Das Merz-Lager in der CDU - Schlechte Verlierer

Verschwörungstheorien, Drohungen und große Forderungen: Das Merz-Lager in der CDU gibt nach der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Vorsitzenden keine Ruhe. Damit aber gefährden sie den Erfolg der Partei

Die Fans von Friedrich Merz müssen Demut erst lernen / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Zu den Zumutungen der Demokratie gehört es, dass es am Ende eines Wahlkampfes nicht nur Sieger, sondern auch Verlierer gibt. So gleich alle Beteiligten im Verfahren behandelt werden, so gerecht die Regeln auch sein mögen, am Ende wird abgestimmt. Und nur mit Demut vor dem Souverän lässt sich diese Zumutung ertragen – sowie mit dem Wissen, dass es auch anders herum hätte kommen können. Dass die Sieger auch die Verlierer hätten sein können und die Verlierer die nächsten Sieger sein könnten. Vor allem dann, wenn das Ergebnis so knapp ist wie bei der Wahl der neuen CDU-Vorsitzenden. Wobei, so knapp war es dann auch wieder nicht. Eine Stimme kann in der Demokratie den Ausschlag geben, bei der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer waren es bei insgesamt 1001 Stimmen immerhin 35 Stimmen, beziehungsweise ein Vorsprung von 3,5 Prozentpunkten. Man könnte also auch von einem eindeutigen Votum der Delegierten sprechen.

Doch das politische Theater, das die Anhänger von Friedrich Merz in der CDU derzeit aufführen, zeigt, dass es auch schlechte Verlierer gibt, die genau diese Demut nicht aufbringen. Was wurde in den vergangenen Tagen alles an Argumenten gegen den Ausgang der Vorsitzendenwahl bei der CDU und gegen die Siegerin Annegret Kramp-Karrenbauer vorgetragen. Das Mikrofon sei leise gestellt worden bei der Rede von Friedrich Merz und die Fragen an Annegret Kramp-Karrenbauer bestellt, die Anhänger von Friedrich Merz hätten in der Parteitagshalle keinen Wahlkampf mehr machen dürfen, und die Anhänger von Annegret Kramp-Karrenbauer hätte im Wahlkampf unvorteilhafte Geschichten über den Konkurrenten verbreitet. 

Merz soll Wirtschaftsminister werden

Als „Verräter“ wird Paul Ziemiak beschimpft, weil er sich bereit erklärte, nach der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Generalsekretär zu kandidieren, als Opportunist und Karrierist. Fast ultimativ werden von den Konservativen in der CDU nun programmatische Kurskorrekturen von der neuen Vorsitzenden gefordert, die Umsetzung der Merz-Agenda. Der Untergang der CDU, wenn nicht gar des Abendlandes wird beschworen, wenn ihr Held nicht mindestens Wirtschaftsminister wird. Selbst mit der Gründung einer neuen Partei wird gedroht. Kein Argument scheint letztlich zu blöde zu sein, um sich nicht mit der eigenen Unzulänglichkeit und den Fehlern der Merz-Kampagne auseinandersetzen zu müssen. 

So sehr solche Emotionen einerseits verständlich sind, weil die Enttäuschung über die Niederlage im Merz-Lager groß ist, so wenig hilfreich sind sie. Sie befördern letztendlich die weitere Spaltung der Partei und delegitimieren jene Regeln der innerparteilichen Demokratie, die sich die CDU gegeben hat. Und die zentrale Regel lautet, dass der Parteitag abstimmt und nicht die Basis. Deshalb hilft auch die unbewiesene und unbeweisbare Behauptung, dass die Basis sich für Merz entschieden hätte, nicht weiter. Die Partei hat sich irgendwann in der Vergangenheit aus guten Gründen für ein anders Verfahren entschieden und nur schlechte Verlierer stellen anschließend die Legitimität des verabredeten Verfahrens infrage.

Gratulieren und auch Zeit gewähren

Bei nüchterner Betrachtung kommen die Wahlverlierer in der CDU deshalb nicht darum herum, ein paar Dinge zu bedenken. Es könnte erstens einfach so sein, dass nach einem sechswöchigen innerparteilichen Wahlkampf die Bessere gewonnen hat. Die Kandidatin, die am Ende die etwas überzeugenderen Argumente auf ihrer Seite hatte, die besser geredet hat, die die Mehrheit der Delegierten emotional mehr angesprochen hat und vielleicht auch besser im Hintergrund die Strippen gezogen hat. Verboten ist das im Übrigen nicht, auch das Merz-Lager hat nicht nur gut über Annegret Kramp-Kappenbauer geredet, die Kunst des Negativ-Campaigning beherrschen in der CDU viele.

Es ist im Übrigen auch kein Verrat, wenn sich ein konservativer Christdemokrat entschließt, Generalsekretär unter der neuen Parteivorsitzenden zu werden. Vielleicht ist es ja auch Ausdruck einer Verantwortung für die Partei als ganzes und ein Signal der innerparteilichen Versöhnung. Einer Verantwortung, die die Wahlverlierer bislang offenbar nicht aufzubringen bereit sind.

Zu den ungeschriebenen Gesetzen einer Demokratie gehört es zweitens, dass man der Siegerin nicht nur gratuliert, sondern ihr auch Zeit gewährt, sich in das Amt einzuarbeiten und es politisch auszufüllen. Innerhalb einer Frist von 100 Tagen gilt es es, sich zurückhalten. Im innerparteilichen Wahlkampf zumindest hatte Annegret Kramp-Karrenbauer ein paar Ankündigungen gemacht, die sie jetzt wird umsetzen müssen.

Sie hat zum Beispiel versprochen, die Flüchtlingskrise von 2015 noch einmal innerparteiliche aufzuarbeiten und insgesamt angekündigt, sie wolle die Basis der Partei besser in die Entscheidungen der Bundesregierung einbinden. Kramp-Karrenbauer hat sich für Steuersenkungen ausgesprochen und für die konsequentere Abschiebung von kriminellen Flüchtlingen. An diesen Ankündigungen wird man sie irgendwann messen können. Auch Kritik an der Bundeskanzlerin hat sie geübt, deshalb wird es interessant sein, wie sich das Verhältnis der beiden in den kommenden Monaten entwickelt. Wer Annegret Kramp-Karrenbauer stattdessen weiterhin „Merkel Zwei“ nennt, der verlängert nur einen entscheidenden Fehler aus der Merz Kampagne im Wahlkampf, der unterschätzt die Saarländerin

Vielleicht liegt es ja nicht nur an Merkel

Die baden-württembergischen Christdemokraten, die besonders heftig für Merz getrommelt haben und nun ganz besonders enttäuscht sind, könnten sich drittens fragen, ob es nicht auch hausgemachte Gründe dafür gibt, das ihr Land seit siebeneinhalb Jahren von einem grünen Ministerpräsidenten regiert wird und die CDU in ihrer einstigen Hochburg nur noch zweitstärkste politische Kraft ist. Vielleicht liegt es ja nicht nur an Angela Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik. Vielleicht ist es ja auch so, dass die Konservativen in der CDU, den Anschluss an das Lebensgefühl vieler Wähler verloren haben, vor allem in den Städten, dass sie ein paar Themen, die die Wähler bewegen, einfach nicht im Blick hatten.

Die Ökologiefrage, die Wohnungsnot, die Digitalisierung oder den drohenden Verkehrsinfarkt. Dass sich die Gesellschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten zudem gesellschaftspolitisch so sehr modernisiert hat, dass ihr Held Friedrich Merz selbst für viele Christdemokraten wie ein Mann von vorgestern wirkt, vor allem für viele Frauen. Die Arroganz und Überheblichkeit, mit der viele Männer in der CDU über die Saarländerin geredet haben, war sicherlich nicht hilfreich für Friedrich Merz. Vielleicht würde es den Konservativen in der CDU in den innerparteilichen Auseinandersetzungen deshalb helfen, wenn nicht immer nur nach rechts und auf die AfD starren würden, sondern zumindest gelegentlich ihren Blick auch mal in andere Richtungen lenken würden.

Auch Kritiker müssten beweisen, es besser zu können

Das Mindeste ist also, dass die Partei die neue Vorsitzende nun erst einmal machen lässt. Dass sie ihre Kritiker einbinden muss, wird sie wissen. Dafür braucht es keine beleidigt vorgetragenen Ermahnungen und Verschwörungstheorien. Am Ende wird sich in den Wahlkämpfen dieses Jahres entscheiden, bei der Europawahl und bei den vier Landtagswahlen, ob es der CDU unter Kramp-Karrenbauer gelingt, das Stimmungstief zu überwinden und an alte Wahlerfolge anzuknüpfen.

Wunder lassen sich von der neuen Parteivorsitzenden allerdings auch nicht erwarten. Wer die Latte für Wahlergebnisse zu hoch legt, der will, dass sie scheitert. Nur muss jeder innerparteiliche Kritiker wissen, dass auch er anschließend über eine zu hoch gelegte Latte drüber müsste. Eine gewisse Zurückhaltung in den Erwartungen, die man der ungeliebten Parteivorsitzenden gegenüber äußert, kann also im eigenen Interesse nicht schaden.

Und dann beginnt irgendwann auch der nächste innerparteiliche Wahlkampf. Das Schöne an der Demokratie ist ja, dass für sie jenseits aller Zumutungen ein altes Fußballermotto gilt: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die nächste Vorstandswahl in der CDU ist spätestens in zwei Jahren, das ist der Zeitpunkt, den die Demokratie eigentlich für die Abrechnung mit der Vorsitzenden bereithält. Und spätestens dann ist von den Christdemokraten wieder Demut vor dem innerparteilichen Souverän gefragt.

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