Kindergrundsicherung - Schlaraffenland ist abgebrannt

Die von der grünen Familienministerin gewünschte Kindergrundsicherung kommt zwar, doch in wesentlichen Punkten hat sich Finanzminister Christian Lindner durchgesetzt. Für ihn ist dies denn auch die „letzte große Sozialreform“ der nächsten Jahre.

Handschlag mit Zähneknirschen: Finanzminister Christian Lindner und Familienministerin Lisa Paus / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Wieder einmal hat es Monate des öffentlichen Streits und des Einschreitens des Bundeskanzlers gebraucht, um in der Koalition eine gemeinsame Linie herzustellen. Aber seit heute ist sie da: die Einigung in Sachen Kindergrundsicherung

Die im Koalitionsvertrag verankerte Reform macht gleich aus doppeltem Grunde Sinn. So sollen sämtliche Leistungen für Kinder gebündelt und über ein „Kinderchancenportal“ digital und für den Bürger möglichst aufwandsarm abgewickelt werden. Egal ob Kindergeld, Kinderzuschlag oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket: Ab 2025 wird alles aus einer Hand und in einem Verfahren organisiert. 

Und dadurch soll zweitens erreicht werden, dass anspruchsberechtigte Kinder und Familien auch jene Leistungen erhalten, die ihnen zustehen. Die heute bestehenden Regelungen sind vielfach derart kompliziert, dass nicht alle von ihren Rechten wissen und sie daher nicht in Anspruch nehmen. 

Kinderarmut lässt sich nicht einfach mit mehr Geld bekämpfen

Genau dieser Punkt ist für Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) denn auch der eigentliche „Paradigmenwechsel“ des Gesetzesvorhabens. Selbst Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht in diesem Mechanismus ein „Anliegen moderner Sozialpolitik“. Allerdings könnte man die Tatsache, dass der Staat den Bürgern gibt, was ihnen zusteht, auch für eine Selbstverständlichkeit halten. Selbst in der DDR hat das schon vor Jahrzehnten problemlos funktioniert – auch ganz ohne Digitalisierung. 

Der monatelange Streit bezog sich deshalb auch auf etwas ganz anderes. Während Lindner nur mit Mehrkosten von 2,4 Mrd. Euro rechnet, wollte Lisa Paus fünfmal so viel von ihrem Ministerkollegen erstreiten. Mitten in einer Rezession, hoher Inflation und einer Krise der Staatsfinanzen wollte die Familienministerin Kinderarmut einfach mit mehr Geld bekämpfen.  

Funktionieren tut das freilich nicht – egal, wieviel Geld man in die Hand nimmt. Als relativ arm gilt, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Selbst wenn sich die Einkommen aller von heute auf morgen verdreifachten, gäbe es daher statistisch gesehen noch immer dieselbe Anzahl Armer. Kinderarmut ließe sich nur dann vollständig beseitigen, wenn einfach alle dasselbe Einkommen hätten – ganz egal auf welchem Niveau. 

Ohne Zuwanderung wäre Kinderarmut in Deutschland deutlich rückläufig

Lindners Ziel war daher von Anfang an klar: Er wollte nicht nur aus finanziellen, sondern sachlichen Gründen eine deutliche Leistungsausweitung verhindern. Seine Argumente dafür erwiesen sich als bestechend gut. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nämlich ging die Zahl der Hartz IV oder Bürgergeld beziehenden Kinder von 2010 bis heute um rund 400.000 zurück. Das gilt aber nur für jene mit deutschem Pass. 

Im gleichen Zeitraum hingegen stieg die Zahl von Kindern ohne deutschen Pass, die entsprechende Leistungen erhalten, um rund 600.000 auf 884.000 an. Die Zahl von in dieser Hinsicht durch Armut betroffene Kinder nahm also nur deshalb zu, weil Deutschland bereit war, in erheblichem Umfang Flüchtlinge aufzunehmen. Ohne diesen Effekt ist die Kinderarmut in Deutschland deutlich rückläufig. 

 

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Es war denn auch der Finanzminister und nicht seine fachlich eigentlich zuständige Kollegin, der den Finger in die eigentliche Wunde legte: „Das Beste, um Armut zu überwinden, ist Arbeit.“ Ihm sei es daher wichtig gewesen, dass das neue Gesetz „keinen Anreiz“ biete, auf Erwerbsarbeit, Integration und Spracherwerb zu verzichten.   

Haushaltszwänge können manchmal auch ihr Gutes haben

Und so trägt denn das jetzige Reformvorhaben selbst fachlich die Handschrift des Finanzministers. Eine relevante Leistungsausweitung nämlich wird es nur in einem Punkt geben: Unterhaltszahlungen sollen bei Alleinerziehenden künftig nicht mehr zu 100 Prozent angerechnet werden, sondern je nach Höhe der Unterhaltsleistung nur zu 45 bis 75 Prozent. Diese „privilegierte Anrechnung“ für Alleinerziehende steht allerdings unter einer Bedingung: Vater oder Mütter müssen, spätestens sobald das Kind zur Schule kommt, selbst erwerbstätig sein und mindestens 600 Euro pro Monat verdienen. Dabei fällt diese Zumutung sogar eher noch moderat aus. Vieles hätte dafür gesprochen, sie bereits mit dem Auslaufen des Elterngeldes wirken zu lassen. 

Lisa Paus machte dennoch gute Miene zum für sie schlechten Ergebnis. Sie sei am Ende trotz allem „zufrieden“ mit der Einigung. Allerdings ließ sie die Öffentlichkeit zugleich wissen, dass sie sich „noch einen größeren Schritt im Kampf gegen Kinderarmut“ gewünscht hätte.  

Daraus allerdings wird auf absehbare Zeit nichts werden. Lindner wies die neuerlich geäußerten Wünsche seiner Kollegin denn auch mit dem Hinweis zurück, dass die Kindergrundsicherung wohl auf absehbare Zeit „die letzte große Sozialreform“ bleiben werde.  

Haushaltszwänge können manchmal auch ihr Gutes haben. Sie zwingen dazu, sich der Realität zu beugen und Schlaraffenland-Träumereien hintanzustellen. 

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