Migrationsdebatte - Grüne (Un)Logik

In der Migrationsdebatte folgen die Grünen der Logik, dass jede Politik, die Migration steuern will, böse ist. Darum ist jede Partei, die das versucht, so böse wie die AfD. Doch in einem parteipolitischen Zusammenhang ist das Argument absolut falsch.

Stockbetten stehen zwischen Zäunen in einer Notunterkunft für Asylsuchende in der Messe Offenburg / dpa
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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In der aktuellen Debatte um die Steuerung von Migration hört man immer wieder eine seltsame Argumentation. Wer eine Begrenzung von Migration fordert, bekommt reflexartig die Antwort, dass man mit dieser Forderung nur die AfD stärken würde. Diese Behauptung gehört zu den wirkungsvollsten Argumenten, mit denen die Grünen und der linke Flügel der SPD seit 2015 jede Debatte dieser Art abwürgen. Dass sie bis heute so wirkungsvoll ist, ist erstaunlich, denn es verbirgt sich ein veritabler Widerspruch in dieser Behauptung. 

Da der Widerspruch vor allem für die CDU sichtbar sein müsste, ist es umso verwunderlicher, dass gerade die CDU ihn niemals öffentlich gemacht hat. Angela Merkel verfolgte bekanntlich eine Politik, die man als „asymmetrische Demobilisierung“ bezeichnet hat. Damit war gemeint, dass sie den Grünen und der SPD ihre wichtigsten Themen weggenommen hat. Das Ende der Atomkraft und der Wehrpflicht, die Ehe für Alle und vor allem die offenen Grenzen waren zentrale Inhalte grüner und linker Politik. Alle diese Positionen wurden von der Merkel-CDU übernommen. Damit konnte sie 16 Jahre an der Macht bleiben und Grüne wie SPD kleinhalten. Dass sie damit die CDU inhaltlich ausgehöhlt hat, steht wiederum auf einem anderen Blatt. 

Der grüne Widerspruch

In unserem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die erfolgreiche Methode Merkel nun von den Grünen genau gegenteilig interpretiert wird. 2015 haben die Grünen nie gesagt, dass Merkel mit den offenen Grenzen nur ihre Politik kopiert und darum die Grünen davon profitieren würden. Denn die Wähler sind nicht in Scharen von der CDU zu den Grünen gelaufen, sondern haben die gegenteilige Richtung eingeschlagen. 

Es wurde nicht das grüne Original gewählt, sondern die Merkel-CDU, die eine weniger ideologische Variante der offenen Grenzen als die Grünen durchgesetzt hat. Die Lehre der asymmetrischen Demobilisierung lautet, dass man dem politischen Gegner seine Protestenergie raubt, wenn man dessen Aufreger-Themen in praktische Politik übersetzt.
 

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Wie kann es dann sein, dass genau diese Grünen heute davor warnen, dass man mit Steuerung von Migration nur der AfD Wähler zutreibt? Denn im Sinne der asymmetrischen Demobilisierung würde eine CDU, die ohne Rassismus und ohne Schaum vor dem Mund einige Forderungen der AfD übernimmt, auch deren Wähler zurückgewinnen.

Der grüne Widerspruch besteht also darin, dass die Übernahme von Themen manchmal der nehmenden und manchmal der beklauten Partei nutzen soll. Die Grünen lösen dieses Rätsel in der ihr eigenen politischer Willkür auf: Eine Themenübernahme ist immer dann gut, wenn es sich um grüne Themen handelt. Wenn es sich aber um „rechte“ Politik handelt, dann ist jede Übernahme fatal, da sie nur das Original stärkt. 

Wirkung der asymmetrischen Demobilisierung

Für diese grüne Logik besteht also gar kein Widerspruch zwischen der Wirkung der asymmetrischen Demobilisierung und ihrer Behauptung, man würde nur die AfD stärken, wenn man ihre Themen übernimmt. Denn in ihrer Logik ist die Warnung vor der AfD eine politische Aussage, die sich nur in das Gewand der objektiven Wahrheit gekleidet hat. Auch die Grünen wissen, dass eine Übernahme der AfD-Themen diese nicht stärkt, sondern im Sinne der Methode Merkel die AfD schwächt. Doch da diese Themen für Grüne absolut böse sind, stellen sie einfach die Behauptung auf, dass man mit diesen Themen in jedem Fall die AfD stärken würde. 

Würde man diese Behauptung ihres argumentativen Schleiers berauben, dann wäre der eigentliche Kern sichtbar. Die grüne Warnung besteht darin, dass jede Politik, die Migration steuern will, böse ist. Darum ist jede Partei, die das versucht, so böse wie die AfD. Und darum können die Grünen behaupten, dass eine solche Politik immer der AfD hilft.

Bestimmte politische Inhalte

Das ist insofern richtig, wenn man unter der AfD nicht die Partei, sondern bestimmte politische Inhalte versteht. So meint die Aussage, dass man der AfD hilft, eigentlich, dass sich CDU und Teile der SPD mit einer Politik der Migrationssteuerung unerlaubt von der Diskurshoheit der Grünen entfernen. Und eine solche Befreiung von den guten Grünen ist ein Gewinn für die AfD. 

Doch in einem parteipolitischen Zusammenhang ist das Argument, man würde mit Migrationssteuerung nur der AfD helfen, absolut falsch. Denn die Steuerung von Migration, die aus der Mitte des demokratischen Spektrums passiert, ist etwas gänzlich anderes als die fremdenfeindliche Abschottung der AfD. Und eine Überführung dieses Themas in praktische und wirkungsvolle Politik würde der AfD ihr zentrales Empörungspotential wegnehmen.

Doch gerade diese Überführung in reale politische Maßnahmen fürchten die Grünen. So verweigern sie aus strategischen Gründen die Einsicht in die Wirkung der asymmetrischen Demobilisierung beim Thema der Migration. Da sie gegen jede Art von Migrationssteuerung sind, hilft es ihrer maximalen Forderung, dass sie jeden Versuch einer Steuerung als Ausgeburt der Hölle diffamieren können. Nur so ist zu erklären, dass sie eine offensichtlich falsche Behauptung, Migrationssteuerung nutze nur der AfD, immer dann wiederholen, wenn CDU oder SPD zaghafte Schritte in diese Richtung gehen. 

So bleibt die Deutungsmacht

Es wäre also ratsam, sich daran zu erinnern, dass die Übernahmen von Themen einer anderen Partei und die Verwandlung dieser Themen in den Horizont der eigenen Partei, nicht der beklauten Partei nutzen, sondern im Gegenteil die eigene Wählerschaft vergrößern kann. Dass man es mit dem Themenklau aber auch übertreiben kann und der Kern der eigenen Partei dabei zerstört wird, erlebt noch immer die CDU. Aus diesem Grund ist sie gerade in Fragen der Migrationssteuerung weit entfernt davon, eine Kopie der AfD zu werden. Denn die CDU zuckt noch immer vor dem grünen Reflex zusammen, mit dem jede Migrationssteuerung als AfD-Politik abgekanzelt wird. So bleibt die Deutungsmacht weiterhin bei den Grünen. 

Dass diese Deutungsmacht noch immer gilt, ist umso erstaunlicher, als sich der Widerspruch in der Aussage, dass Migrationspolitik nur der AfD hilft, in eine ganze Liste solcher grünen Widersprüche einreiht: An deutscher Klimapolitik soll die ganze Welt genesen, doch die deutschen Grenzen sind gegen illegale Migration nicht zu sichern. Allmacht und Ohnmacht werden behauptet, gerade so wie es zu den politischen Absichten passt.

Zwar zeigen alle Kriminalitätsstatistiken einen überproportionalen Anteil von Migranten, doch soll es keinen Zusammenhang zwischen Migration und Gewalttaten oder Antisemitismus geben. Die deutschen Sozialsysteme sind im europäischen Vergleich gut und das deutsche Asylrecht ist mit seinen vielfältigen Widerspruchsmöglichkeiten praktisch offen für jeden, der es über die Grenze schafft, doch das sollen keine Pull-Faktoren für Migranten sein. Und schließlich besteht ein besonders brisanter Widerspruch darin, dass dem Wunsch von Millionen Menschen, die nach Deutschland einwandern wollen, nicht widersprochen werden darf, dass aber dem Wunsch von Millionen Menschen, die in Deutschland wohnen und die keine illegale Migration wollen, mit der ganzen Härte der moralischen Diffamierung widersprochen werden muss. 

Fakten werden passend gemacht

Der Trick bei der Grünen-Politik ist also der immergleiche: Die eigene Politik wird als faktenbegründet – Grenzen lassen sich nicht überwachen, es gibt keine Pull-Faktoren, Gewalttaten haben nichts mit Migration zu tun etc. – und zugleich als moralisch alternativlos dargestellt – nur böse Menschen wollen keine offenen Grenzen, Migration ist gut, darum kann es keine Probleme geben etc. Aus dieser Unlogik resultiert das grüne Mantra, dass jeder, der Probleme der Migration benennt, automatisch ein rechter Unmensch ist und damit der AfD hilft. 

Die Mischung aus Fakten, die man sich politisch passend gemacht hat, und Moral, bei der man immer auf der Seite der Guten steht, ist in einer gereizten Öffentlichkeit überaus erfolgreich. Vor allem die grünen Politiker haben eine Meisterschaft darin entwickelt, wahlweise ihre „objektiven“ Fakten oder die einschüchternde Geste der höheren Moral vor sich herzutragen. Doch wie das oben ausgeführte Beispiel zeigt, ist es nicht so schwer, die grünen Widersprüche offenzulegen. Und die Aufklärung der gut gehüteten ideologischen Geheimnisse war schon immer der erste Schritt zu einer besseren, da realitätstauglicheren Politik. 

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