sich die AfD zunächst in einem kleinen Kreis gründete und in den nächsten Jahren ein in der Merkel-Ära entstandenes politisches Vakuum füllte?

„Bündnis Deutschland“ hat sich die Begriffe Freiheit, Wohlstand und Sicherheit aufs Banner geschrieben und will damit eine Repräsentationslücke in der Parteienlandschaft füllen: Leicht rechts der Mitte, aber ideologiefrei – und ohne Extremisten. „Bürgernahe, vernünftige Politik, ideologiefrei und lösungsorientiert“, so formuliert es der am Sonntag in Fulda von etwa 50 Mitgliedern der ersten Stunde gewählte Parteivorsitzende Steffen Große. Die Repräsentationslücke im bürgerlichen Bereich sei zustande gekommen, weil die AfD als Koalitionspartner ausfalle, so Große. „Egal was der bürgerliche Wähler wählt, er bekommt am Ende immer rot-grün, oder rot-grün dazu. Das frustriert immer mehr bürgerliche Wähler.“

Repräsentationslücke im bürgerlichen Lager

Dieses Problem des politischen Systems existiert tatsächlich: Seit dem Aufstieg der AfD, die in manchen Bundesländern über 20 Prozent der Stimmen bekommt, sind Koalitionen ohne SPD und Grüne praktisch nicht mehr möglich. Der Stimmenanteil von CDU und FDP reichte bis zuletzt noch in NRW für eine schwarz-gelbe Koalition, seit der Landtagswahl in diesem Jahr wird dort auch schwarz-grün regiert, weil die FDP auf knapp sechs Prozent abstürzte. Ein Sonderfall ist Bayern, aber auch dort kommt die CSU nicht mehr ohne Koalitionspartner aus – in diesem Fall die Freien Wähler.

Auch wenn die Führungsmannschaft von „Bündnis Deutschland“ am Dienstag betont, auch ehemalige SPD-und FDP-Mitglieder unter den Unterstützern zu haben – das Milieu der Partei speist sich vor allem aus enttäuschten Unionsanhängern, die sich in den letzten Jahren in Splittergruppen wie der „Werte-Union“, dem „Bürgerlich-freiheitlichen Aufbruch“ (BFA) oder der „Christdemokratisch-liberalen Plattform“ (CLP) engagiert hatten. Neben Parteichef Große sitzen auf dem Podium Ellen Walther-Klaus, 35 Jahre CSU-Mitglied und zuletzt Vize-Landesvorsitzende der Werte-Union in Bayern, der Unternehmer Walter Münnich, bis 2015 CDU-Mitglied, Jonathan Sieber, Mitglied im Landesvorstand des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) in Sachsen-Anhalt, ausgetreten aus der CDU in diesem September, nachdem die CDU auf dem Parteitag die Einführung einer Frauenquote beschlossen hatte.

Bisher keine politischen Zugpferde

Große selbst, bis 2006 Mitglied der CDU, hat es bis 2020 bei den Freien Wählern versucht, zuletzt als Landesvorsitzender in Sachsen. Dort wurde er allerdings 2020 von der Bundesspitze seines Amts enthoben. 2021 gründete Große schon einmal eine Partei, die „Bürgerallianz Deutschland“. Die „Bürgerallianz“ soll nun in die neue Partei überführt werden.

Bekannte Namen sucht man in der Partei bislang vergeblich. Das soll nach den Worten der Parteigründer aber zum Erfolgsrezept gehören – gerade im Unterschied zu den Parteigründungen aus dem AfD-Umfeld der letzten zehn Jahre. Ob die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“, später „Liberal-Konservative Reformer“ um AfD-Gründer Bernd Lucke oder die „Blaue Partei“ um die ehemalige Bundesvorsitzende Frauke Petry – sie alle sind in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Ex-AfD-Chef Jörg Meuthen hat sich zuletzt der Kleinstpartei „Zentrum“ angeschlossen, ein Schritt, der bisher nicht die erwünschte Wirkung einer erhöhten Relevanz der Partei erkennen lässt.

AfD-Strippenzieher aus NRW an Bord

Der bekannteste Name unter den bisherigen Parteimitgliedern ist Markus Scheer, bis zuletzt der wichtigste Strippenzieher der AfD in Nordrhein-Westfalen. Scheer erfand vor zwei Jahrzehnten das Videospiel „Moorhuhn“, 2009 wurde er wegen Bilanzfälschung, Betrugs und Untreue zu drei Jahren Haft verurteilt. Scheer sei ein „Organisationstalent“, sagt Große am Dienstag auf Nachfrage. „Jede Partei kann sich glücklich schätzen, so einen zu haben.“

 

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Dem gerade ernannten Generalsekretär Niklas Stadelmann zufolge ist die Finanzierung der Partei für die nächsten zwei Jahre dank Zusagen vor allem mittelständischer Unternehmer gesichert, das betreffe auch die Geschäftsstelle in Berlin. Die Zahl der Interessenten für eine Parteieintritt bewege sich in einem „vierstelligen Bereich“. Ob diese Eintrittswelle tatsächlich kommt, wird sich auf dem eigentlichen Bundesparteitag zeigen, den die Partei im Januar veranstalten will.

Zweijährige Probemitgliedschaft

Die „Gretchenfrage“ für die Partei wird wohl darin bestehen, ob sie „Nazis und Spinner“ aus der Partei fernhalten kann, wie es am Dienstag eine Journalistin formuliert. Generalsekretär Stadelmann kündigt „persönliche Gespräche“ mit jedem neuen Mitglied an, um sich ein Bild von den Überzeugungen zu verschaffen. Mit 180 Euro sei der Jahresbeitrag zudem so hoch angesetzt, um nicht mit Mitgliedern „geflutet“ zu werden. Eine weitere Maßnahme gegen problematische Mitglieder ist eine Konstruktion, die in der Parteienlandschaft wohl ihresgleichen sucht: Die Mitgliedschaft ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt, was ermöglicht, Mitgliedschaften nicht zu „verlängern“, um ein solches Mitglied wieder loszuwerden. Auf diese Weise will man sich langwierige Prozesse in den Schiedsgerichten ersparen.

AfD-Mitglieder sind prinzipiell nicht von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen – allerdings soll es auf dem Bundesparteitag einen Nichtvereinbarkeitsbeschluss mit dem „Flügel“ geben. Doch wie genau soll die Grenze gezogen werden, wo beginnt für die Partei nicht akzeptabler „Extremismus“? Jonathan Sieber erklärt, man halte sich bei der Frage an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Äußerungen müssten auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, besonders Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) und Artikel 20 des Grundgesetzes seien Kern ihres Programms.

Zeitfenster für neue Partei?

Inhaltlich erinnert die Partei stark an die Programmatik der Freien Wähler: Man positioniert sich nicht prinzipiell gegen die Energiewende, allerdings soll eine „sichere, bezahlbare Energieversorgung“ Priorität haben. Neben erneuerbaren gehören dazu „alle Energiequellen – inklusive Nutzung der Kernenergie“. Die Partei sieht sich als proeuropäisch, allerdings will sie die Länder und die regionale Identität stärken. Man könne sie als „Föderalisten“ bezeichnen, sagt Große am Dienstag. Die Staatsquote, heute 47,4 Prozent, solle wieder gesenkt werden, weil „steigende Staatsquote steigende Unfreiheit für die Wirtschaft“ bedeute, so der Unternehmer Münnich. Als Koalitionspartner, erklärt Parteichef Große, kämen keine „extremistischen und ideologiegetriebenen Parteien“ in Frage. Dazu gehöre, zumindest in der jetzigen Aufstellung, auch die AfD.

Die Partei bietet ihren Wählern auf ihrer Webseite sogar einen Vertrag an, der zwar nicht justitiabel sei, der sie aber von den anderen Parteien unterscheiden soll. Darin ist – einigermaßen vage – festgehalten, wofür sich die Partei im Fall einer Wahl einsetzen wird: die Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft, in der sich Arbeit wieder lohne, weniger Steuern und Abgaben, sichere, bezahlbare Energie, eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft, und eine freiheitliche, umweltbewusste, sichere und lebenswerte Zukunft.

Ist die Zeit gekommen für eine neue Partei in Deutschland, ist mit der Corona-Krise, dem Ukraine-Krieg und der strauchelnden Ampelkoalition ein Zeitfenster wie 2013 (AfD) oder 2004 (Proteste gegen Hartz IV und Aufstieg der Linken) entstanden? Die fünf auf dem Podium sind überzeugt davon. Unternehmer Münnich, geboren 1949, sagt, das Gefühl der Bedrohung des Wirtschaftsstandorts Deutschland wabere unsichtbar durch die Bevölkerung. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es jemals so ein Gefühl der existenziellen Bedrohung unseres Wohlstands gab.“ Schon im Mai will die Partei es bei der Bürgerschaftswahl in Bremen ins erste Parlament schaffen – und rechnet sich gute Chancen aus. Eine Besonderheit des Wahlrechts ermöglicht es, dass eine Partei in die Bürgerschaft einzieht, wenn sie in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde schafft.

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