Jens Spahn im Gespräch - „Es ist eine grüne Phantasie, mit Verzicht die Welt retten zu wollen“

Nach einem Jahr in der Opposition ringt die CDU unter Friedrich Merz um ihre neue Rolle und ihre Positionen. Eine Annäherung an die Grünen sei falsch, sagt Fraktionsvize Jens Spahn im Interview. Zugleich sei die CDU „die wahre Klimaschutzpartei“.

„Zum Klimaschutz gehört, AKW länger laufen zu lassen.“ Jens Spahn beim Besuch im Kernkraftwerk Emsland in Lingen. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Jens Spahn ist Unions-Fraktionsvize. Seit 2002 sitzt er für das Westmünsterland im Bundestag. Von 2018 bis 2021 war er Bundesgesundheitsminister. Er ist Mitglied des CDU-Präsidiums. 

Herr Spahn, Die CDU hat sich zur Klausur in Weimar getroffen. Der Begriff „Klimaschutz-Partei“ ist aus dem Abschlusspapier rausgeflogen. Warum?

Es geht darum, dass wir Wirtschaft, Energie und Klimaschutz zusammendenken. Das haben wir in Weimar formuliert. Wir sind schon immer und auch in Zukunft die wahre Klimaschutzpartei. Die ersten und einzigen Klimaschutzgesetze in diesem Land stammen von der CDU. Der begonnene Ausbau der erneuerbaren Energie stammt von der CDU. Wir haben dabei den Anspruch, Klimaschutz nicht mit Verzicht und Rückbau zu betreiben, sondern vor allem mit Wachstum und Innovationen, mit marktwirtschaftlichen Instrumenten voranzubringen.

Aber wie grün will denn die CDU am Ende werden?

Wir wollen gar nicht grün werden, darum geht es nicht. Wir werden anders als die Grünen einen Wahlsieg nie als Erziehungsauftrag verstehen. Es geht uns um die Bewahrung der Schöpfung, es geht darum, den menschengemachten Klimawandel zu verlangsamen und aufzuhalten und dabei unseren Wohlstand zu erhalten und zu stärken. Wir wollen und müssen ein starkes Industrieland bleiben. Das ist eben etwas anderes als was diese grünen Phantasien erzählen, die mit Verzicht und Schuldgefühlen die Welt retten wollen. Wir werden nur mit Innovation und Wachstum die Welt überzeugen. Nur wenn wir China und Indien mit ihrer Mittelschicht, die nach Aufstieg strebt, beim Klimaschutz dabei haben, werden wir erfolgreich sein.

Aber der Versuch der CDU, auf die grünen Themen zu setzen, wird die Demonstranten von Lützerath nicht zu CDU-Wählern machen, oder?

Wir setzen nicht auf grüne Themen, sondern zeigen, wie man anstehende Probleme löst. Bei den Grünen habe ich eher den Eindruck, dass das Band zwischen Programm und Realität doch gerade in Lützerath gerissen ist. Mit dem Programm, mit dem die Grünen mal angetreten sind, hat Ihre Politik seit einem Jahr nur noch wenig zu tun. Grüne Klimaaktivisten demonstrieren teilweise gewaltsam gegen den Kohle-Deal, den grüne Minister in Bund und Land verhandelt haben. Und den mussten sie verhandeln, weil sie lieber Kernkraftwerke abschalten als Kohlekraftwerke – mehr politische Schizophrenie ist kaum denkbar. Auf Kosten des Klimas muss der grüne Gründungsmythos „Anti-AKW-Partei“ aufrechterhalten werden. Rational gesehen hätte zum Klimaschutz gehört, die AKW länger laufen zu lassen.
 

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Am Wochenende ist bei der CDU aber auch die Forderung nach neuen Atomkraftwerken aus dem Papier geflogen. Zu sehr will man es sich mit den Grünen auch nicht verderben?

Nein, das stimmt so nicht. Der wichtigste Schritt wäre ja zunächst, dass wir die drei Kernkraftwerke, die noch laufen, länger am Netz lassen als nur bis Ende April. Hier leidet Deutschland immer noch an den Folgen der bewussten Falschaussage der Ampel-Regierung, dass wir kein Stromproblem hätten. Wir haben ein saftiges Stromproblem, und die Menschen spüren das schmerzlich an ihrer Stromrechnung. Ein eventueller Neubau von Kernkraftwerken wird aus meiner Sicht nur Akzeptanz haben, wenn es eben Kernkraftwerke einer neuen, noch zu entwickelnden Generation sind, die wenig bis gar keinen radioaktiven Abfall produzieren. Das Endlagerproblem ist schließlich ungelöst. Deswegen müssen wir bei Forschung und Entwicklung dabei sein und das steht auch in unserem Weimarer Papier. Das gilt auch für das Thema Kernfusion.

Gewisse Spannungen in der Union gibt es nicht nur in der Energiepolitik, auch in der Migrationspolitik gibt es unterschiedliche Stimmen. Ist es richtig von „kleinen Paschas“ zu sprechen?

Ich nehme bei diesen Fragen keine Spannungen in der CDU wahr. Es gibt eine große Einigkeit. Wir stehen einmütig zu den Parteitagsbeschlüssen, nach denen sich eine Lage wie 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise nicht wiederholen darf. Und dann gibt es Einzelstimmen, das gehört zu einer Volkspartei dazu.

Und die „kleinen Paschas“, von denen Friedrich Merz gesprochen hat?

Es ist richtig und dringend nötig, auch die Probleme in den Schulen anzusprechen. Und die bestreitet doch keiner. Wir haben es bisweilen mit Schülern zu tun, die von Kindesbeinen an gelernt haben, dass Männer mehr gelten als Frauen. Schüler, die sich teils bewusst nicht an Regeln halten wollen. Viele Lehrerinnen leiden darunter und können das Problem genau beschreiben. Übrigens gibt es das nicht nur in Berlin-Neukölln, sondern auch bei mir im Münsterland, in Gronau oder in Rheine. Bei Zuwanderern aus Vietnam, den Philippinen oder aus Südamerika findet man die von Friedrich Merz angesprochene Macho-Kultur selten. Es betrifft einen Teil der Menschen, die aus einem Kulturraum kommen, der sehr männerdominiert ist, wo Jungs oft lernen, dass Männer mehr wert sind als Frauen. Und deswegen lassen sie sich dann von Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen nichts sagen.

Ist das nicht doch pauschalisierend, so über bestimmte Gruppen zu sprechen?

Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass in weiten Teilen der arabischen Welt und des kulturell islamisch geprägten Raums die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht akzeptiert und nicht selten das Gegenteil gelebt wird. Das prägt doch die Menschen, diese Prägung ist ja beim Grenzübertritt nicht einfach weg. Und darüber müssen wir offen reden – ohne uns gegenseitig irgendwas vorzuwerfen. Und gerade weil die große Mehrheit der Zugewanderten sich integriert, einbringt, mit uns die Zukunft gestalten will, müssen wir auch ebenso deutlich benennen, wenn etwas schief läuft.  

In Berlin wird bald gewählt. Wie beobachten Sie von außen die Verhältnisse in der Hauptstadt?

In Berlin läuft nahezu alles schlecht, was mit Politik und Verwaltung zu tun hat. Das fängt beim Bürgeramt an und hört bei der Straßenführung noch lange nicht auf. Die Silvesterunruhen haben mal wieder gezeigt, dass der Senat nicht hinter seiner Polizei steht. Das ist verheerend. Man kann der Polizei keinen Vorwurf machen, sondern das ist eine Frage, wie die Politik die Sicherheitsorgane ausstattet und unterstützt. Ich wundere mich manchmal, dass überhaupt etwas in Berlin funktioniert, trotz dieses Senates und dieser Politik.

Vielen erscheint in Berlin die Politik insgesamt unfähig und reformunwillig. Würden Sie sich dennoch ein schwarz-grünes Bündnis wünschen, auch wenn dann Teile des jetzigen Senats wieder mit am Tisch sitzen?

Jedes Regierungsbündnis in Berlin, in dem die CDU führend beteiligt ist und wo keine Linke drin ist, ist erstrebenswert.


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Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr gewachsen. Die Inflation sinkt. Hat die Ampel in diesem doch wirklich schwierigen Jahr das Land vielleicht doch besser im Griff gehabt, als die Opposition es wahrhaben will?

Dass wir so gut durch diesen Winter kommen, ist mehr dem guten Wetter geschuldet als der Politik von Robert Habeck. Da müssen wir dem lieben Gott mehr danken als der Ampel. Und der Anpassungsfähigkeit von Bürgern und Unternehmen. Außerdem haben wir noch immer eine Rekord-Inflation, sowas gab es zu meinen Lebzeiten noch nicht. Diese Inflation bedeutet, dass ein Durchschnittsverdiener, was die Kaufkraft angeht, faktisch 300 bis 400 Euro im Monat weniger in der Tasche hat. Es ist eine Regierung der hohen Preise, der hohen Inflation und der hohen Schulden.

Aber was würde ein Wirtschaftsminister Spahn in dieser dramatischen Lage anders machen?

Wir brauchen dringend in allen Wirtschaftsbereichen ein größeres Angebot, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Das ist viel wirkungsvoller als immer neue Hilfspakete. Jedes Mal, wenn ich am Tempelhofer Feld vorbeifahre, kommen mir fast die Tränen. Wie kann eine Stadt, die solchen Wohnungsmangel hat, wo Menschen verzweifelt Wohnungen suchen, ein so großes Feld mitten in der Stadt einfach komplett ungenutzt lassen, damit ein paar Leute dort Drachen steigen lassen können? Die SPD kommt aus ihrer Regierungslogik der letzten zehn Jahre nicht raus, als es eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik brauchte. Die Zeiten haben sich aber geändert. Wir haben Inflation und jetzt geht es vor allem darum, eine Wirtschaftspolitik zu machen, die das Angebot ausweitet, damit wir die Kosten und die Inflation unter Kontrolle bringen und unseren Wohlstand sichern.

Die CDU ist ein Jahr in der Opposition. Und die Regierung bedient das Narrativ: Nach 16 Jahren Merkel muss nun die Ampel die Fehler der Vergangenheit ausbügeln. Was halten Sie dem entgegen?

Die Regierung kann mit dem Blick zurück nicht ihre eigenen Fehler übertünchen. Kurz gesagt: Solange die Kanzlerin regiert hat, ging es uns in Deutschland wirtschaftlich gut. Angela Merkel musste in 16 Jahren nicht einmal öffentlich die Richtlinienkompetenz anwenden, um Einigungen in der Koalition möglich zu machen. Der Begriff Zeitenwende des Kanzlers ist ja richtig, nur leider handelt er zu wenig danach. Natürlich wollen auch wir nicht einfach nur weitermachen wie bisher. Die aktuellen Krisen sind ein massiver Einschnitt, neue Zeiten erfordern einen Politikwechsel. So sind Christdemokraten: Wenn die Welt sich ändert, schauen wir, ob unsere Positionen noch richtig sind und passen sie, wenn es sein muss, an. Vor allem waren die 16 Jahre unter Angela Merkel für die Deutschen eine Zeit, in der es ein hohes Vertrauen in die Politik gab. Da hat Olaf Scholz in zehn Monaten viel verspielt.

Die Merkel-Jahre waren also gute Jahre trotz Atomausstieg und Flüchtlingskrise?

Alles in allem waren es unterm Strich gute Jahre für Deutschland. Sicher würden wir heute einige Entscheidungen anders treffen. Zum Beispiel zuerst aus Kohleenergie aussteigen statt aus der Kernenergie. Trotzdem bleibt eine positive Bilanz in vielen Bereichen. Ich kann uns als Union nur empfehlen, das zu sehen. Wenn man drei große Kanzlerschaften aus den eigenen Reihen vorweisen kann, Adenauer, Kohl, Merkel, dann ist es auch richtig, die Erinnerung an diese Persönlichkeiten zu pflegen und keinen Sündenbock für heutige Probleme zu suchen. 

Das Gespräch führte Volker Resing.

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