Klimabewegte und Ukraine-Krise - Das dröhnende Schweigen der Aktivisten

Wir erleben zurzeit die größte sicherheitspolitische Krise in Europa seit dem Kalten Krieg. Doch unsere Aktivisten und Dauerbesorgten schweigen. Fridays for Future, Last Generation oder Extinction Rebellion entlarven sich endgültig als stylischer Wellnessprotest. Wenn Schwarzweißdenken nicht mehr reicht und die Bedrohung real ist, sind unsere Berufsengagierten überfordert.

... aber nicht wegen der Ukraine, sondern wegen der Rodung von 5000 Bäumen für den Ausbau des Autobahnkreuzes der A3 / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Europa erlebt soeben den größten Truppenaufmarsch seit dem 2. Weltkrieg. An der ukrainischen Ostgrenze sind nach Angaben westlicher Geheimdienste bis zu 150.000 russische Soldaten in Stellung gegangen. In Belarus halten nach Nato-Schätzungen bis zu 30.000 russische Soldaten Manöver nahe der polnischen und ukrainischen Grenze ab. Und Einheiten der Nord- und der Ostseeflotte sind in den letzten Tagen ins Schwarze Meer eingelaufen, um dort gemeinsam mit der russischen Schwarzmeerflotte Übungen abzuhalten.

Gleichgültig, ob Putin diese Kulisse tatsächlich nur als Drohkulisse aufbaut, ob er eine regionale Annexion der Separatistengebiete östlich des Dnjepr plant, eine Landbrücke zur Krim oder – dafür allerdings dürfte der bisherige Aufmarsch nun auch wieder ausreichen – eine Großinvasion der Ukraine an allen Fronten: Allein schon die außenpolitische und militärische Geste ist inakzeptabel – wie immer sich der Konflikt aus Sicht der jeweiligen Parteien im Detail darstellen mag.

Eingekuschelt in seine gemütliche Protestecke

Stellt sich angesichts dieser sehr ernsten Situation eine einfache Frage: Wo bleiben eigentlich unserer Aktivisten und Dauerengagierten? Wo sind beispielsweise Fridays for Future, Last Generation oder Extinction Rebellion? Zugegeben: Hier geht es nicht ums Klima. Hier geht es um etwas viel Ernsteres: um Krieg und Frieden. Denn in Kriegen sterben Menschen, ganz real und ganz unmittelbar – nicht möglicherweise in einer eventuellen Zukunft, wenn gegebenenfalls ein paar Modellrechnungen stimmen, sondern hier und jetzt.

Wo also ist die große Friedensdemonstration? Oder die medienwirksame Aktion Unter den Linden? – Fehlanzeige. Während die Welt auf die Ukraine schaut, twittert Lisa Neubauer lieber munter von einer Aktion gegen Fernstraßenprojekte. Und Fridays for Future Germany postete Bilder von einer Demo gegen Rodungen im Sterkrader Wald bei Oberhausen. Weltfremder und realitätsferner geht es kaum. Man hat sich eingekuschelt in seine gemütliche Protestecke und verliert darüber die ernsthaften Probleme aus dem Blick. Gegen den Klimawandel sein, das fühlt sich irgendwie gut und woke an.

Dabei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Situation womöglich anders aussähe, wenn die Amerikaner auch nur annähernd Vergleichbares veranstalten würden wie derzeit Russland. Dann wären die Parolen schnell zur Hand. Und treuherzig würde man der Öffentlichkeit versichern, dass Umwelt- und Friedenspolitik nicht voneinander zu trennen seien. Entschlossen würde man „Kein Blut für Öl“, „... für Kohle“ oder „... für Gas“ auf Transparente malen und sich mutig vor der US-Botschaft anketten – oder was auch immer.

Mit Krieg sind Wohlstandsradikale überfordert

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht hier nicht um die angemessene Reaktion auf den russischen Aufmarsch, wie dieser zu bewerten ist und was die richtige diplomatische Reaktion wäre. Das ist ein anderes Thema. Doch das Schweigen jener, die sich sonst empört über jedes Mikrogramm Feinstaub zu viel in der Luft aufregen, ist schon erstaunlich. In der wirklichen Krise entlarvt sich Fridays for Future und Co. als zeitgeistiger Wellnessprotest. Klima, das ist angesagte Popkultur, die sich prima mit den Insignien des hippen Lifestyles, mit E-Rollern, Veggie-Burgern und nachhaltigen Sneakern kombinieren lässt. Doch wenn die politische Entwicklung Themen in die Schlagzeilen spült, die weniger hip sind und auch keinen inneren Flow erzeugen, ist man hilflos.

Das liegt auch daran, dass man mit dem Thema Klima als Wohlstandsradikaler auftreten kann: Einfach mal Kraftwerke abschalten, Fliegen verbieten, Autos am besten auch und den Menschen ihren Lebenswandel vorschreiben – mit solch plakativen Forderungen kann man auf der Straße und in der Talkshow leicht punkten. Doch drohende Kriege lassen sich nicht verschlagworten. Hier muss man in der Lage sein, differenziert zu denken, sich in die jeweiligen Antagonisten hineinzuversetzen und vor allem: man muss die Moral außen vorlassen, da es sonst ganz schnell brandgefährlich wird. In das flauschige Weltbild unserer Klimaaktivisten, wo es nur Weiß und Schwarz gibt, Gut und Böse, passt ein solches Szenario natürlich überhaupt nicht: Realitätstest nicht bestanden.

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