Neue CDU-SPD-Regierung in Berlin - Zukunftsmodell Große Koalition?

Am Donnerstag wird Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt. Die Hauptstadt-SPD befördert dann nach langer Zeit mal wieder einen CDU-Mann ins Rote Rathaus. Sehr schmerzhaft ist das für Teile der Sozialdemokratie. Für SPD-Landeschefin Franziska Giffey hingegen steckt ein größerer Plan dahinter.

Franziska Giffey und ihr Co-Vorsitzender Raed Saleh nach dem Mitgliederentscheid / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Die SPD-Mitlieder haben nur mit knapper Mehrheit der Großen Koalition in Berlin ihre Zustimmung gegeben. Doch schaut man auf diese Koalition aus dem Blickwinkel ihrer Gegner, ergibt sich ein fast abstruses Zerrbild. Auf Twitter wird der künftige Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) als Rassist bezeichnet. Repression gegenüber Flüchtlingen würde zunehmen, Klimaschutz abgewickelt. Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert versteigt sich gar zu der Aussage, Berlin sei bald eine andere Stadt. „Wenn Kai Wegner der Regierende Bürgermeister sein sollte, dann fällt mir das schwer, das als meine Stadt Berlin, so wie ich sie kennengelernt habe, so wie ich hier groß geworden bin, wiederzuerkennen“, erklärt der Bundespolitiker offenbar mit Ambitionen für die Landesebene. Es wird ein Popanz aufgebaut, der mit der Realität nichts zu tun hat. 

Tatsächlich hat es Franziska Giffey noch einmal knapp geschafft, jenen pragmatischen Teil der Hauptstadt-Sozialdemokratie zu versammeln, der mehr in Reinickendorf und Rudow zuhause ist als in Pankow und Kreuzberg. Die CDU hat sich maximal auf die SPD zubewegt, ihr auch Zugeständnisse gemacht, die der Kernklientel der CDU Schmerzen bereiten, Stichwort Queerbeauftragte. In den spielrelevanten Punkten aber haben beide Seiten für Solidität und gegen Floskeln gestimmt. Der Berliner Haushalt ist in einem desolaten Zustand, so etwas interessiert die Twitterblase ja nur peripher. Mit dem Sondervermögen werden hier die größten Löcher gestopft, sicher nur die zweitbeste Lösung. Dennoch scheint es, als ob hier jemand mal wieder angefangen hätte zu rechnen.

Grüne und Linke machten Giffey das Leben schwer

Berlin wird neue Polizisten einstellen, wird die lange geplante Verbeamtung der Lehrer umsetzen, um endlich neue Leute einstellen zu können. Die CDU hat die Spitzenbeamtin Felor Badenberg als Justizsenatorin nominiert. Die parteilose Juristin war bislang Vizepräsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz und hat sich als AfD-Jägerin und Spezialistin für Cybersicherheit einen Namen gemacht. Von wegen eine „rechte CDU“, mit der die aufrechte SPD jetzt ins Bett steige, wie Spötter meinen. Mit Badenberg bekommt Berlin wieder ein politisches Gesicht, das für Rechtsstaat und Ordnung steht, welches man in der Hauptstadt bisweilen so sehr vermisst hat. Sie verkörpert übrigens offenbar eine politische Haltung, die lange auch in der SPD verbreitet war und für die Giffey weit über ihre Partei hinaus geschätzt wurde.

 

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Giffey hätte schon nach der ersten Abgeordnetenhauswahl gerne mit der CDU regiert. Die Partei-Linke und auch ihr Co-Chef Raed Saleh zwängten sie vor bald knapp zwei Jahren in das Linksbündnis mit Grünen und Linken. Der Dauerclinch mit Bettina Jarasch, aber vor allem die Symbolpolitiker aus den unterschiedlichen Parteien machten ihr das Leben schwer. Giffey geht natürlich jetzt angeschlagen aus der Wahl und dem Mitgliederentscheid hervor. 54,3 Prozent sind ein wackeliges Ergebnis, das auch schon zeigt, wie schwer es ihr manche Parteifreunde in den verbleibenden drei Jahren machen werden. Es war auch schon eine waghalsige Aktion, überhaupt zu versuchen, die SPD in die Große Koalition zu führen und dabei das eigene Downgrading zu überleben. Vom Roten Rathaus ins Wirtschaftsressort, wirklich eine ungewöhnliche politische Rochade. Es zeigt aber auch den Durchhaltewillen und das Talent von Giffey. Es ist ein knapper Sieg, aber ein großer Erfolg für die bisherige Regierende Bürgermeisterin. Und mehr noch.

Eine Sozialdemokratie der politischen Mitte

Dass es dabei nicht nur um ihr politisches Überleben, sondern um eine größeren Kampf handelt, hat sie am Sonntagabend zu Verblüffung mancher und zum Erschrecken ihrer Gegner frei heraus erklärt. Franziska Giffey, die einst dadurch bekannt wurde, dass sie das Scheitern der Migrations- und Integrationspolitik in Neukölln publik machte und aktive Gegenoffensiven startete, will ihre Partei dauerhaft wieder zurück in die politische Mitte führen. Sie steht für eine Sozialdemokratie, die nicht aus den coolen Berliner Kiezen heraus mit Ressentiments dem Rest der Stadt begegnet. Zur Entscheidung vom Sonntag erklärte sie: „Das ist eine politische Richtungsentscheidung, die weit über das hinausgeht, was die nächsten drei Jahre betrifft.“ Und damit steht sie dann näher bei Olaf Scholz und weiter weg von Kevin Kühnert. Sie steht für eine unwoke SPD. Mal schauen, wie weit sie mit ihrem Kampf kommt.

Die Große Koalition in Berlin steht vor schier unlösbaren Aufgaben und hat dafür nur knappe drei Jahre Zeit. Die Polarisierung vor allem des politischen Establishments und auch die oft politisch motivierte Paralyse in der Berliner Verwaltung machen einen Neustart fast unmöglich. Ob es der Großen Koalition gelingt, den eigenen Parteifreunden von CDU und SPD in den Bezirken Macht wegzunehmen, um die Stadt insgesamt wieder agiler zu machen, ist offen. Doch dass möglicherweise die Pragmatiker beider Parteien den ideologischen Sehnsüchten mancher Parteipolitiker einen Riegel vorschieben, könnte befreien wirken. Möglicherweise strahlt dann die Große Koalition sogar noch weiter aus. In der Ampel sind viele Sozialdemokraten von den Grünen genervt, dass sie schon manchmal verstohlen wie sehnsüchtig zu den Kollegen von der CDU herüberschauen. Dann könnte auch nach der Bundestagswahl das Modell Giffey Schule machen. Kevin Kühnert kann sich dann ja in der Landespolitik vergnügen.

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