Neuanfang beim Parteitag der Südwest-CDU - Ziel ist die Villa Reitzenstein – ohne die Grünen

Kann die CDU in Baden-Württemberg von Hessen lernen und die Grünen aus der Regierung vertreiben? Auf dem Parteitag an diesem Wochenende wird über Koalitionsoptionen, Migration und Personal diskutiert werden.

Wachwechsel in Stuttgart: Manuel Hagel (re.) folgt auf Thomas Strobl. /dpa
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Johanna Henkel-Waidhofer ist Korrespondentin für Landespolitik in Baden-Württemberg für mehrere deutsche Tageszeitungen. 

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Über Jahrzehnte hatte die CDU das drittgrößte Bundesland in Erbpacht. Dann, anno 2011 und nach Fukushima, kam Winfried Kretschmann mit seinen Grünen. Doch dessen Zeit ist bald vorüber. Ein 35-Jähriger namens Manuel Hagel, schon bisher Chef der Landtagsfraktion, wird am morgigen Samstag auch Parteivorsitzender. Dem grünen Koalitionspartner will er den Regierungschefsessel wieder abjagen. Seine Blitzkarriere führt zu einer im Landesverband noch nie dagewesenen Machtkonzentration. Und zu gewaltigen Erwartungen.

Diese eine Klippe hat der smarte Hoffnungsträger, der qua Alter noch Mitglied in der Nachwuchsorganisation ist, in CDU-Manier gemeistert, ganz wie die Altvorderen. Wenn in komplizierten Zeiten Kampfkandidaturen drohten, wurde zu gern einfach die Zahl zur Verfügung stehender Posten erhöht. So stieg schon Hagel-Vorgänger Thomas Strobl 2012 zum Merkel-Vize auf. Jetzt wird auf gleiche Weise mit Nicole Razavi eine Weggefährtin des letzten schwarzen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (2010-2011) in die engste Parteispitze aufsteigen.

Der Schachzug passt zu Hagel, der am Image des Versöhners und Brückenbauers feilt. Viele Granden werden in Reutlingen in der ersten Reihe sitzen, Friedrich Merz gibt dem zweitgrößten Landesverband der CDU, früher bei Bundestagswahlen Stimmenlieferant en gros, die Ehre. Strobl selbst, weiter Innenminister und  stellvertretender Ministerpräsident, traut sich inzwischen sogar eine begeisterte Prognose zu, wenngleich im Konjunktiv: „Das könnte am Samstag ein sensationell gelungener Übergang werden.“

Neuer starker Mann: Manuel Hagel

In der Demoskopie jedenfalls liegt die CDU im Südwesten erstmals seit langer Zeit wieder deutlich vor den Grünen. Parteitage sind Stimmungsbarometer, zugleich aber wenig verlässlich. Die früheren Heilsbringer die Kretschmann 2016 und 2021 herausfordern und beerben sollten, wurden bei ihrer Kür ebenso frenetisch bejubelt - und nach der Niederlage schnell fallen gelassen. Zudem stehen nicht nur die Europa-, sondern damit verbunden am selben Tag auch eine Kommunalwahl an als frühe Bewährungsproben für den neuen besonders starken Mann. Denn bisher waren in der Geschichte des Landesverbands alle Vorsitzenden Ministerpräsidenten - ausgenommen Thomas Strobl stellvertretender -, hatten also einen Tandempartner und/oder Gegenspieler an der Spitze der Fraktion.

Jetzt müssen alle alles allein auf Hagel setzen. Übermütige wie der MdB Moritz Oppelt, CDU-Bezirkschef in Nordbaden, rufen ihn schon zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 aus. Strobl wiederum, ganz Parteifreund eben, legt in einem seiner Abschiedsinterviews schon mal Wert auf die Feststellung, den Boden für die Renaissance der Union bereitet zu haben. Seine Aufgabe sei gewesen, sagt Wolfgang Schäubles Schwiegersohn, „aus den verschiedenen Fragmenten etwas Ganzes, etwas Gemeinsames, etwas Geeintes, im besten Sinne eine Union zu formen“.

Ein Thema, das mit Sicherheit die auf Parteitagen so beliebten Foyergespräche dominieren wird, ist besonders heiß: Wie umgehen mit einem möglicherweise vorzeitigen Abgang des Publikumlieblings Kretschmann? Im Spätsommer hatte Hagel über den Kreis seiner Fans hinaus mit der Ansage gepunktet, falls der 75-jährige Grüne vor Ende der Legislaturperiode im Landtag aus anderen als Krankheitsgrünen dem Amt scheiden sollte, werde die CDU einem grünen Nachfolge-Aspiranten – etwa Cem Özdemir - nicht zur Mehrheit verhelfen. Kretschmann zitierte zwar sogleich aus dem Koalitionsvertrag („Bündnis90/Die Grünen stellen den Ministerpräsidenten“) und machte unmissverständlich öffentlich klar, dass Jungspund hiermit den Bogen überspannt habe.

Mit Deutschlandkoalition Kretschmann stürzen?

Die Debatte über den heiklen Punkt ist aber nicht mehr aufzuhalten. Aktuell befeuert wird sie durch Boris Rhein, den Nachbarn in Wiesbaden, der den Grünen nach der jüngsten Landtagswahl aus relativ heiterem Koalitionshimmel den Stuhl vor die Tür und die SPD an deren Stelle setzte. Hagel lobte sofort per X „die Politik der starken Mitte“, die „auf einen Geist des Ermöglichens setzt mit gesunder Eigenverantwortung, eine realistische und begrenzende Migrationspolitik, Stadt UND Land, sichere Straßen, eine moderne Mobilität (auch ohne Fahrrad) sowie eine zukunftsstarke Bildung für unsere Kinder in gefestigten Familien“. Manche, vor allem im Parteinachwuchs, träumen von einer schwarz-rot-goldgelben Deutschland-Koalition in Baden-Württemberg, ohne die Grünen.  Und vom fliegenden Wechsel noch vor der nächsten Landtagswahl. Die SPD hat es allerdings schon mehrfach abgelehnt, einem CDU-Mann durch Parlamentsbeschluss zum Einzug in die Villa Reitzenstein zu verhelfen.

Und wo bleiben die Inhalte? Dem Parteitag liegen mehr als 150 Anträge vor. Eine Schnittmenge von Kommunal- und Europapolitik ist die Migration. „Wir stehen für Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Migration“, schreibt der Landesvorstand im Leitantrag, die Kommunen befänden sich an der Belastungsgrenze, Unterbringung und Integration der Flüchtlinge seien nicht mehr zu bewältigen. Die Bundesregierung aber „verneint diese Realität, setzt falsche Anreize und versagt den Kommunen die nötige Unterstützung“.

Initiativantrag von Thorsten Frei

Noch weiter will Thorsten Frei gehen, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Der frühere Donaueschinger OB wird ebenfalls als möglicher Spitzenkandidat genannt und drängt seit Monaten auf eine Abschaffung des Individualrechts auf Asyl. Jetzt hat er einen Initiativantrag vorbereitet, wonach Asylverfahren „externalisiert“ werden sollen, „und das heißt: jeden, der in Europa Asyl beantragt, auf einen sicheren Drittstaat zu verweisen“. Der neue starke Mann der Südwest-CDU hat seine Zustimmung signalisiert. Denn, so Hagel, zehn Millionen Menschen säßen in Nord- und Ostafrika auf gepackten Koffern und über 15 Millionen Menschen seien im Hindukusch unterwegs. Es sei aber unmöglich, 25 Millionen Menschen im Land aufzunehmen, und deshalb richtig, das Asylrecht „anzupassen“.  Vor einer Woche auf dem Landestag seiner Jungen Union kamen solche Töne, die Baden-Württemberg unvermittelt zum alleinigen Ziel weltweiter Wanderungswellen machen, bestens an.

In der Mutterpartei gibt es auch Widerstand gegen solche Ausritte. Christian Bäumler, seit 25 Jahren Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels in der Südwest-CDU, lässt mit Bedacht wissen, dass für ihn das C „mehr als ein Buchstabe“ und „Geschlossenheit kein Wert an sich“ seien Kürzlich, nach dem Zahnarzt-Ausrutscher, hat er Friedrich Merz öffentlich sogar die Kanzlerbefähigung abgesprochen. Ob zur Wiederholung der Kritik Raum und Zeit sein wird in Reutlingen, darf allerdings bezweifelt werden. Denn das Konrad-Adenauer-Haus hat schon mal verlauten lassen, der hohe Gast gedenkt nachmittags, wenn die Vorstandswahlen gelaufen sind, rund 90 Minuten zu reden. Natürlich ganz ohne der neuen Lichtgestalt die Show zu stehlen.

 

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