Linksextremer Brandanschlag auf Tesla-Werk - „Wir erleben eine Stunde der Radikalisierten“

Eine gewisse „Vulkangruppe“ bekennt sich zum verübten Brandanschlag auf die Tesla-Fabrik in Grünheide. Im Interview spricht der Terrorismusexperte Alexander Straßner über das gefährliche Radikalisierungspotenzial in unserer Gesellschaft.

Angebrannter Strommast in der Nähe des Tesla-Werks in Grüneheide / dpa
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Alexander Straßner ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Regensburg. Seine Dissertation schrieb er über die dritte Generation der RAF.

Herr Straßner, die linksextremistische „Vulkangruppe“ bekannte sich zu dem in dieser Woche verübten Brandanschlag auf das Tesla-Werk im brandenburgischen Grünheide. Was wissen wir bisher über die Täter?

Die linksextremistische Gruppe hat sich 2011 gegründet. Sie sind jedoch erst später durch Anschläge auf die kritische Infrastruktur und die digitale Kommunikation in Erscheinung getreten. Bekannt geworden sind sie 2020 durch einen Anschlag auf einen Starkstrommast, mit dem sie die Corona-App treffen wollten. Die Gruppe möchte die kapitalistische Ordnung stören und darauf aufmerksam machen, dass unsere moderne Infrastruktur fragil ist. Ihr Name rührt daher, dass sie sich immer nach isländischen Vulkanen benennen.

Auf der linksextremen Internetplattform Indymedia wurde szeneüblich ein Bekennerschreiben veröffentlicht, das die Polizei als authentisch bewertet. Was erfahren wir darin über die Ideologie der „Vulkangruppe“?

Dem Bekennerschreiben lässt sich eine aus wissenschaftlicher Perspektive interessante Technologiefeindlichkeit entnehmen, die man auch Luddismus nennt. Es ist eine spezielle Form des antikapitalistischen Anarchismus. Diese Weltanschauungen kommen im Bekennerschreiben durch Formulierungen wie „grüner Totalitarismus“ oder „Techno-Totalitarismus“ zum Ausdruck.

Außerdem wird im vorliegenden Bekennerschreiben gegen den „grünen Kapitalismus“ gewettert.

Die Mitglieder der „Vulkangruppe“ fühlen sich von den Grünen verraten, da diese einen ökologischen Umbau der Wirtschaft verfolgen, der ihnen nicht radikal genug ist und dazu noch unter kapitalistischen Vorzeichen geschehen soll. Die kapitalistische Förderung von Solarzellen und Elektroautos sind den Linksextremen ein Dorn im Auge. Das unternehmerische Engagement von Tesla steht in den Augen der Linksextremisten exemplarisch für einen „grünen Kapitalismus“. Sie empfinden diesen Weg als heuchlerisch, da letztlich doch nur das Großkapital davon profitiere. Außerdem müssen zur Herstellung von batteriebetriebenen Elektroautos eine große Infrastruktur aufgebaut werden, die der industriellen Fertigung dient. Die daraus resultierenden negativen CO2-Bilanzen und die entstehenden Umweltschäden stoßen den Linksextremisten sehr negativ auf.

Tesla-Gründer Elon Musk wird als „der neue Typus eines neoliberalen und patriarchalen, neokolonialen Raubtierkapitalisten“ bezeichnet. Ihren Brandanschlag betrachten sie als einen Kampf gegen das „Patriarchat“. Das erscheint mir doch eine sehr inkohärente Argumentation zu sein. Wie ordnen Sie das ein?

Das ist bei Bekennerschreiben aus der linksextremen Szene nicht unüblich. Linksextreme Gruppierungen versuchen immer auch möglichst breite Kreise aus dem linken Milieu anzusprechen, was dann teilweise zu merkwürdigen Aneinanderreihungen von unterschiedlichen und willkürlich erscheinenden Punkten führt.

Der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen (CDU) nennt den Brandanschlag „Öko-Terrorismus“ und Elon Musk schreibt auf Twitter von „Öko-Terroristen“. Wie plausibel sind derartige Zuschreibungen?

Das gibt es natürlich auch. Der Öko-Terrorismus ist kein neues Phänomen innerhalb der linksextremen Szene. Seit den 1980ern gab es mit der terroristischen Gruppe „Monkey Wrench Gang“ oder der „Earth first!“-Bewegung Akteure, die gewaltsam ökologische Ziele durchsetzen wollten. Gemein ist ihnen das Gedankengut, dass man das Rad der Geschichte vor die Industrialisierung zurückdrehen muss. Dieser ökologische Aspekt mag gewiss eine Rolle spielen, allerdings steht die Kapitalismusfeindlichkeit meiner Einschätzung nach bei der „Vulkangruppe“ im Vordergrund.

Zurzeit halten aus Protest gegen eine geplante Erweiterung des Tesla-Werks etwa 80 Aktivisten ein Waldstück in Grünheide besetzt. Können Sie sich vorstellen, dass die Täter des Brandanschlags in Teilen auch aus der Klimabewegung kommen?

Hier hat eine bestehende linksextreme Struktur das Thema Klimaschutz für sich anschlussfähig zu machen versucht, es waren keine radikalisierten Klimaschützer. Antikapitalistische Gruppierungen haben in den letzten Jahren gezielt versucht, die Klimabewegung für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Nachdem die Bewegung sehr große Aufmerksamkeit erhielt, ist in den Verlautbarungen ein gewisser antikapitalistischer Tenor immer deutlicher zum Vorschein gekommen.

Außerdem erleben derzeit viele klimabewegte Menschen, dass das Thema Klimaschutz in den öffentlichen Debatten sukzessive durch den Ukraine-Krieg, den Exzess im Nahen Osten und die Probleme der Weltwirtschaft verdrängt werden. Der Weg zur Gewalt ist ein kurzer, wenn man sich durch „das System“ nicht vertreten fühlt und von der absoluten Richtigkeit der eigenen Anschauung überzeugt ist.

Ich kann mir beides vorstellen: Dass sich in der Klimaschutzbewegung sozialisierte Menschen in den letzten Jahren nach und nach radikalisiert haben. Und sicherlich nutzen bereits bestehende linksextremistische Gruppierungen diese Klimaschutz-Argumentationen auch für sich aus, um neue Mitglieder rekrutieren zu können. Denn das Klima-Thema ermöglicht eine bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreichende Anschlussfähigkeit. Sie profitieren nämlich auch davon, dass wir derzeit eine Stunde der Radikalisierten erleben.

Was meinen Sie damit?

Die Voraussetzungen für eintretende Radikalisierungsprozesse sind bei jungen Menschen derzeit auf individueller Ebene enorm günstig. Wir erleben einen Zeitgeist des Sektierertums. Es gibt kaum noch Themen, die nicht moralisch unverfänglich sind. Insbesondere in den Bereichen Klima, Ernährung, Geschlechtergerechtigkeit, Körperkult und Frieden wird Widerspruch kaum noch geduldet. Dies führt zu einem permanenten moralischen Positionierungsdruck, der in der Konsequenz Fronten in unserer Gesellschaft erzeugt.

Gibt es Erkenntnisse in der Radikalisierungsforschung darüber, welche Menschen besonders empfänglich sind für politische Radikalisierungen?

Seit 2015 ist die Radikalisierungsforschung stark angewachsen. Seitdem verdichten sich drei Kernkomponenten, die Radikalisierungsprozesse begünstigen. Zunächst kann ein wie auch immer geartetes problematisches Elternhaus eine politische Radikalisierung befördern. Insbesondere dann, wenn junge Menschen keine Autoritätserfahrungen machen oder den Kindern eine Vaterfigur fehlt. Auch Personen mit mangelnden Mitgliedschaften in intermediären Organisationen wie Sportvereinen oder Freundeskreisen sind anfällig für Radikalisierungen. Der dritte Faktor ist das Kennenlernen extremistischer „Opinion Leaders“, die das Abdriften des Individuums in Radikalisierungsformen begünstigt.
 

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Seitdem die frühere RAF-Terroristin Daniela Klette am 26. Februar in ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg festgenommen wurde, hat die linksterroristische Gruppierung wieder eine große mediale Präsenz. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es in Deutschland wieder zu ähnlich gewaltsamen linken Terrorstrukturen kommen könnte?

Es existieren definitiv strukturelle Parallelen, ohne eine Gleichsetzung vorzunehmen. Weder die 68er-Generation noch die Klimaschutzbewegung wäre derart erfolgreich gewesen, wenn es keinen Generationenkonflikt gegeben hätte. Eine Vorgängergeneration, von der man sich als junger Mensch maximal abgrenzt und die als politischer und moralischer Sündenbock ideologisch herhalten muss.

Auch die Stärkung der rechten Ränder bereiten mir große Sorgen. Denn es ist ein lange analysiertes Phänomen, dass Links- und Rechtsextremismus einander bedürfen – sie brauchen einander, um sich wechselseitig als Feindbild darstellen zu können und die eigene Existenz zu rechtfertigen. Im linksextremen Umfeld gibt es seit mittlerweile 20 Jahren die vital geführte Diskussion, ob auch Anschläge gegen Personen wieder ins eigene Aktionsrepertoire aufgenommen werden sollten. Die Voraussetzungen für derartige Entwicklungen sind mit dem Wahlerfolg der AfD und dem damit zusammenhängenden „Kampf gegen rechts“ als gewaltlegitimierende Faktoren gegeben. Dennoch glaube ich nicht an eine Revitalisierung einer linksterroristischen Gruppe im Stile der RAF.

Welche Gründe sprechen dagegen?

Im Gegensatz zu den 1970ern und 1980ern ist es nicht mehr so leicht unterzutauchen und Gleichgesinnte zu finden, welche bereit sind, die Brücken zu ihren bisherigen bürgerlichen und familiären Strukturen abzubrechen. Zudem wenden sich junge Menschen heute schneller anderen Themenfeldern zu: Sie waren eben noch für Klimaschutz und dann gehen sie gegen die AfD auf die Straße oder widmen sich anderen moralisch integreren Projekten.

Nun gab es spezifische historische Begleitumstände, die ursächlich dafür gewesen sind, dass die RAF entstehen konnte. Es gab ein gesellschaftliches Proletariat, das versinnbildlicht gewesen ist. Heute gibt es zwar ein Prekariat, das auch eine gewisse Ohnmacht im kapitalistischen System empfindet, doch dieses lässt sich nicht mehr in der Art instrumentalisieren, wie das noch vor 50 Jahren der Fall gewesen ist.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus beherrscht in den letzten Jahren und spätestens seit dem „Geheimtreffen“ in Potsdam die Öffentlichkeit. Haben wir dabei den Linksextremismus aus den Augen verloren?

Es gibt immer eine einseitige Fokussierung von Gesellschaft und Politik auf das jeweils virulente Phänomen. Dies geschieht immer in Wellen – sei es der Rechtsextremismus, der Linksextremismus oder der Islamismus. Es wurden dann immer die Menschen im Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt eingestellt, die den aktuellen Herausforderungen entsprachen.

Das erleben wir auch zurzeit: Die Fokussierung der Bundesregierung auf den Rechtsextremismus ist sehr ausgeprägt. Es gibt die Tendenz, dass Organisationen und Vereine, die der aktuell herrschenden Bundesregierung politisch nahestehen, mit einer hohen finanziellen Schlagkraft ausgestattet werden. Im „Kampf gegen rechts“ gibt es Förderungen für Umfelder, die eine Offenheit gegenüber extremistischen Argumentationen zeigen. Das nimmt eine Dimension an, die nicht mehr vertretbar ist.

Wird der Linksextremismus unterschätzt? 

Die Verniedlichung des Linksextremismus im Vergleich zum Rechtsextremismus ist ein Phänomen in Deutschland, das schon seit den 1970ern bekannt ist. Der Linksextremismus gilt immer auch als intellektueller Extremismus mit vermeintlich noblen Motiven. Sie können mit einem Rechtsextremisten reden und sind nach dem Gespräch voller Abscheu. Mit einem Linksextremisten können sie einen ganzen Abend über Freiheit und Frieden plaudern und würden anschließend vieles unterschreiben. Doch beides ist Extremismus und eine Gefährdung für die rechtsstaatliche Demokratie.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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