Konsequenzen aus der Silvesternacht - Pro Böllerverbot: Rücksichtnahme ist nicht gleich Freiheitsverlust

Nach dem Silvesterchaos in Berlin und in anderen Großstädten des Landes werden Rufe nach einem bundesdeutschen Böllerverbot laut. Was spricht dafür? Was dagegen? Die Cicero-Redaktion hat zwei Sichtweisen aufgeschrieben. Lesen Sie hier einen Beitrag pro Böllerverbot.

Überbleibsel von Feuerwerk, Böllern und Verpackungen am Neujahrsmorgen / dpa
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Autoreninfo

Lena Middendorf studierte Politik- und Kommunikations- wissenschaften an der Uni Greifswald. Nach Hospitanzen bei der Hamburger Morgenpost und der Süddeutschen Zeitung absolviert sie derzeit ein Praktikum bei Cicero.

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Dieser Beitrag ist ein Kommentar pro Böllerverbot. Lesen Sie hier den Contra-Beitrag von Ben Krischke.

Die Bilanz der diesjährigen Berliner Silvesternacht zeigt einmal mehr, dass das Böllern nicht nur ein nostalgisches Feuerwerk entfacht, sondern einen mindestens genauso großen Krawall. Die aggressiven Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte in einigen Berliner Bezirken haben sicherlich weniger mit dem Kerngedanken des Silvesterfests zu tun als mit einer Corona-angestauten „Feierlaune“.

Allein in Berlin führten die gewalttätigen Ausschreitungen dieses Silvester zu 33 verletzten Einsatzkräften. Die „Feierlaune“ führte also soweit, dass Einsatzkräfte beim notwendigen Feuerlöschen mit Pyrotechnik beworfen wurden. Was die Frage aufwirft, inwieweit es um die Freiheit des Einzelnen steht, wenn Böller in den falschen Händen dafür sorgen, dass der Einzelne sich in bestimmten Gebieten nicht mehr auf Schutzmaßnahmen verlassen kann?

Freiheit und Rücksichtnahme

Gegner eines Böllerverbots wenden gerne ein: Warum soll ganz Deutschland auf Böller verzichten, nur weil ein paar Berliner Bezirke sich nicht im Griff haben? Doch ein privates Böllerverbot wäre längst nicht ein so radikaler Traditionsbruch und Freiheitseingriff, wie es vielleicht klingen mag. Denn auch jenseits von den Gewalttaten in Berlin gibt es gute Gründe dafür. Gleichzeitig könnte ein kommunal organisiertes Feuerwerk – wie in vielen der Freiheitsangst unverdächtigen Ländern – das gemeinsame Fest und Wohl der Böllertradition betonen, nur eben ohne die Kollateralschäden. Im Kern geht es um das Verhältnis von persönlicher Freiheit und Rücksichtnahme – auf Umwelt, Mensch und Tier.

Exzessives Böllern bringt umweltschädliche sowie gesundheitliche Folgen mit sich. Die dicke Luft, die bereits am nächsten Morgen zu spüren und zu riechen ist, steht in Kontrast zu der vermeintlichen gesellschaftlichen Sensibilisierung in punkto Umweltschutz. Denn auch die am Bürgersteig und an der Straßenecke verbliebenen Reste eines verpufften Knalls entsorgen sich nicht von selbst. Allein in Berlin sollen es an diesem Neujahrstag bereits 520 Kubikmeter Müll gewesen sein – und das ist deutlich mehr als in den Vorjahren. Was die einen nach Corona nachholen mussten, kann nun die Stadtreinigung für sie entsorgen. Auch hier verdrängt die persönliche Freiheit ein Mindestmaß an Rücksichtnahme.

Überlastete Krankenhäuser

Auch die dicke Luft trägt ihr Gewicht: Laut dem Umweltbundesamt werden jährlich über 2000 Tonnen Feinstaub allein von Feuerwerkskörpern in Deutschland freigesetzt. Dabei ist die Luftbelastung in der Silvesternacht natürlich am höchsten, sodass gesundheitliche Schäden nicht auszuschließen sind. Denn die giftigen Feinstaubpartikel schaden der Lunge. Insbesondere bei bereits vorbelasteten Lungen ist dies nicht ungefährlich.


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Hinzu kommt der unbedarfte Umgang mit dem gefährlichen Knallzeug, der jedes Jahr für Verbrennungen, Verletzungen oder gar weggesprengte Finger und Unterarme sorgt. An diesem Silvesterabend geht die Deutsche Krankenhausgesellschaft von deutlich mehr Unfällen aus, was wiederum eine weitere Belastung für das ohnehin überlastete medizinische Personal bedeutet. Nicht zu vergessen: die experimentierfreudigen Kinder und Jugendlichen, die am Silvesterabend im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Feuer spielen.

Rücksicht auf Traumatisierte

Neben der körperlichen Gesundheit ist die mentale Gesundheit ein ebenso wichtiger Faktor. Zumal all die Menschen in Deutschland mit einer traumatisierten Kriegserfahrung vom Feuerwerkspaß komplett befreit sind. Eine Retraumatisierung mittels unerwarteten, kriegsähnlichen Geräuschen kann das Neujahrsfest zur Qual werden lassen. Auch hier könnte eine Sensibilisierung anlässlich der aktuellen politischen Situation durchaus angemessen sein. Neben den menschlichen Bewohnern sind aber auch Tiere nicht gänzlich von der Gefahr eines möglichen Traumas befreit. Plötzliches Knallen sorgt nicht nur bei den Haustieren für Schock und Schrecken, auch Garten- und Waldbewohner bleiben nicht verschont. Doch die Warnungen seitens der NABU verpuffen immer wieder.

Grenzenlose Freiheit oder verantwortungsbewusster Schutz – das ist die ursprüngliche Kernfrage. Dabei ist sie eigentlich nicht allzu schwer zu beantworten. Wenn man sich bewusst macht, worum es eigentlich an Silvester geht, kann ein Böllerverbot genauso gut durch ein gemeinsames, friedvolles Silvesterfest ersetzt werden. Leider lösen Verbote bei vielen Menschen das Gefühl aus, sie würden ihrer individuellen Freiheit beraubt. Dabei kann mittels eines privaten Böllerverbots viel mehr für die Gemeinschaft gewonnen werden, sodass es kein „entweder oder gibt“. Kommunale, kontrollierte Feuerwerke könnten der Spaltung zwischen Verbotsgegnern und –befürwortern entgegenwirken, denn sie vereinen Verantwortung, Schutz und die die Lust an der alljährlichen lichterfestlichen Tradition.

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