Streit um die „Klimastiftung“ in Mecklenburg-Vorpommern - „Schwesigs Gutachten entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie“

Manuela Schwesig hat ein eigens beauftragtes Gutachten vorgestellt, das angeblich rechtlich legitime Wege zur Auflösung ihrer „Klimastiftung“ aufzeigt. Allerdings stützt sich die Verfasserin des Gutachtens in ihrer Argumentation maßgeblich auf ein rechtlich inkorrekt begründetes Kooperationsverbot, mit dem Schwesig und ihre Stellvertreterin, Bildungsministerin Simone Oldenburg (Die Linke), die Schulen in Mecklenburg-Vorpommern zum Spielball ihres Streits mit Stiftungsvorstand Erwin Sellering gemacht haben.

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und ihre Stellvertreterin Simone Oldenburg: Was interessiert uns das Recht, wenn wir einen politischen Willen haben? / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Manuela Schwesig hat einen Vorstoß gewagt, der nach hinten losgehen könnte. Vergangene Woche stellte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin ein eigens beauftragtes Gutachten der Hamburger Professorin Birgit Weitemeyer vor, laut dem eine Auflösung der sogenannten „Klimastiftung“ rechtlich möglich sei. „Das Gutachten kommt zu dem klaren Ergebnis, dass es zwei mögliche Wege zur Auflösung der Stiftung gibt. Zuerst die Auflösung durch die Stiftung selbst und als zweiter Weg die Aufhebung durch die Stiftungsaufsicht“, erklärte Schwesig. Deswegen möge der Vorstand um Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering entweder die Selbstauflösung beschließen, oder das Land werde aktiv. Bedeutet: Schwesig möchte in dem Fall über das Justizministerium als Stiftungsaufsicht die Stiftung abwickeln. „Es wäre der beste Weg“, sagte Schwesig mahnend in Richtung Sellering. Am Dienstag trafen sich die Landesregierung und die „Klimastiftung“ zu einem Gespräch über die Lösung des Streits. Über die Ergebnisse halten sich beide Seiten bisher bedeckt.

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Sellering, der die Stiftung als reine Klimastiftung ohne Nord-Stream-2-Bezüge fortführen möchte und deswegen im April ein selbst beauftragtes Gutachten vorstellte, das eine Stiftungsauflösung für unmöglich erklärt, hat gute Gründe, nicht auf Schwesigs Wunsch einzugehen. Denn selbst in Schwesigs eigener Regierung sind die Zweifel an einer rechtskonformen Stiftungsauflösung deutlich zu vernehmen. Das Justizministerium sieht offenbar keine rechtliche Möglichkeit, Schwesigs Wunsch umzusetzen. Die Stiftung sei nicht gemeinwohlgefährdend, und ihr Stiftungszweck verstoße gegen keine Vorschriften, sagte Ministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) bereits vergangenen Monat im Landtag.

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Einordnung eines Stiftungsrechtlers

Zudem werden die Zweifel an der Seriosität des Weitemeyer-Gutachtens lauter. Ein renommierter Stiftungsrechtler sagt auf Anfrage von Cicero, er halte das Gutachten wegen mehrerer Aspekte für unsauber. Einer davon betrifft ein Verbot des Bildungsministeriums, das es Schulen in MV untersagt, mit der Stiftung zusammenzuarbeiten, und auf das sich Weitemeyer in ihrer Argumentation maßgeblich stützt.

„Ich hätte mir schon von dem Gutachten erwartet, dass es sich auf belastbare Fakten stützt. So benennt die Kollegin Weitemeyer einen Rundfunkbericht als Quelle dafür, dass es ein Verbot für Schulen für eine etwaige Zusammenarbeit mit der Klimastiftung gebe und die Stiftung deshalb keine Breitenwirkung entfalten könne. Auf professioneller Ebene hätte man das Schulministerium zu diesen Hauptargument befragen und dies mit einer offiziellen Auskunft belegen müssen. Der damalige Erlass der Ministerin scheint zumindest (noch) keine Rechtsgrundlage zu haben.

Ganz abgesehen von der Tatsache, dass man sich die Frage stellen muss, warum ausgerechnet die Zusammenarbeit mit Schulen Breitenwirkung für die Stiftungszwecke entwickeln soll. Es gibt mehr als genug Initiativen, Vereine und Organisationen in Mecklenburg-Vorpommern, die sich diesen Zielen verschrieben haben und sicherlich deutlich öffentlichkeitswirksamer für Klima- und Umweltschutz werben können. Eine Liste solcher Organisationen hat der Stiftungsvorstand bereits eine Woche vor der Vorstellung des Gutachtens präsentiert.

Dass das Land als Stifterin gestützt auf das Gutachten argumentiert, dass der Stiftungszweck unmöglich sei, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, weil es mit dem Verbot genau diesen Zustand mitherbeiführen will. Dieser Aspekt wird im Gutachten kaum thematisiert. Das hätte ich doch gleich aufgegriffen, weil dieser Aspekt erwartbar eine Rolle spielen dürfte und eventuell ein Hindernis bei der Auflösbarkeit der Stiftung sein kann.“

Politisch begründetes Verbot

Ende April sagte Manuela Schwesigs Stellvertreterin, Bildungsministerin Simone Oldenburg, dem Radiosender NDR 1 Radio MV: „Jedwede Zusammenarbeit der Schulen mit der Stiftung kann ich nicht verantworten.“ Die Schulen seien darüber informiert worden. Oldenburg verwies auf den politischen Beschluss für eine Auflösung.

Sellering, laut dem zuletzt etwa 50 Schulen mit der Stiftung zusammengearbeitet hätten, kündigte daraufhin eine rechtliche Prüfung der Maßgabe an. „Selbstverständlich kann die Landesregierung politisch entscheiden, mit wem sie zusammenarbeitet. Den Schulen zu verbieten, sich etwa an einem Wettbewerb mit uns als Stiftung zu beteiligen, kann aber nicht allein politisch begründet werden”, sagte er.

Lapidare Rechtfertigung

Tatsächlich mutet der Erlass des Bildungsministeriums unseriös an. Das Schulgesetz MV sieht vor, dass die öffentlichen Schulen selbstständig sind und selbstständig außerschulische Kooperationspartner aussuchen. Die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV ist nicht verfassungswidrig und fällt somit nicht aus dem Rahmen der möglichen Kooperationspartner.

Auf Nachfrage von Cicero teilt das Bildungsministerium mit, das Verbot sei in Form einer E-Mail mit Erlasscharakter erfolgt. Die Begründung in der kurzen Mail ist lapidar: „Sehr geehrte Schulleiterinnen und Schulleiter, die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV hat einen Wettbewerb ‚Kluge Köpfe für’s Klima‘ beworben. Vor dem Hintergrund, dass laut Beschluss der Landesregierung und des Landtags Mecklenburg-Vorpommern besagte Stiftung aufgelöst werden soll, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jedwede Kooperation zwischen der Stiftung und einzelnen Schulen untersagt ist.“

Auf Nachfrage nach einer rechtlichen Grundlage für das Verbot antwortet das Bildungsministerium abermals lapidar: Unabhängig von der Selbstständigkeit der Schulen blieben diese an die Erlasse einer übergeordneten Behörde und die rechtlichen Rahmenbedingungen gebunden, so das Ministerium.

Rechtlich nicht korrekt

Cicero bat Gerhard Bley, den Verfasser eines 2000-seitigen Kommentars zum Schulrecht in MV, um eine rechtliche Einordnung. Bley sagt, das Bildungsministerium könne als oberste Schulaufsichtsbehörde zwar in der Tat grundsätzlich zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schulen Anordnungen treffen. Gleichwohl stelle sich die Frage, „ob die Anweisung aus dem Bildungsministerium rechtlich korrekt ist“:

„Die Anordnung des Bildungsministeriums muss in Zielstellung und Maßnahme von den Aufgaben des Bildungsministeriums als Oberste Schulaufsichtsbehörde gedeckt sein, nämlich der Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags. Die begleitende Absicherung der Realisierung von politischen Beschlüssen des Landtags und des Kabinetts ist per se nicht Teil des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schulen und damit der Schulaufsicht. Die bisherigen Beschlüsse des Landtages M-V und der Landesregierung M-V zur Auflösung der sog. Klimastiftung M-V sind rechtlich nicht bindende politische Absichtserklärungen. Die in den Medien genannte Begründung kann m. E. den Verbotserlass rechtlich nicht tragen. Ich sehe bei der sog. Klimastiftung M-V im ideellen Bereich (nicht der wirtschaftliche Betrieb zugunsten Nord Stream 2) auch keine Rechtsverstöße, die eine Intervention des Bildungsministeriums gegen eine Zusammenarbeit der Schulen mit der Stiftung begründen könnten.“

Das Bildungsministerium wiederum teilt mit, diese Rechtsauslegung nicht zu teilen.

„Das Ministerium als oberste Dienstbehörde konnte selbstverständlich die in Frage stehende Anordnung im Rahmen eines Erlasses gegenüber den Schulen treffen. Dies ergibt sich nicht nur aus der grundsätzlichen Anordnungsbefugnis aus dem Schulgesetz, sondern auch aus der besonderen Schutzfunktion gegenüber den Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern. Aufgrund der bundesweiten Diskussion im Zusammenhang mit der betreffenden Stiftung musste verhindert werden, dass die Schulen in diesen Diskurs hineingezogen werden.“

Tatsächlich ist das eine rechtlich mögliche Begründung für einen Erlass, die Gerhard Bley auch schon vor der Antwort des Ministeriums als Möglichkeit nannte. Nur: Das Bildungsministerium hat diese Begründung in seiner Mail –  mit, wohlgemerkt, Erlasscharakter – überhaupt nicht geltend gemacht, sondern einen politischen Beschluss im Landtag. Erst auf Nachfrage hat es offenbar nach einer rechtlichen Begründung gesucht. Die Nachfrage, warum man die Begründung nicht im Erlass genannt habe, ließ das Bildungsministerium bisher unbeantwortet.

Die Schulen werden zum politischen Spielball gemacht

Der Impuls für den Erlass war offensichtlich politisch motiviert, letztlich verantwortet von Manuela Schwesig. Zudem hat man im Bildungsministerium wohl die Gefahr gesehen, dass eine Zusammenarbeit der Schulen mit der „kontaminierten“ Stiftung der Bildungsministerin Oldenburg politisch vorgehalten worden wäre. „Öffentliche Wahrnehmung oder Wirkung sind oft wichtiger als eine saubere Abgrenzung von Befugnissen und eine saubere Klärung, was mit welcher Begründung möglich ist. Dazu verleiten die weitgehenden Eingriffsbefugnisse des Bildungsministeriums in die Schulen hinein“, sagt Gerhard Bley.

Dass die Schulen zum Spielball im Streit um die Stiftung werden, ist kein Zufall. Sellering und auch Schwesig hatten stets Schulen und Kitas im Visier, wenn es darum ging, das Stiftungsgeld für Klimaschutzprojekte einzusetzen. Da der Großteil der Umweltschutzszene eine Zusammenarbeit mit der „Klimastiftung“ immer abgelehnt hat, waren Schulen und Kitas als Kooperationspartner umso wichtiger. Als finanziell weitestgehend vom Bundesland MV abhängige Institutionen, die angesichts der knappen Landesfinanzierung jeden Euro gebrauchen können, waren sie den Avancen der Stiftung nahezu ausgeliefert. Während MV bei der regulären Finanzierung von Schulen und Kitas unter SPD-Regentschaft schon seit vielen Jahren im Länderranking ganz hinten liegt, konnten sich Sellering und Schwesig mit Nord-Stream-2-Millionen als noble Gönner inszenieren.

Vor diesem Hintergrund ist es umso fragwürdiger, wie nonchalant die Landesregierung die Schulen nun als Mittel zum Zweck im Rosenkrieg zwischen ihr und Sellering macht.

Autokratisches Regierungsgebaren

Die Annahme, politischer Wille stehe über dem Recht, ist im Kabinett Schwesig keine Seltenheit. Das führt immer wieder zu einem Regierungsgebaren, das man ohne Übertreibung autokratisch nennen kann. Als russische Truppen am 24. Februar in die Ukraine einmarschierten und Schwesig sich daraufhin genötigt sah, aus Imagegründen mit ihrer Russlandpolitik zu brechen und in diesem Zuge die „Klimastiftung“ aufzulösen, verkündete die Ministerpräsidentin einfach mal via Social Media, 20 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt für Klimaschutz zur Verfügung stellen zu wollen, um nicht mehr auf die Gazprom-Millionen angewiesen zu sein. Dabei hat Schwesig das nicht zu entscheiden – diese Mittel kann nur der Landtag auf Vorschlag des Kabinetts freigeben. Das Kabinett hatte zu dieser Frage aber gar keine Beschlüsse gefasst.

Ein weiteres Beispiel: Vor zwei Jahren wurde Schwesig vorgeworfen, die Demokratie zu untergraben. Damals versuchte sie vehement, Kai-Uwe Theede als Präsidenten des Oberlandesgerichtes in Rostock zu verhindern, weil er ihr politisch nicht passte. Auf Druck der Ministerpräsidentin wurde sogar das Besetzungsverfahren angehalten und eine neue Bewerberin, Monika Köster-Flachsmeyer, der Schwesig wohlgesonnen ist, ins Spiel gebracht. Damit scheiterte Schwesig aber: Theede wehrte sich juristisch und gewann vor dem Oberverwaltungsgericht.

Eine solche Niederlage könnte ihr nun auch im Streit mit Sellering bevorstehen, sollte sie versuchen, auf rechtlich dünner Grundlage ihren politischen Willen durchzusetzen. Wenn sie gegen Sellerings Gutachten eine Aufhebung der Stiftung durchsetzen und versuchen sollte, ihn – wie von etlichen Landtagspolitikern gefordert – abzuberufen, könnte Sellering vor Gericht ziehen. Der Prozess würde sich in die Länge ziehen, Schwesig hätte die Stiftung noch lange als Klotz am Bein – und ob ihre Rechtsposition sich letztendlich gegen Sellerings durchsetzen würde, darf bezweifelt werden.

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