Grüne vor dem Parteitag im Krisenmodus - „Werbeagentur für schlechte Kompromisse“

Eine Woche vor der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Karlsruhe ist die Zukunft der Partei so offen wie lange nicht. Pragmatiker sind in der Defensive. Vor allem in der Migrationspolitik droht Zoff mit der grünen Basis.

Suche nach Wegen aus der Krise: Robert Habeck, Ricarda Lang und Omid Nouripour. /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Manchmal hat man kein Glück und dann kommt noch Pech dazu. Mit dem Zitat aus der Fußballwelt ist die Lage der Grünen noch zu harmlos beschrieben. Die Regierungspartei befindet sich in multiplen Krisen, die sich sowohl in großen Erdbeben zeigen wie auch in tektonischen Verschiebungen, die weiteren Lavaregen wahrscheinlich machen. Eine Woche vor der Bundesdelegiertenkonferenz in Karlsruhe, bei der eigentlich auch noch das 40-jährige Bestehen nachträglich gefeiert werden soll, ist keinem so recht zum Feiern zumute. Was aus der Grünen Partei insgesamt wird, ist so offen wie lange nicht mehr. 

Karlsruhe könnte zum historischen Einschnitt werden, wenn die wütende Basis sich substantiell gegen die ebenfalls uneinige Parteispitze durchsetzt. Die derzeit großen Erdbeben in der grünen Welt sind: das Ende von Schwarz-Grün in Hessen, das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds und die Beschlüsse der Ampel zur Migrationspolitik. Jeder einzelne Punkt bringt die Partei immer wieder an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Ein Ausweg aus der sich verfestigenden Uneinigkeit, den programmatischen Sackgassen und persönlichen Animositäten ist nicht in Sicht. 

Selbstverstädnis gerät ins Wanken

Hinzu kommen die Haarrisse in tragenden Bauteilen des grünen Regierungsfliegers, die durchaus zum Absturz oder zur Notlandung führen könnten. Dazu gehört, dass das ganze pragmatische Selbstbewusstsein der Partei, das Robert Habeck und Annalena Baerbock einst aufgebaut haben, ins Wanken gerät. Man wollte den Kanzler stellen, liegt aber in Umfragen bei 14 Prozent. 

Doch der Streit der beiden darüber, wer die Partei in den Bundestagswahlkampf 2025 führen wird, drosselt zusätzlich zu allen anderen Problemen auch noch den Parteimotor – für alle im Maschinenraum deutlich spürbar. Manche sprechen von einer Re-Ideologisierung der Grünen. Manche sind die andauernden Kompromisse in der Ampel müde, andere sind müde der ewigen Verdruckstheit. Die Stuttgarter Landtagsfraktion hat jetzt schon Sprachregelungen erlassen, um nach außen noch irgendwie ein geschlossenes Bild zu simulieren. 

Idealistische Sicht der Programmatiker

Glutherd des grünen Dilemmas ist die Migrationspolitik. Die dramatische Lage in Kommunen und Kreisen angesichts hoher Zahlen von Flüchtlingen und Asylbewerbern führt dazu, dass es immer schwieriger wird, die pragmatische Sicht der Praktiker in Einklang zu bringen mit der idealistischen Sicht der Programmatiker. Zuletzt wurde noch mal der große Grüne Schulterschluss von Parteichefin Ricarda Lang und Ministerpräsidenten-Legende Winfried Kretschmann in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel versucht. Schlüsselformulierung einer gemeinsamen, an den Problemen orientierten Migrationspolitik war der Satz „Humanität braucht Ordnung. Ordnung braucht Humanität.“ Doch selbst die gedrechselte Überschrift sorgt schon für Unmut. 

Kretschmann hat inzwischen mehr Härte verlangt und es im Taz-Interview auf die Formel gebracht: „Runter von der Bremse bei der Eindämmung der irregulären Migration.“ Ricarda Lang hingegen biegt in die andere Richtung ab, vom Gleichschritt ist nichts mehr zu spüren. Sie warnt vor einem „Überbietungswettbewerb“ und mahnt an, die Debatte auf das zu konzentrieren, was am meisten bringt und nicht auf das, was „am härtesten klingt“. Mit der Grünen Jugend liefert sich Grünen-Opa Kretschmann schon offene Feldschlachten. „Wo leben die denn?“, poltert er. Von Abschottung könne keine Rede sein, ruft er dem Partei-Nachwuchs zu.

Das Symbol der inneren Paralyse

Insgesamt ist die Grüne Partei so strukturiert, dass sie sich schon grundsätzlich schwer führen lässt. Das ist kein Versehen, sondern so gewollt. Führung und Macht wird immer breit verteilt und Beteiligung groß geschrieben, so dass Unruhe systemimmanent ist. Oberstes informelles Führungsgremium ist die Sechserrunde, inzwischen Symbol der inneren Paralyse. Zu dem grünen Sextett gehören neben Lang ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour, außerdem die beiden Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann sowie schließlich ohne offizielle Parteifunktion Habeck und Baerbock. Wer hier Chef ist und wer nicht, keiner kann es formal sagen, damit ist die Manövrierfähigkeit immer wieder bedroht.  

Ein anders Beispiel ist das „Antragsgrün“, so heißt wortschöpferisch benannt das Online-Portal, das es allen Delegierten und Berechtigten ermöglicht, sich transparent und offen vor dem Parteitag an den Beschlussfindungen und Beratungsvorbereitungen zu beteiligen. Und im „Antragsgrün“ ist schon leicht ersichtlich, wieviel Unmut im Gepäck der Parteifreundinnen und Parteifreunde mit nach Karlsruhe reist. Die Möglichkeit, hier einen Parteitag in geordnete und vor allem friedliche Bahnen zu lenken, ist stark begrenzt.

Pragmatismus streichen?

Für den Dringlichkeitsantrag des Parteivorstands „Humanität und Ordnung: Für eine anpackende, pragmatische und menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik“ liegen schon zehn Änderungsanträge vor. Aus dem Kreisverband Bochum kommt gleich der Vorschlag, schon den Titel zu ändern. Man stört sich an dem Begriff „Ordnung“ und „pragmatisch“. 62 „Unterstützer*innen“ gibt es bereits. Es geht also schon gut los. „Ordnung“ soll durch „Rechtsstaatlichkeit“ ersetzt werden, der Ausdruck „pragmatisch“ gleich ganz gestrichen werden. Es ist schwer vorstellbar, dass aus diesen Querelen dann ein klares und entschlossenes politisches Signal wird.

Im Antragsgrün findet sich außerdem ein offener Brief einiger Kreisverbände, der einen direkten Angriff auf den Parteivorstand formuliert. Laut FAZ lautet die Anklage, die Grünen seien von einer Partei „für echte Veränderungen“ zu einer „Werbeagentur für schlechte Kompromisse“ geworden. So richtig konstruktiv wirkt so eine Anschuldigung nicht, zumal in der Philippika als Fehlentscheidungen nicht nur die Beschlüsse in der Migrationspolitik aufgeführt werden, sondern gleich „Lützerath“ und auch die 100 Millarden für die Bundeswehr. Damit stellen die wütenden Basis-Grünen längst als geeint geltende Entscheidungen wieder in Frage. 

50 vorformulierte Sätze zur Migration

Karlsruhe liegt bekanntlich in Baden-Württemberg. Und im Ländle regiert der einzige grüne Ministerpräsident. Doch aus dem einzigen grünen Star ist längst das Symbol der parteiinternen Entfremdung geworden. Man habe sich auseinandergelebt und da sei „gegenseitiges Unverständnis“, schreibt die Grünen-Kennerin Johanna Henkel-Waidhofer in der Wochenzeitung Kontext

Einer von Kretschmanns potentiellen Nachfolgern ist der Stuttgarter Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz, der intern als etwas zu harmoniebedürftig gilt. Er hat an alle seine Fraktionsmitglieder eine Mail verschickt mit dem Betreff: „Eilt: Wording Migration / TV Interviews.“ Es kann nur als Verzweiflungstat gewertet werden. Denn die nun so uneinigen Grünen mittels 50 vorformulierter Sätze auf Linie bringen zu wollen, wird sicher den Unmut eher anfachen als das Feuer löschen. Die Sprachbausteine schwanken dabei zwischen Banalität und Zirkelschluss. Der erste Mustersatz lautet vielversprechend: „Für die Anliegen der Menschen habe ich vollstes Verständnis.“ Für solche grünen Aufsageverse werden die Abgeordneten sicher dankbar sein . 

 

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Die tragischste Figur in der aktuellen Inszenierung des grünen Trauerspiels ist unterdessen Tarek Al-Wazir. Der hessische Grüne hat zehn Jahre lang in Wiesbaden ein Bündnis mit der CDU geführt. Mit dem erfahrenen stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir fehlt der Partei künftig eine wichtige Machtbasis des pragmatischen Flügels. Zudem wurde der Realpolitiker von CDU-Ministerpräsident Boris Rhein mit seinem Partnerwechsel zur SPD derart gedemütigt, dass dies Aufwind für die linkeren und ideologischen Kräfte in Hessen und anderswo sein wird. Schwarz-Grün als Zukunftsmodell bekommt Kratzer, das haben sich einige in der CDU so gewünscht, das bleibt aber eben auch für die Grünen nicht ohne Folgen. 

Wie grundlegend die Krise ist, hat der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz , ebenfalls eine grüne Nachwuchshoffnung, in Stuttgart erkannt. „Wir Grüne müssen uns schon auch mal selbstkritisch fragen, warum uns einige Koalitionspartner nicht mehr als moderne Kraft der Veränderung, sondern offenbar mehr als eine Art Belastung in schwierigen Zeiten wahrnehmen“, schreibt er auf einer Onlineplattform. Doch wer will so etwas schon gerne hören?

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