Ausschreitungen in Lützerath - „Gewalt lässt die Glaubwürdigkeit der Klimabewegung schwinden“

In der Klimabewegung wächst der Ärger über die Grünen. Im Interview äußert Grünen-Urgestein Rezzo Schlauch Verständnis für Robert Habecks Kohle-Kompromiss um Lützerath und fordert die Aktivisten auf, sich klar von Gewalt durch Linksextremisten zu distanzieren.

„Klipp und klar von Gewaltanwendung distanzieren“: Demonstration gegen den Braunkohleabbau in Lützerath / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Rezzo Schlauch war bis 2005 Bundespolitiker der Grünen und einer der prominentesten Köpfe des „Realo“-Flügels.

Herr Schlauch, was bedeutet der Konflikt um Lützerath für die Grünen?

Auf jeden Fall nicht das, was eine Menge Ihrer Kollegen versucht haben, dort hineinzuinterpretieren. Nämlich, dass es innerhalb der Grünen zu einem unüberwindbaren Konflikt kommt oder sogar eine Abspaltung ansteht. Das mit Sicherheit nicht. Für meine Begriffe bedeuten diese Proteste für die Grünen, dass sie sich deren inhaltlichen Impetus zu Herzen nehmen und alles dafür tun sollten, um die Transformation von dem fossilen Zeitalter in das regenerative Zeitalter zu forcieren.

Dass der Streit um die Braunkohle zur Spaltung der Grünen führen könnte, mutmaßen nicht nur Journalisten. Der Vorsitzende der Naturschutzverbandes BUND sagte, Lützerath sei das Hartz IV der Grünen.

Er mag seine kleinen Zuspitzungen gerne formulieren und möglicherweise damit auch Aufmerksamkeit erreichen. Aber meines Erachtens fehlt dieser Aussage jeglicher Substanz. Das können Sie schon daran ablesen, dass Luisa Neubauer als maßgebliche Protagonistin der deutschen Klimabewegung die neulich in einer Fernseh-Talkshow gestellte Frage, ob sie aus den Grünen austreten wird, verneint hat.

Liegt es daran, dass einem Großteil der Grünen-Anhänger das Thema Energiesicherheit dann doch wichtiger ist als der Klimaschutz?

Wenn ich Regierungsverantwortung habe, muss ich natürlich im Blick behalten, dass die Energiesicherheit und überhaupt die Sicherheit einer so komplexen Gesellschaft wie unserer nicht verloren geht. Aber ich glaube, es geht noch um etwas grundlegend anderes. Wir haben in diesem Konflikt vier Akteure: die Politik, die Energieindustrie, die Aktivisten und eine Mehrheit der Gesellschaft, die Maßnahmen für den Klimaschutz fordert. Im Unterschied zu früheren Bewegungen, etwa der Anti-Atom-Bewegung, geht es beim Klimaschutz nicht um ja oder nein, um ganz oder gar nicht. Sondern es geht um die Geschwindigkeit: Wie schnell können wir die die notwendigen Schritte umsetzen? Das ist eine völlig andere Ausgangslage. Die Gegensätze sind nicht so stark, wie sie teilweise dargestellt werden.
 

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Einigen Protagonisten der Klimaschutzbewegung schien es in Lützerath vor allem um medienwirksame Selbstdarstellung zu gehen.

Die Aktivisten der Klimabewegung sind selbst in einer Phase, in der sie unsicher sind, mit welcher Strategie sie an die Massenkundgebungen anknüpfen können. Die „Fridays-for-Future“-Bewegung war mit ihrer Massivität erheblich erfolgreicher in der Gesellschaft und in der Politik als die Proteste in Lützerath. Und zwar deshalb, weil dieses Dörfchen ein Symbol ist, das nicht trägt. Ich hoffe, dass die Klimaaktivisten nachträglich selbstkritisch mit sich zu Rate gehen.

Was wäre denn Anlass zu Selbstkritik?

In dem Moment, in dem sich die Klimabewegung in Richtung Gewaltanwendung entwickelt, sich von der Gewalt nicht distanziert, wird sie ein erhebliches Problem bekommen. Sie wird ihre Glaubwürdigkeit und ihre Einflussmöglichkeiten sowohl in die Politik als auch in die Gesellschaft massiv schwinden sehen. Das kennen wir alles aus der 1968er-Bewegung. Die rote Linie ist die Legitimierung von Gewaltanwendung. Da muss die Klimabewegung eine glaubwürdige Position finden. Der weitaus überwiegende Teil der Demonstranten war gewaltfrei, aber eine eindeutige, klare Distanzierung von der Gewaltanwendung habe ich von den Protagonisten nicht gehört.

Fordern Sie eine solche Distanzierung?

Das habe ich nicht zu fordern, sondern ich glaube, dass die Aktivisten gut beraten wären, sich im Nachgang zu verständigen, wie sie mit dieser Frage umgehen. In der ARD-Sendung „Anne Will“ hat sich Frau Neubauer davor gedrückt, nur herumgeschwurbelt und nichts dazu gesagt. Also jedenfalls nichts, was verständlich wäre. Ich glaube, dass das eine absolute Notwendigkeit ist. Wenn die Aktivisten jetzt eine neue große Aktionswelle für März ankündigen, wäre es sehr sinnvoll, wenn sie sich klar gegen Gewalt positionieren.

Rezzo Schlauch / dpa

Haben Sie in Ihren wilden Jahren nicht auch mal an Demos teilgenommen, bei denen es härter zur Sache ging?

Natürlich habe ich an solchen Demos teilgenommen. An Sitzblockaden gegen die Stationierung der Pershing-Raketen zum Beispiel. Aber in dem Moment, in dem es da richtig heftig wurde, mit Steine werfen und so weiter, habe ich mich entfernt. Das habe ich nie mitgemacht, das war für mich die rote Linie.

Bei „Fridays for Future“ sind am Anfang Schüler auf die Straßen gegangen, die dafür von ihren Lehrern und Eltern gelobt wurden. Eine eher brave Protestbewegung. Wie konnte es passieren, dass sich jetzt gewaltbereite Linksextremisten darunter mischen?

Das ist ja eine bekannte Strategie der Autonomen, dass sie sich bei großen Bewegungen, mit deren Thema sie eigentlich nichts zu tun haben, andocken und dort ihr eigenes Süppchen kochen. Das ist nichts Neues. Deshalb ist es umso notwendiger, dass sich die Klimaaktivisten davon klipp und klar distanzieren, weil sie ansonsten ihre Glaubwürdigkeit und ihre politische Interventionsfähigkeit verlieren. Die andere Strategie, es laufen zu lassen, Linksextreme oder Gewaltbereite sich andocken zu lassen, wird in die Bedeutungslosigkeit führen.

Ein Grund für die Radikalisierung ist vielleicht auch Enttäuschung. Die Grünen haben bei der jüngsten Bundestagswahl von der Klimaschutzbewegung enorm profitiert. Kaum stellen sie den ersten Klimaschutzminister, muss er alte Braunkohlekraftwerke reaktivieren.

Und warum muss er das? Weil Herr Putin in die Ukraine einmarschiert ist und weil Robert Habeck das auszulöffeln hat, was uns Vorgängerregierungen eingebrockt haben, mit der Energieabhängigkeit. Wenn ich Regierungsverantwortung habe, dann habe ich nicht nur Verantwortung für die Klimaschutzbewegung, sondern für das ganze Land.

Aus dieser Verantwortung heraus hätte Habeck auch die letzten sechs deutschen Atomkraftwerke retten können.

Ich halte es in solchen Situationen für verfehlt, geschlagene Schlachten wieder aufleben zu lassen. Der Konflikt um die Atomenergie ist über Jahrzehnte ausgetragen worden. Am Ende gab es eine Lösung dieses gesellschaftlichen Großkonfliktes. Mit Zustimmung aller demokratischen Parteien. In einer so grundlegenden Frage verbietet sich das Spiel rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.

Bei der Braunkohle machen wir es ja gerade so. Das ist ja das Bemerkenswerte, wie leicht es Herrn Habeck und den Grünen fällt, plötzlich auf Kohle zu setzen, statt auf die eindeutig klimafreundlichere Kernkraft.

Was für das Klima eindeutig besser ist, würde ich mit Fragezeichen versehen. Da die Atomenergie nach wie vor eine Hochrisikotechnologie ist, Fukushima und Tschernobyl sind Menetekel genug, und es in der Entsorgungsfrage keinerlei Lösungen gibt. Und Sie sehen ja, wie die Diskussion jetzt etwa von der FDP geführt wird. Da geht es nicht nur um eine Laufzeitverlängerung der letzten Kraftwerke, sondern darum, dass die Atomenergie auch wieder eine Zukunftsoption haben soll. Doch damit ist Schluss. Das ist ein No-Go.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

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