Krise im Erzbistum Köln - Kardinal Woelki muss Schlesingers Beispiel folgen

Seit über zwei Jahren schwelt die Krise im Erzbistum Köln. Fehler wurden in Köln und in Rom gemacht. Um die Kirche zu retten, muss Erzbischof Rainer Woelki endlich abgelöst werden. Dies ist wie bei anderen Rücktritten unabhängig davon, ob alle Vorwürfe im Einzelnen zutreffen. Amt und Person müssen endlich wieder unterschieden werden.  

Seit zwei Jahren in der Kritik: Kölns Kardinal Rainer Woelki / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Was ist die Gemeinsamkeit von Patricia Schlesinger und Kardinal Reiner Woelki? Beide werden von der Kanzlei des bekannten Medienanwalts Ralf Höcker vertreten. Sie von Höcker selbst, er von Höckers Partner Carsten Brennecke. Die Kanzlei wirbt damit, einen vor „mieser Presse“ zu bewahren. Und was unterscheidet beide voneinander? Die ehemalige RBB-Intendantin ist nicht mehr im Amt, der Kölner Erzbischof aber immer noch. Die Krise um Woelki dauert seit über zwei Jahren an. Es ging um Missbrauch, Vertuschung und den Umgang mit Betroffenen, um teures Krisenmanagement, frustrierte Führungskräfte und protestierende Mitarbeiter. Zuletzt hatten vor allem gerichtliche Auseinandersetzungen Schlagzeilen gemacht. Doch ohne Medienrecherchen wären viele Missstände nicht ans Licht gekommen.

Der Kölner Stadt-Anzeiger hatte von millionenteurer Medienberatung berichtet, die mitunter merkwürdige Strategien zur Rettung Woelkis entworfen hätten. Nun hat das Erzbistum Köln den prominenten Kirchenrechtler Thomas Schüller sowie erneut die Bild-Zeitung verklagt. Beide sollen künftig nicht mehr behaupten dürfen, Woelki habe in einem Missbrauchsfall „wissentlich und absichtlich“ eine Pflichtverletzung begangen. Doch was ändert das?

Schlammschlacht, die keiner mehr versteht

Die Kölner Kirchenkrise ist längst zu einer unendlichen Schlammschlacht geworden, die sich in Details und Spitzfindigkeiten verliert. Für die meisten sind weder die Vorwürfe noch die Verteidigungslinien wirklich verstehbar. Viele verlassen die Kirche entnervt und treten aus. Es bleibt das erschreckende Bild einer vollends zermürbten, desolaten und mit sich selbst beschäftigten Institution. Strahlkraft, Selbstbewusstsein und Stärke der katholischen Kirche in Köln drücken sich nach außen mit den erhabenen Zwillingstürmen des ausgerechnet in diesem Jahr Jubiläum feiernden Doms am Rhein aus, doch innerlich scheint der Kölner Dom einzustürzen. 

Der Kern des Problems ist also nicht der Streit um Details, es ist noch nicht einmal die Frage, ob Kardinal Rainer Woelki „schuldig“ ist in einigen Fällen, „schuldig“ für strukturelles Versagen oder gar „schuldig“ und verantwortlich in einem umfassenden Sinne. Der Kern ist, dass die Kirche keine Mechanismen (mehr) hat, die eigene Institution zu schützen und zu bewahren. Sie ist nicht in der Lage, zum Leidwesen der eigenen Gemeinschaft und auch der Gesellschaft, trotz aller Streitigkeiten und unterschiedlicher Argumente doch zunächst die skandalhafte Situation zu beruhigen und nicht alle und alles mit herunterzuziehen. 

Da könnten Woelki, das Erzbistum, die deutschen Bischöfe und auch die römische Leitung zum Beispiel vom RBB lernen. Unabhängig davon, ob alle Vorwürfe oder auch nur einzelne Anschuldigungen berechtigt sind, ist es zum Schutz des Auftrags, zum Schutz des gesellschaftlichen Ansehens und zum Schutz der Mitarbeiter notwendig, dass die Intendantin zurücktrat oder entlassen wurde. Das mag theoretisch auch ungerecht im Detail sein, dient aber dem großen Ganzen. Danach kann dann ein kluger Anwalt die Betreffende verteidigen. Aber zunächst sind Amt und Person zu trennen. Das ist essentiell. Und es ist erschreckend und traurig, dass dieses Bewusstsein in Köln offenbar völlig verloren gegangen ist.

Es braucht einen neuen Erzbischof für einen Neuanfang

Woelki kann das Amt des Erzbischofs nicht mehr zum Wohle der Kirche und im Sinne der Botschaft des Evangeliums ausüben. Das gilt auch, wenn sich irgendwann herausstellen sollte, dass manche Vorwürfe gegen ihn ungerecht waren. Mit ihm geht es nicht weiter. Das ist allen klar, doch es fehlt in der Katholischen Kirche ein funktionierendes Instrumentarium, dieser Erkenntnis auch Konsequenzen folgen zu lassen. Das liegt an unzulänglichen Regelungen, es liegt an institutionellem und persönlichem Versagen in Deutschland und in Rom, und es liegt an einer kirchenpolitischen und ideologischen Aufladung des Konflikts, die offenbar und offensichtlich selbstzerstörerische Kraft entfaltet. 

 

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Der Selbstschutz der Institution Kirche ist innerhalb der Kirche selbst in Verruf geraten. Die Vertuschung von Missbrauchsfällen in der Vergangenheit war mit eben diesem Bewahren des eignen Rufes begründet und ummäntelt worden. Deswegen hatte Kardinal Woelki selbst bei der Vorstellung seines Missbrauchsgutachtens erklärt, die Aufklärung des Versagens müsse nun gründlich sein und dürfe eben keine Rücksicht auf das Ansehen der Kirche nehmen. Inzwischen aber hat sich dieser Aufarbeitungsprozess bisweilen ins Gegenteil verkehrt und geradezu zu so etwas wie Selbsthass geführt. Doch ohne die Kirche verändern und weiter voranbringen zu wollen, kann ja auch keine Aufklärung funktionieren. Deswegen muss die Kirche in Köln das Signal des Aufbruchs mit einem neuen Erzbischof setzen. Bisweilen hat es den Eindruck, schon dazu fehle es manchen an entscheidender Stelle an Kraft, Mut und Hoffnung.

Warum zögert der Papst?

Formal liegt nach unzähligen Windungen und Wendungen, nach einer päpstlichen Untersuchung (Visitation) des Erzbistums und einer „Auszeit“ des Kardinals der Ball gerade in Rom bei Papst Franziskus. Kardinal Woelki hat seinen Rücktritt angeboten – ob freiwillig oder widerwillig, ist umstritten. Der Papst aber hat über das Rücktrittsgesuch nicht entschieden. Es handelt sich also um eine Schwebesituation, die aus Woelkis Sicht mit jedem Tag mehr Stabilität für ihn verspricht. Nach gängiger Praxis kann in der katholischen Kirche ein Bischof nicht selbst zurücktreten, sondern braucht auch für den Rücktritt die Erlaubnis aus dem Vatikan. Das bringt Woelki jetzt in eine scheinbare komfortable Situation. Informell gesehen ist es natürlich anders. Wenn er dem Papst sagen würde, es ist Schluss, es geht nicht mehr, wäre seine Entlassung sofort auf dem Tisch. 

Warum also entscheidet der Papst nicht? Er hat gegenüber einer Journalistin der Katholischen Nachrichten-Agentur erneut gesagt, man könne so eine Frage nicht „unter Druck“ bewerten. Was meint er damit? Abgesehen davon, dass Franziskus gerne in Rätseln spricht und die Festlegung meidet, deutet seine Aussage eben auf den großen kirchenpolitischen Konflikt hin, der derzeit in Deutschland ausgefochten wird – und über die Grenzen hin ausstrahlt. Woelki gilt als prominenter Kritiker des Synodalen Weges in Deutschland. Mit diesem Prozess wollen Bischöfe und Laien in Deutschland grundlegende Reformen voranbringen. Es geht unter anderem um mehr Einfluss für Frauen, eine veränderte Sexualmoral und ein verändertes Priesterbild.

Manches sieht dabei auch Franziskus kritisch. Offenbar sitzt er aber dem Irrtum auf, mit einer Entlassung Woelkis die Konservativen mehr zu schwächen, als er sich das vielleicht wünscht. Weniger Kraft als derzeit mit der Kölner Misere am Bein können die vermeintlichen Konservativen gar nicht haben. Möglich ist aber auch, dass der Druck auf Franziskus enorm ist, Woelki als vermeintliche Galionsfigur der Konservativen nicht zu entlassen. Doch diese ideologische Aufladung der Personalie ist für die Kirche eine Katastrophe, weil sie dadurch insgesamt ihre Diskurs- und Handlungsfähigkeit verspielt und nur noch als ein mit sich selbst streitender Haufen wahrgenommen wird. 

Es braucht nun eine beherzte Initiative, um diese Kölner Schlammschlacht zu beenden, denn die ganze katholische Kirche in Deutschland und mit ihr viele Gläubige leiden darunter. Dafür müssen auch der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, und auch der Münsteraner Bischof Felix Genn, der als einziger deutscher Bischof in Rom Mitglied der zuständigen Bischofskongregation ist, endlich aktiver werden. Sie dürfen sich nicht länger mit dieser desolaten Lage abfinden, müssen sowohl gegenüber Woelki als auch gegenüber Rom ins Risiko gehen. Denn es ist ähnlich wie beim RBB: Wer innerhalb des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks jetzt am Rande steht und meint, die Krise beträfe nur Berlin, der irrt gewaltig. Das weiß übrigens in Köln ganz gewiss der dortige WDR-Intendant Tom Buhrow, in der Nachbarschaft von Dom und Woelki.

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