- „Ich will Wahrheit und Klarheit im Netz“
Im Interview mit CICERO spricht Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich über die Gefahren für die innere Sicherheit Deutschlands, Vorratsdatenspeicherung und über die Verrohung der Gesellschaft.
Herr Innenminister, welche Art von Gefahr für die innere
Sicherheit Deutschlands wird Ihres Erachtens am meisten
unterschätzt?
Die Bürger wissen, dass es
terroristische Gefahren gibt und dass wir wachsam sein müssen.
Andererseits gibt es keinen Grund, permanent in Angst zu leben. Was
als neues Phänomen hinzukommt, ist die Gefahr, die von
radikalisierten Einzeltätern ausgeht.
Eine der größten Hängepartien der bürgerlichen Koalition
ist der Streit um die Vorratsdatenspeicherung. Sehen Sie eine
Chance, dass es in dieser Legislaturperiode noch zu einer Einigung
zwischen Union und FDP kommt?
Wir müssen da schon
deshalb zu einem Ergebnis kommen, weil die Europäische Union eine
entsprechende Richtlinie erlassen hat, die diese
Mindestspeicherfristen vorsieht. Aber ich glaube, dass man auch
immer wieder den Bürgerinnen und Bürgern erklären muss, um was es
da wirklich geht. Wir müssen wissen, mit wem hatte ein Verdächtiger
Telefon- oder Internetkontakt, bevor er seine Straftat beging, auch
um weitere Straftaten zu verhindern. Im Grunde wollen wir nur, dass
man die Kontaktdaten, die im Internet oder beim Telefonieren
anfallen, bei den Anbietern routinemäßig erst nach sechs Monaten
löscht und nicht schon nach wenigen Stunden oder Tagen. Das ist
kein Generalverdacht gegen die Bevölkerung, sondern es ist einfach
die notwendige Grundlage, um etwa Netzwerke von Terroristen
aufzuspüren. Derzeit ist es oftmals Zufall, ob die Daten noch
gespeichert sind oder nicht.
Die FDP hat in dieser Koalition schon viele Vorhaben
abschreiben müssen, weil die Union ihr einen Strich durch die
Rechnung gemacht hat. Gewinnt das Thema Vorratsdatenspeicherung
dadurch für die Liberalen fast schon eine Art symbolhafte
Bedeutung, nach dem Motto: Aber hier bleiben wir jetzt
hart?
Natürlich will jeder beteiligte
Koalitionspartner seine Handschrift hinterlassen. Ich könnte mir in
diesem Fall gut vorstellen, dass man die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts, wer überhaupt Zugriff auf diese Daten
haben darf, sehr restriktiv ausgestaltet. Damit könnte man den
datenschutzrechtlichen Bedenken der FDP entgegenkommen, ohne die
Funktionsfähigkeit dieses Instruments infrage zu stellen.
Sie haben unlängst dafür plädiert, anonyme Beiträge im
Internet zu verbieten, um auf diese Weise extremistische Propaganda
zu unterbinden. Darauf hagelte es dann prompt Kritik – unter
anderem, weil in Deutschland ohnehin eine Impressumspflicht für
Blogs besteht. Aber auch, weil man von Deutschland aus keinen
Zugriff auf Server hat, die im Ausland stehen. Verfolgen Sie das
Thema trotzdem weiter?
Es geht doch im Kern um
Folgendes: Wir haben in unserem Land eine bewährte und akzeptierte
Rechtsordnung, die auch im Internet gilt. Diese Rechtsordnung – vom
Grundgesetz über das Urheberrecht bis hin zum Strafrecht – müssen
wir online mit der gleichen Selbstverständlichkeit durchsetzen
können wie offline. Der Vorwurf, ich wolle generell die Anonymität
im Netz abschaffen, ist Unfug. Ich kann ja schließlich auch den
ganzen Tag durch Berlin laufen, ohne ständig sagen zu müssen, wie
ich heiße und wann ich geboren bin. Wenn ich aber einen Leserbrief
an eine Zeitung schicke, dann wird der in der Regel nur abgedruckt,
wenn auch mein Name daruntersteht – das gehört einfach zu einem
guten demokratischen Umgang dazu. Natürlich ist mir klar, dass das
Internet weltweit organisiert ist und dass es durchaus eine Grenze
für die Durchsetzbarkeit von nationaler Gesetzgebung gibt – und
trotzdem gelingt es uns, gemeinsam mit vielen anderen Staaten, etwa
den USA, die Löschung von Kinderpornografie herbeizuführen, weil
wir länderübergreifend der Meinung sind, dass solche Verbrechen
verhindert werden müssen. Dieser Konsens muss – auch in anderen
Bereichen – international hergestellt werden.
Nur auf internationaler Ebene?
Nicht nur,
sondern auch auf nationaler Ebene. Die vielen sozialen Netzwerke,
die sich auf unserem Markt tummeln, existieren ja nicht, weil sie
die Menschen so nett finden, sondern weil sie Geld verdienen
wollen. Und weil Geldverdienen nicht virtuell, sondern konkret ist,
sind sie auch unserer nationalen und europäischen Gesetzgebung
unterworfen. Wenn die sozialen Netzwerke nicht mehr in der Lage
wären, sich innerhalb unserer Rechtsordnung auch ihre
entsprechenden Einnahmen zu verschaffen, wären wir sehr schnell
uninteressant für sie. Vor diesem Hintergrund glaube ich schon,
dass es Hebel gibt, mit denen man diese Ordnung von Wahrheit und
Klarheit im Netz gewährleisten kann.
Also gesetzliche Hebel?
Zunächst einfach in
dem Sinne, dass man mit den sozialen Netzwerken darüber spricht,
wie sie selber ihre Rolle im Netz sehen.
Das klingt weniger nach Hebel als nach freundlichem
Dialog.
Wir haben das Gespräch mit Anbietern,
Datenschützern, der Wirtschaft und Vertretern der Netz-Community
etwa über „Google Street View“ geführt. Dieser Bereich ist sehr
dynamisch, und wir müssen mit der Gesetzgebung Schritt halten.
Selbstregulierung ist aber oft effektiver und flexibler. Ich halte
es für sinnvoll, dass beispielsweise die sozialen Netzwerke sich
zunächst selbst bestimmte Regeln geben und sich diesen Regeln
gemeinsam unterwerfen, um ihre Existenzfähigkeit und ihre
Handlungsfähigkeit zu erhalten. Einige tun das bereits, bei anderen
leisten wir noch Überzeugungsarbeit, wie ich das unlängst bei den
Vertretern von Facebook getan habe. Nehmen wir das Beispiel der
Facebook-Partys, die ja mittlerweile recht berüchtigt sind. Da
stellt man jetzt fest, dass Facebook selber erkennt: Da müssen wir
etwas machen, denn sonst geraten wir als Unternehmen ins schiefe
Licht. Wenn dies nicht gelingt, muss aber der Staat im Notfall auch
sagen können: Entweder ihr macht jetzt selbst etwas, oder wir
greifen ein. Das hielte ich dann durchaus für richtig.
Haben Sie manchmal den Eindruck, dass die
Internet-Community ein bisschen das Gefühl hat, oberhalb der
Gesetze zu stehen, weil sie sich eben auch über Landesgrenzen
hinaus definiert?
Ohne Frage genießen die Nutzer im
Netz zu Recht die Freiheit, über Ländergrenzen hinweg zu
kommunizieren. Das soll auch so bleiben. Ich habe aber auch den
Eindruck, dass viele ins Grübeln kommen: Was wäre das Netz noch
wert, wenn dort nur noch Lug und Trug, Täuschung und Fälschung an
der Tagesordnung wären? Deswegen meine These: Jedes System, das
sich keine Regeln gibt, schafft sich irgendwann selbst ab, weil es
im Chaos versinkt. Mein Lösungsvorschlag: Wer das Netz auch unter
den Aspekten der Freiheit und der demokratischen Diskussion
erhalten will, der muss Regeln beachten, auf die man sich auch
verlassen kann. In vielen Bereichen funktioniert das schon, bei
anderen sehe ich da noch Nachholbedarf.
In Berlin, aber auch in anderen Städten werden seit
einiger Zeit nachts reihenweise Autos abgefackelt, und die Polizei
ist praktisch machtlos. Welche Folgen hat so etwas für das
Sicherheitsempfinden der Bürger und letztlich auch für die
Rechtsstaatlichkeit in diesem Land?
Ich glaube, dass
das gravierende Folgen haben kann, übrigens genauso wie ein zweites
Phänomen, das so unmittelbar in die Privatsphäre eines jeden
eindringt, nämlich die Zunahme der Wohnungseinbrüche. Da sind die
Menschen in ihrem Alltag betroffen von Kriminalität und Gewalt.
Hier ist der Staat gefordert, Handlungsfähigkeit zu beweisen, sonst
verlieren die Bürger das Vertrauen. Und deswegen ist es sehr
wichtig, dass die entsprechende Strafverfolgung konsequent
erfolgt.
Die Frage ist nur: Wie? Man kann ja nicht neben jedes
geparkte Auto nachts einen Polizisten stellen.
Das ist
zweifellos richtig. Aber man kann die Polizeipräsenz verstärken,
die die Entschlossenheit des Staates verdeutlicht. Das zeigen uns
Beispiele aus den USA. Auch in Berlin hat dies zu ersten Erfolgen
bei der Täterergreifung geführt. Darüber hinaus muss man die
Sensibilität der Bürger verstärken.
Sie meinen Bürgerwehren oder nachbarschaftliche
Aufpasskommandos?
Nein, ich meine die Sensibilität,
dass ein Bürger, der nachts unterwegs ist und dem etwas
Verdächtiges auffällt, die Polizei ruft. Ich glaube aber auch, dass
man mit sehr harten Maßnahmen reagieren muss, wenn ein solcher
Täter erwischt wird.
Das Abfackeln von Autos wird vielfach als politisch
motivierte Straftat beschrieben. Sehen Sie das auch
so?
Die Motivlage ist sicher unterschiedlich. Einigen
Tätern ist ja offenbar daran gelegen, ein Unsicherheitsgefühl bei
den Bürgern zu erzeugen. Insgesamt finden politisch motivierte
Taten in Deutschland keinerlei Akzeptanz. Was ich in diesem
Zusammenhang übrigens nicht minder erschreckend finde, ist diese
zunehmende reine Lust an der Zerstörung und an der Gewalt.
Woher kommt diese Verrohung?
Es gibt eine
beängstigende Absenkung der Hemmschwellen bei Gewalttaten. Die
Ursachenforschung im Einzelnen ist eine Aufgabe für Kriminologen
und Psychologen. Fakt ist, dass wir dagegen etwas unternehmen
müssen, und zwar schon präventiv, also bei der Erziehung von
Kindern und Jugendlichen.
Großbritannien hat im Sommer chaotische Zustände auf
seinen Straßen erlebt. Halten Sie diese Zustände für übertragbar
auf Deutschland?
Nein. Ich glaube, dass wir dieses Maß
an allgemeiner gesellschaftlicher Desintegration in Deutschland bei
weitem nicht haben. Was auch daran liegt, dass Erziehung,
Jugendarbeit und politische Bildung zentrale politische Themen
sind. Und wenn ich überlege, dass wir allein für Integrationskurse
für Migranten seit dem Jahr 2005 eine Milliarde Euro ausgegeben
haben – hinzu kommen die unzähligen Initiativen und ehrenamtliche
Engagements –, dann glaube ich, dass die Gesellschaft in
Deutschland schon vieles erreicht hat. Aber auch hierzulande
erleben wir jetzt immer öfter das Auftreten rechts- und
linksradikaler Gewaltexzesse, die ich nicht verharmlose.
Dieses Interview lesen Sie in der Oktober-Ausgabe des Magazins CICERO. Dort finden Sie auch Texte von Colin Crouch, Carl Christian von Weizsäcker oder Hamed Abdel-Samad. Jetzt am Kiosk oder hier bestellen.
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