Imagekampagne des RKI - Corona-Rollenspiele

In diesen Tagen sind die Protokolle der für die Corona-Pandemie zuständigen Arbeitsgruppe im Robert-Koch-Institut veröffentlicht worden. Sie sagen viel aus – aber wirklich das, was sich viele Kritiker wünschen?

FFP2-Maske / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Frank Lübberding ist freier Journalist und Autor.

So erreichen Sie Frank Lübberding:

Anzeige

Am 7. April 2022 scheiterten im Deutschen Bundestag die Bemühungen von SPD und Grünen zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Dieses Datum markiert das Ende einer seit mehr als zwei Jahren durch politische Imperative verseuchte Debatte über die Pandemiepolitik. Aus der schlichten Frage, wie man am besten mit einem Virus namens Sars-CoV-2 umgeht, wurde eine Schlammschlacht, die diese Gesellschaft bisweilen an den Rand des Wahnsinns zu treiben drohte. 

Aus dem anfänglichen Appell an Gemeinsamkeit machte die Bundesregierung zusammen mit vielen Medien ein Instrument zur Spaltung: der brave Bürger gegen vermeintliche Saboteure der Volksgesundheit. Zwar endeten die letzten Maßnahmen erst ein Jahr später, aber das vor allem auf der politischen Linken vertretene Modell des autoritären Pandemie-Staates erlitt seine entscheidende Niederlage. Man ging anschließend weitgehend zur Tagesordnung über, die von dem Krieg in der Ukraine bestimmt wurde. 

Eine neue Koalition musste sich nach 16 Jahren mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel finden und hatte genug damit zu tun, nicht gleich Schiffbruch zu erleiden. Die Pandemie geriet aus den Schlagzeilen, für viele auch in Vergessenheit, hinterließ aber gleichzeitig bei vielen anderen Bürgern tiefsitzenden Groll. Deren Vertrauen in die Verlässlichkeit des Staates bei der Verteidigung der Grundrechte wurde schwer erschüttert. Das Ergebnis war ein sich allmählich ausbreitender Zynismus in allen Lagern, die die Politik nur noch als Mittel begriffen, Feinde zu markieren.

Sprachregelungen für die Politik

Die so oft geforderte Aufarbeitung der Pandemiepolitik fand nicht statt. Die Gründe müssen uns hier nicht interessieren, es kommt auf das Ergebnis an. Zwar gab es im Brandenburger Landtag einen Untersuchungsausschuss, dem es aber an Durchschlagskraft fehlt. So blieb die Aufarbeitung das Thema weniger Aktivisten aus dem Lager der Regierungskritiker. Auf diese Weise konnte der Frankfurter Arzt Christian Haffner gerichtlich die Veröffentlichung der Protokolle des von Olaf Scholz nach dem Regierungswechsel eingesetzten Expertenrats der Bundesregierung durchsetzen. 

Die Resonanz war zurückhaltend, nicht zuletzt wegen der Schwärzung relevanter Passagen durch das Bundeskanzleramt. Nun handelte es sich dabei nicht um ein wissenschaftliches Gremium, sondern um eine Runde von Wissenschaftlern, die mühselig nach politischen Kompromissen suchen mussten. Minderheitsvoten waren ausgeschlossen. So stand eine Minderheit um Hendrik Streeck einer Mehrheit um Christian Drosten gegenüber. Mit Wissenschaft hatte das nichts zu tun, sondern es ging um Sprachregelungen für die Politik. Vor der Einsetzung dieses Rates war Drosten allein dafür zuständig. Insofern konnte man das einen Fortschritt nennen. 

1059 Seiten rechtliche Begründungen

Noch früher als Haffner bemühte sich aber das Online-Magazin Multipolar um die Freigabe der Protokolle einer Arbeitsgruppe im Robert-Koch-Institut (RKI). Es war formal für die wissenschaftliche Politikberatung in solchen Situationen zuständig. Nach jahrelangen Prozessen vor dem Berliner Verwaltungsgericht veröffentlichte das Online-Magazin diese Protokolle. Sie haben einen bemerkenswerten Umfang: Es sind 2518 Seiten, allein für die Zeit vom 11. Januar 2020 bis zum 30. April 2021. Das RKI war wie gewohnt fleißig und beauftragte eine Rechtsanwaltskanzlei, auf 1059 Seiten rechtliche Begründungen für die Passagen zu finden, die man lieber nicht dem Auge der Öffentlichkeit anvertrauen wollte. So hat es der Leser mit 3577 Seiten zu tun, wobei er beide Konvolute nebeneinanderlegen muss, um die rechtliche Begründung für die Auslassung nachzuvollziehen.

Dieses Gremium war eine Arbeitsgruppe, die nur eine Aufgabe hatte: die Tätigkeit des RKI in dieser Pandemie zu koordinieren. Teilnehmer waren die jeweiligen Fachabteilungen. Es begann immer mit der nationalen und internationalen Lage, dann wurde etwa über Surveillance-Systeme zur Überwachung der Infektionsentwicklung berichtet. Schließlich ging es um die Kommunikation nach außen und die innerbehördliche Organisation dieses Kraftaktes. 

Die Dynamik des Infektionsgeschehens

Formal handelt es sich um Ergebnisprotokolle, die den jeweiligen Sachstand im Haus zusammenfassen. Insofern ist es nicht erstaunlich, wenn sich in diesen Protokollen auch die Dynamik des Infektionsgeschehens und die veränderten Sichtweisen wiederfinden. Aber das RKI gab sich schon erkennbar Mühe, durch die Schwärzungen einen eher vorteilhaften Eindruck zu erzeugen. Denn eine der immer wiederkehrenden Begründungen lautet, dass „der betroffenen Person“ bei der Veröffentlichung „eine Stigmatisierung drohe, sodass sie ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung ihrer personenbezogenen Daten“ habe.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Vermutlich sind das nicht solche Aussagen, die dem heutigen Erkenntnisstand weitgehend entsprechen. Dann drohte schließlich nur eine Karriere als ausgewiesener Experte. So zeigt sich bei den weitgehend geschwärzten Protokollen eine bemerkenswerte Schieflage: Es wird das veröffentlicht, was der wissenschaftlichen Reputation des RKI nicht im Wege steht. Auf dem vom neuen Eigentümer umbenannten Netzwerk Twitter hat sich auch unter dem Hashtag #RKIFiles eine bemerkenswerte Debatte entwickelt. Sie wird zwar fast ausschließlich von Kritikern der Regierungspolitik geführt, aber dort kommt das RKI ziemlich gut weg. Der Tenor lautet: Es wusste es von Anfang an besser und wurde letztlich nur von der Politik angewiesen, das Gegenteil von dem zu tun, was sinnvoll gewesen wäre. 

Wir wussten alles besser

Einer der Gründe ist darin zu finden, dass man die Protokolle nutzt, wie in früheren Zeiten pubertierende Schüler erotische Literatur konsumierten: Gesucht werden die schärfsten Stellen, die vor allem die eigene Sichtweise bestätigen. Auf 2518 Seiten wird auch jeder etwas finden. Das RKI kann mit diesem Ergebnis zufrieden sein: Es kann sein Image als eine ernstzunehmende wissenschaftliche Institution konsolidieren, und das sogar noch mit Hilfe ihrer Kritiker. Besser kann es nicht laufen. 

Leider ist diese These aber an den Haaren herbeigezogen, wie an einem interessanten Beispiel deutlich wird. So „beruhte die im März 2020 vom RKI verkündete Verschärfung der Risikobewertung von mäßig auf hoch … anders als bislang behauptet nicht auf einer fachlichen Einschätzung des Instituts, sondern auf der politischen Anweisung eines externen Akteurs – dessen Name in den Protokollen geschwärzt“ sei, so Paul Schreyer, Chefredakteur von Multipolar

Die Begründung für die Schwärzung des Namens ist, der Leser ahnt es wahrscheinlich, die drohende Stigmatisierung der betreffenden Person. Man hätte zwar auch diesen Tagesordnungspunkt 3 „aktuelle Risikobewertung“ vollständig schwärzen können, aber wahrscheinlich fiel den RKI-Anwälten keine passende Begründung ein. Aber das Ergebnis passt für das RKI: Wir wussten alles besser, aber die Politik wollte es halt so. 

Angst vor einer Katastrophe

Dabei gibt es für diese Annahme keine überzeugenden Gründe. Tatsächlich hat das RKI seit der ersten Sitzung vom 11. Januar 2020 mehr Verwirrung gestiftet als Klarheit geschaffen. Es gab zwar Pandemiepläne, aber die standen bloß auf dem Papier. In unserem föderalen System sind die Bundesländer und die Kommunen für die Umsetzung der Pandemiemaßnahmen zuständig. Die bekamen aber keine Hinweise aus Berlin, worauf sie sich überhaupt vorbereiten sollten. Vielmehr hatten wohl viele den Eindruck, dass lediglich Rechtspopulisten die Angst vor einer Katastrophe schüren wollten. 

Für viele Medien war das eine überzeugende These. So dümpelte das RKI im seichten Gewässer seiner Arbeitsgruppe bis Anfang März vor sich hin. Aber dann sollten sich die Ereignisse überschlagen. Am 12. März wurde eine Ministerpräsidentenkonferenz plötzlich zum Corona-Krisenstab. In einer weiteren Konferenz am 16. März verschärfte sich der Tonfall in der Regierungskommunikation. An dem Tag verhängte auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Frankreich einen Lockdown und sprach vom „Krieg gegen das Virus“. 

Zwei Tage später hielt die Bundeskanzlerin ihre berühmte Fernsehansprache an die Deutschen, in der sie dramatische Eingriffe in den Alltag verkündete. Am 22. März wurden die schon am 16. März beschlossenen Maßnahmen noch einmal verschärft. Wer war immer dabei? Das RKI mit ihrem Präsidenten Lothar Wieler, außerdem Christian Drosten als wichtigster Regierungsberater. Ab diesem Zeitpunkt bestimmten die Laien im Bundeskanzleramt die deutsche Pandemiepolitik. Sie suchten sich die passenden Experten aus und mussten lediglich noch die Ministerpräsidentenkonferenz von ihrer Weisheit überzeugen. Tatsächlich hatten weder das Kanzleramt noch die Ministerpräsidentenkonferenz eine formale Zuständigkeit in der Pandemiepolitik. Sie machten das einfach, weil niemand anderes da war.

Bildung einer Enquete-Kommission 

Das RKI war zwar dabei, hatte aber nichts zu sagen. Es war bis zuletzt noch nicht einmal in der Lage, eine Datengrundlage für das Pandemiegeschehen in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Insofern suggerieren diese Protokolle eine Bedeutung, die das Institut nie hatte. Die es aber nachträglich gerne gehabt hätte, daran besteht kein Zweifel. Sie zeigen aber vor allem eines: Deutschland braucht eine seriöse Aufarbeitung der Pandemiepolitik. 

Das einzige Instrument wäre wohl die Bildung einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, die einen wissenschaftlichen Anspruch an die Sachverständigen stellen muss. Dann wird auch die Rolle des RKI zur Sprache kommen müssen, aber noch wichtiger wäre die Funktion des Bundeskanzleramts in diesen turbulenten Zeiten. Mit diesen Protokollen kann man sich dann immer noch beschäftigen. 
      

Andreas Radbruch im Gespräch mit Axel Meyer
Cicero Podcast Wissenschaft: „Die Bevölkerung wurde durch Angstszenarien diszipliniert“
  

Anzeige