Thunberg und Kubicki bei Maischberger - Kernkraft, Wumms und Knäckebrot 

Kann der Kapitalismus den Klimawandel aufhalten? Wie steht Greta Thunberg zur Kernkraft? Hält die Ampel-Koalition? Wann sieht Wolfgang Kubicki den Zeitpunkt für die Auflösung der Grünen gekommen? In Sandra Maischbergers Talkshow wurden gestern Abend nur die ganz großen Räder gedreht.  

Frieden und Eintracht im Studio: Die Diskutanten bei Maischberger / Das Erste
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Autoreninfo

Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Selten hatte die Ankündigung einer Talkshow für so viel Aufsehen gesorgt. In einem vorab veröffentlichten Interview, in dem sie auch für ihr Ende Oktober erscheinendes „Klima-Buch“ warb, sagte die Klimaaktivistin Greta Thunberg der ARD-Talkmasterin Sandra Maischberger: „Ich persönlich denke, dass es eine schlechte Idee ist, auf Kohle zu setzen, solange die AKWs noch laufen.“ Die Reaktionen auf diese Bemerkung fielen höchst unterschiedlich aus: Simone Peter, ehemalige Vorsitzende der Grünen und heute als Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie als Lobbyistin tätig, twitterte: „Ich schätze Greta sehr. (...) Ich denke, sie kennt unsere spezifische Situation nicht. Es geht darum, Erneuerbare zu entfesseln.“ FDP- und CDU-Politiker jubelten. Bundesfinanzminister Christian Lindner begrüßte auf Twitter „den Zuspruch der FFF-Initiatorin Greta Thunberg für die FDP-Position, unsere Kernkraftwerke am Netz zu lassen“.  

Nicht gefallen haben dürfte Lindner hingegen die im Interview mit Maischberger geäußerte Überzeugung der Schwedin, dass die Klimakrise nicht in diesem „System“ zu lösen sei. In welchem es ginge, ließ sie die Menschheit indes nicht wissen. 

Dass Thunberg sich differenziert zur Kernenergie äußert, ist nicht neu. Bereits 2019 schrieb sie auf Facebook: Laut dem Uno-Weltklimarat (IPCC) könne „Atomenergie ein kleiner Teil einer sehr großen neuen kohlenstofffreien Energie-Lösung“ sein. Damals löste das einen Shitstorm aus, dabei hatte die schwedische Klima-Influencerin sich nur an ihr eigenes Mantra gehalten: „Follow the Science“ – Folge der Wissenschaft. In der deutschen „Aktivist*innenszene“ stößt ein solches Denken traditionell auf Ablehnung. Dort schätzt man das Motto: „Folge der Wissenschaft, wenn uns ihre Erkenntnisse passen.“ 

Thunberg präsentierte sich in dem Gespräch mit Maischberger, das Anfang Oktober in Stockholm aufgezeichnet worden war und am Ende der Sendung in weiten Teilen gezeigt wurde, bestens gelaunt. Der Aktivismus habe sie aus der Depression geholt, sie wolle ihr Leben lang Klimaaktivistin bleiben und nach einem gesellschaftswissenschaftlichen Studium bei einer NGO arbeiten. Ein Lebensplan, so aufregend wie ein Knäckebrot.  

Ein letzter verzweifelter Versuch der FDP

Im Studio unterhielten sich zuvor Theo Koll, der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Alexander Kissler, der Berlin-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), und Eva Schulz, Moderatorin und Journalistin beim öffentlich-rechtlichen Jugendformat Funk. Sandra Maischberger wollte von ihnen wissen, wie sie zu Thunbergs Kernkraft-Aussage stehen. Koll sagte, er sei immer Atomkraftgegner gewesen, aber er müsse ihr in der Krise Recht geben. Auch Eva Schulz stellte sich auf die Seite der Protest-Ikone. „Ich gehöre nicht zum Greta-Fanclub“, erklärte NZZ-Redakteur Alexander Kissler. Nun allerdings zeigte er sich optimistisch, dass sie pragmatischer geworden sei. Kernkraftwerke hätten nun einmal eine deutlich bessere Klimabilanz als die Kohlekraftwerke, auf die nun in Deutschland gesetzt werde.  

 

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Weniger einig ist man sich, was den Weiterbetrieb der drei letzten Reaktoren betrifft, bekanntlich in der Ampel-Koalition. Bundeswirtschaftsminister Habeck will nur die beiden verblieben Kraftwerke in Süddeutschland bis zum Frühjahr im Streckbetrieb betreiben. Christian Lindner plädiert dafür, den niedersächsischen Meiler Emsland am Netz zu lassen. Mehr noch: Auf dem liberalen Wunschzettel steht eine Laufzeitverlängerung bis 2024. Dies sei, sagte Kissler, ein letzter verzweifelter Versuch der FDP, ein liberales Restprofil in einer linken Koalition zu retten. Lindner konstruiere eine Sollbruchstelle für die Ampel, die vier Wahlniederlagen dieses Jahres seien für die Liberalen existenzbedrohend. Nun sei es der Job von Bundeskanzler Scholz, zwischen Grünen und FDP zu schlichten. „Eine gedemütigte FDP wird sich die Ampel keine zweieinhalb Jahre zumuten.“ Das sah Koll anders: „Keine Partei kann sich in der Krise erlauben, die Koalition zu verlassen.“  

Außergewöhnliche Friedensbotschaften

Linder-Vize Wolfgang Kubicki sagte im Zwiegespräch mit Sandra Maischberger, er sei kein Kernkraftbefürworter und habe einst gegen den Bau des mittlerweile längst stillgelegten Atomkraftwerks Brokdorf protestiert. Doch im Moment sei Krise, da würde man die Reaktoren benötigen. Auch das Kraftwerk in Niedersachsen müsse seiner Meinung nach weiterlaufen. Doch das Grünen-Folterwerkzeug Emsland rahmte Kubicki humoristisch ein. Er würde sich im Gespräch mit seinem „Freund Robert Habeck“ kompromissbereit zeigen: Wenn der Wirtschaftsminister sich dafür verbürge, dass Deutschland ohne Emsland im Winter keine Probleme bekomme, würde er sich unter der Bedingung, dass Habeck, wenn das Licht dann doch ausginge, nicht nur zurücktreten, sondern sich auch die Grünen auflösen, auf das Risiko einlassen. 

Die Koalition, machte er klar, wird am Atomkonflikt nicht zerbrechen. Schon in der kommenden Woche werde eine Lösung präsentiert. Wie die aussehen könnte, teilte er jedoch nicht mit. 

Außergewöhnliche Friedensbotschaften für eine Koalition, die noch kein Jahr im Amt ist. Und auch unter den drei diskutierenden Journalisten im Studio herrschten im Anschluss an Kubickis Worte Frieden und Eintracht: Als es um die Ablehnung von Putins Angebot, Nord Stream 2 zu öffnen, ging ebenso wie bei der Frage nach den Kommunikations- und Krisenfähigkeiten von Bundeskanzler Olaf Scholz. Angesichts der multiplen Krisen und Belastungen für Bürger und Unternehmen, an denen auch die Gaspreisbremse im kommenden Winter wenig ändern würde, seien die ein Problem. Kommunikation, sagte Kissler, sei Scholz’ Schwäche. Funk-Frau Schulz warf dem Kanzler Konzeptlosigkeit vor: „Scholz hat für sich das Instrument des Wumms entdeckt.“ Er hole immer das Scheckbuch raus, nenne gewaltige Summen, wisse aber nicht, was er mit dem Geld machen will.

„Wir haben eine Regierung von erschütternder Langsamkeit“, bemerkte Kissler. Von Maischberger gefragt, was er zu Orbans Aussage im Interview mit Cicero meine, mit Merkel als Kanzlerin hätte es den Krieg in der Ukraine nie gegeben, sagte der Berlin-Korrespondent der NZZ, dass er sich frage, ob das ein vergiftetes Kompliment oder historischer Blödsinn sei: „Ich neige zum Zweiten.“ 

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