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Inklusion? - Bildung braucht Hierarchie

Kisslers Konter: Der Ruf nach Inklusion ist derzeit in aller Munde. Doch die Gleichmacherei bringt nichts. Denn es sind die Unterschiede, die Schüler vor Unterforderung schützen und zur Leistung anspornen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der neueste pädagogische Schrei kommt aus Berlin: „Vom Gemüse lernen“. So steht es auf Plakaten, die U-Bahn-Stationen säumen. Mit diesem Slogan wirbt ein Projekt um Unterstützung für einen Kreuzberger Gemeinschaftsgarten. Ziel sei es, eine „vergessene, zugewucherte und vermüllte Brache in einen blühenden urbanen Garten“ zu verwandeln. Die Metamorphose soll stattfinden mittels „offener Plattform“ an einem „partizipativen Bildungsort“. Wer mag da mäkeln? Nichts ist einzuwenden, wenn Großstädter gemeinsam Karotten anbauen, Rüben ziehen und die Tomate herzen.

Das Motto jedoch weist in eine ebenso angesagte wie falsche Richtung. Bildung wird zunehmend angepriesen als Gemeinschaftserlebnis für alle, als Wunderland der flachen, besser noch: der abgeschafften Hierarchien. Schon ist die Rede vom „lernenden Lehren“, auch vom „kompetenten Säugling“ war zu lesen. Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft treibt späte, sehr kuriose Blüten. Allen Unterschieden soll der Kampf angesagt werden, gelobt sei der kleinste gemeinsame Nenner, in jedem stecke alles. Pädagogischer Egalitarismus aber bedeutet die Nivellierung, ja Negierung aller Ansprüche. Er bringt bestenfalls Halbkompetente, schlimmstenfalls Frustrierte auf allen Seiten hervor.

Unterschiede lassen sich nicht hinwegsentimentalisieren


In der Behauptung, das Gemüse habe dem Menschen etwas beizubringen, steckt ein pfiffiger Unernst und ein Gran Wahrheit. Natürlich kann der hyperaktive Urbanist Kräfte schöpfen für den Daseinskampf und seinen Biorhythmus neu justieren, wenn er sich auf die Jahreszeiten einlässt, wie sie dem Gärtner den Stundenplan vorgeben. Pflegen, hegen, warten lautet der botanische Dreiklang. Letztlich ist der Mensch, wie es ebenfalls floskelhaft heißt, jedoch nicht „auf Augenhöhe“ mit dem Kürbis, spricht er nicht „von Du zu Du“ mit Regenwurm, Spinne, Fink und Star. Die kategorialen Unterschiede zwischen Mensch und Nicht-Mensch lassen sich nicht hinwegsentimentalisieren.

Folgenreicher noch ist die kontrafaktische Vermutung, auch der „deutschen Einheitsschule“ (Rudolf Borchardt) bekomme es, wenn sie zum Runden Tisch der Möglichkeiten weiterentwickelt wird. Auf die Schleifung der Hauptschulen folgte die Abstufung der Realschulen. Einzig das seinerseits zur Gesamtschule nivellierte Gymnasium soll Deutschlands Töchtern und Söhnen angemessen sein – welch grandiose Überschätzung, welch panische Angst vor dem einzigen Prinzip, das geistige Fruchtbarkeit verheißt, dem Prinzip der Unterschiede. Und als wäre es mit dieser Nivellierung nach unten (eine andere kann es nicht geben) nicht genug, soll nun auch den Sonderschulen, die das Besondere im Namen tragen, der Garaus gemacht werden.

Schule wird einer Ideologie geopfert


Leistungsstärke wollte man nicht dulden, Abweichung will man nicht akzeptieren. Inklusion heißt das Zauberwort, mit dem, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, oft „Gesinnungshuberei“ bemäntelt werde. Behinderte, also betreuungsintensive, und nicht-behinderte, ihrerseits ganz unterschiedlich begabte dumme oder schlaue Schüler sollen Bank an Bank die „ultimative Integration“ vollziehen. In diesem Sinne äußerte sich ein Erziehungswissenschaftler, Hans Wocken mit Namen.

Abermals, steht zu befürchten, wird die Wirklichkeit einer Ideologie, die Schule einem Weltbild geopfert. Dabei schadet es den einen, wenn sie die Ursache der Verzögerung für die anderen sind – und diesen wiederum, wenn ihre Unterforderung zum moralisch einwandfreien Exempel aufgehübscht wird. Nein, es hilft alles nichts: Das Leben braucht Unterschiede, damit es pulsieren kann, die Schule braucht keine Drohkulisse und keinen Kathedergehorsam, wohl aber Hierarchien – Hierarchien des Lehrstoffs, Hierarchien in der Schülerschaft, Hierarchien zwischen Lehrenden und Lernenden. Den Menschen drängt es aus menschlich sehr schönen Gründen nach Gerechtigkeit, deren Gegenteil aber Gleichmacherei heißt. Alles andere ist Blumenkohl.

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