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(picture alliance) Helmut Kohl sieht sein Lebenswerk bedroht: Die Eurozone.

Horst Teltschik - "Merkel sollte in Kohls Worten eine Ermutigung sehen"

Im Interview mit CICERO ONLINE erklärt Horst Teltschik, warum er die Sorgen des Ex-Kanzlers Helmut Kohls um die Europapolitik von Angela Merkel und Kollegen verstehen kann. Teltschik war einer der engsten Berater Helmut Kohls während dessen Amtszeit.

Herr Teltschik, Helmut Kohl hat eines seiner seltenen Interviews gegeben. Es liest sich als ziemlich harsche Kritik an der Europapolitik der Bundesregierung. Warum gerade jetzt?
Ich habe schon lange keinen Kontakt mehr mit Helmut Kohl gehabt und kenne das Motiv und die Hintergründe nicht. Aber bei den heutigen Diskussionen geht es ja nicht mehr nur um den Euro. Es geht faktisch um die Frage der Zukunft der Europäischen Union und der Eurozone als solches. Und das gehört zum Lebenswerk von Helmut Kohl. Dass er mit Sorge sieht, wie die öffentliche Diskussion abläuft und nicht erkennen kann, welche Ziele die politischen Führungen Europas ansteuern, das verstehe ich.

Es ist eine existentielle Angst, die da durchkommt?
Und die ist nur verständlich. Was wir in den vergangenen Monaten, bis in die jüngsten Stunden hinein erleben, ist eine ständige Kritik an der Politik der Bundesregierung. Die Kritik kommt von Politikern, Wirtschaftsexperten, von vielen Journalisten. Darunter ist kein Einziger, der eine Alternative aufzeigt. Und zwar die politische Alternative, nicht die ökonomische Alternative.

Und die wäre? Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass die Bundeskanzlerin Orientierung vorgibt in einer Situation, in der viele Bürger an der Stabilität des Euro zweifeln, in der Kritik an der Europäischen Integration und an Brüssel zum Stammtischgespräch gehört, in der alle Kritiker öffentlich erklären, was man nicht machen darf, ohne zu erklären, was eigentlich zu machen wäre. Die Politik der Bundesregierung sollte auf die Europäische Integration gerichtet sein und vermitteln: Wir wollen die Europäische Union und deshalb wollen wir den Euro über eine Wirtschaftsunion dauerhaft stabilisieren. Angela Merkel muss klare Ziele nennen und damit den Leuten Orientierung vermitteln. Das ist bisher nicht gelungen.

Am Dienstag in der der Sondersitzung der Bundestagsfraktion soll sie emotional geworden sein. Sie sagte Sätze wie „Europa ist das Wichtigste, was wir haben.“ „In einer Welt von sieben Milliarden Menschen müssen wir 500 Millionen Europäer zusammen halten.“ Es sind Dinge, die auch Herrn Kohl gefreut haben müssten, der von Werten und Prinzipien sprach, für die wir einstehen müssen. Hat Angela Merkel ihre Strategie geändert?
Vielleicht ist sie mutiger geworden. Persönlich unterstelle ich ihr keine fehlende Leidenschaft für die Europäische Union, von der sie ja schon öfter gesprochen hat. Wer, wenn nicht sie? Helmut Kohl sagt im Interview zu Recht, dass wir bei der Deutschen Einheit nicht die Zustimmung unserer europäischen Partner bekommen, wenn er nicht gleichzeitig den Weg der Europäischen Union gegangen wäre. Das bedeutet, die deutsche Einheit war auch deshalb möglich, weil Helmut Kohl den Franzosen und den anderen Europäern die Sicherheit gab, die Politik der Europäischen Integration fortzusetzen – auch nach der Einheit Deutschlands. Diese Sicherheit versprach unter anderem die Entscheidung für die Währungsunion. Insofern ist die Bundeskanzlerin eine Profiteurin der Europapolitik von Helmut Kohl.

Lesen Sie auf der nächsten Seite Horst Teltschiks Plädoyer für eine Wirtschaftsunion.

Aber bei den Menschen kommt das nicht an?
Was Frau Merkel in der Fraktion gesagt hat, war nicht öffentlich. Ich würde mir wünschen, dass sie solch eine leidenschaftliche Klärung und Begründung für die Europäische Union öffentlich abgibt. Sie scheint aber deutlicher zu werden. In den vergangenen zwei Jahren musste Merkel Entscheidungen im Zusammenhang mit der Sicherung der Eurokrise auf Grund der faktischen Lage immer wieder korrigieren. Das ist kein Vorwurf, aber es hat zur Unsicherheit in der Öffentlichkeit geführt. Deswegen ist die einzige Antwort, endlich den Mut hat zu haben, Ziele zu benennen: Wo will sie hin, will sie die politische Integration Europas vorantreiben: ja oder nein?

Helmut Kohls Lebenswerk weiterführen?
Merkel muss ein klares, überzeugendes Bekenntnis ablegen, dass sie die Europäische Union will. Gerade CDU und CSU sind immer für die Vereinigten Staaten von Europa eingetreten. Ob das Helmut Kohl war oder Franz Josef Strauß.  Wolfgang Schäuble hat zu Recht gesagt, dass die Eurokrise ein systemisches Problem ist, auf das man eine systemische Antwort braucht. Das heißt, dass man das Defizit der Gründung der Währungsunion jetzt überwindet: Das Fehlen einer Wirtschaftsunion. Die Bundeskanzlerin und Sarkozy haben jetzt zum ersten Mal von einer echten Wirtschaftsregierung gesprochen.

Ist das ein Konstruktionsfehler der Europäischen Union, den Helmut Kohl in seinem Interview von sich gewiesen hat?
Nein. Er hat nur gesagt, dass er damals gemacht hat, was durchsetzbar war. Und er sagt zu Recht, dass der ganze Prozess der Europäischen Integration ein Prozess der kleinen Schritte ist. Während meiner acht Jahre im Bundeskanzleramt war unser Ziel immer, auf einem Europäischen Gipfel zu erreichen, was man auf dem anderen nicht geschafft hatte. Wenn man bei der Gründung der Wirtschaftsunion keine Wirtschaftsregierung durchsetzen konnte, ist spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen. Denn gerade in Krisen sind Durchbrüche oft erreicht worden. Und nun haben wir es mit einer Fundamentalkrise zu tun. Wann also, wenn nicht jetzt?

Noch einmal zu Helmut Kohls Interview: Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Altkanzler seine Nachfolgerin so direkt kritisiert? Und haben die Worte des Altkanzlers überhaupt noch Gewicht?
Helmut Kohl ist Ehrenbürger Europas. Während seiner 16-jährigen Amtszeit ist die Europäische Integration substantiell vorangekommen. Denken Sie an Entscheidungen, wie den Binnenmarkt, die Währungsunion, Schengen oder die Verträge von Maastricht in Amsterdam. In seiner Zeit sind maßgebliche Entscheidungen getroffen worden. Deshalb gilt er gewissermaßen als Vater  der Europäischen Idee, nach den Gründergenerationen.

Dass er sich nicht aufgrund der Politik der Bundeskanzlerin, sondern aufgrund der allgemeinen öffentlichen Diskussion in seiner eigenen Partei, aber auch weit darüber hinaus, Sorgen macht, dass Europa zerredet wird, dass eine Tendenz verstärkt wird, die in Richtung Renationalisierung geht, das ist mehr als verständlich. Die Bundeskanzlerin sollte darin eher eine Ermutigung als eine Kritik sehen.

 

Das Interview führte Marie Amrhein.

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