Wochen der Wahrheit für die Grünen - Die Grenzen medialer Gehirnwäsche

Angetreten, das Land radikal umzubauen, müssen die Grünen nun zur Kenntnis nehmen, dass Olaf Scholz seine Partei vielleicht doch nicht endgültig gegen die Wand fahren will. Da nutzt der Öko-Partei auch die große Unterstützung angeblicher Qualitätsmedien nichts.

Haben schon bessere Zeiten gesehen: Die Grünen / picture alliance
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Die Vermutung der Grünen, die Unterstützung durch gerade einmal jeden neunten Wahlberechtigten am 26. September 2021 gebe ihnen das Recht, das Werk von Angela Merkel zu vollenden und die Bundesrepublik sowie die dort schon länger Lebenden vollends zu verarmen, zu chaotisieren, zu deindustrialisieren, immobil zu machen, kurzum: zu ruinieren, hat sich in den vergangenen sechs Wochen als vollends unzutreffend herausgestellt. Beweise dafür gab es schon länger, aber es brauchte erst eine neuerliche Kette von Ereignissen, es ihnen ausreichend deutlich vor Augen zu führen. 

Die Wochen der Wahrheit begannen am 12. Februar mit der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, irrtümlich von den Grünen zuvor als mühelos zu gewinnendes Heimspiel eingeschätzt, setzten sich fort in einem nationalen Aufschrei über Robert Habecks Herumgestümper an der künftigen Ausstattung aller privaten und öffentlichen Gebäude mit einer Heizungsanlage, ein Aufschrei, an dem hinterher, so Habeck, natürlich nur das Fehlen einer „gemeinsamen Umsetzungsgeschichte“ schuld war, unzureichendes Framing also und Mangel eines positiven Engagements der Medien. 

Das wiederum gab dem auch inhaltlich verunglückten Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ den Rest, was schließlich am vergangenen Mittwoch nach 30-stündigem Streit mit SPD und FDP in eine offensichtlich wiederum völlig unerwartete Niederlage innerhalb der eigenen Ampel-Koalition mündete. Jene relativierte sich soeben in der Heizungsfrage, nachdem der Bundeskanzler Mitleid mit Robert Habeck entwickelt hatte und ihn nicht zu lange mit leeren Händen dastehen lassen wollte. 

Insgesamt müssen die Grünen aber erschrocken zur Kenntnis nehmen, dass Olaf Scholz seine Partei vielleicht doch nicht endgültig gegen die Wand fahren will. Das mag unerwartet sein, ist aber bereits durch die Ereignisse in der einst übermächtigen SPD von Nordrhein-Westfalen hinreichend erklärlich, deren Niedergang in freien Fall übergegangen ist. Zu Details schaue man auf den Rücktritt von Thomas Kutschaty als Chef von Landespartei und -fraktion, so dass die NRW-Genossen am Ende dieser Woche allseits führungslos dastehen und die erste Umfrage (Forsa vom 30. März) sie bereits bei nur noch 20 Prozent sieht, während die CDU von Hendrik Wüst mit 38 Prozent einen Höhenflug erlebe.  

Wahrheitswidriges von Spiegel, taz, rbb

Jedesmal ist die Rolle der links-grünen Medien ein Trauerspiel für sich. Konsequent zeichnen sie ein falsches Bild von der Wirklichkeit – und SPD und Grüne sind immer wieder einfältig genug, darauf hineinzufallen. So behauptete der Spiegel noch wenige Tage vor der NRW-Landtagswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU in dieser „kleinen Bundestagswahl“. Tatsächlich lag die CDU mit einem zu diesem Zeitpunkt noch alles andere als etablierten Spitzenkandidaten am Ende neun Prozentpunkte vor der SPD, die seither die Welt nicht mehr versteht, während die Grabrotation von Johannes Rau, geschickt an einen Generator angeflanscht, mühelos eine Ruhrgebiets-Kleinstadt mit Energie versorgen könnte.

Ähnlich hochwertig die Vorhersagen der „Qualitätsmedien“ vor der Berliner Wahl. Unter anderem der öffentlich-rechtliche rbb sprach den Grünen eine solide Chance zu, mit SPD und CDU gleichzuziehen. Am Ende blieb es bei Platz 3, weil sie ein weiteres Mal über ihre Stamm-Klientel im Zentrum nicht hinauskamen und im Ostteil in einigen Wahlbezirken mit gerade noch 3,5 Prozent (bei punktuellen Extremwerten für die AfD) regelrecht untergingen. SPD-Sympathisanten blieben zuhause oder wanderten ab – und die CDU zog in einem fetten Ring um Kreuzberg-Friedrichhain-Mitte herum davon.
 

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Genauso daneben die Prognosen der taz vor dem Volksentscheid. Noch am Tag vor der Abstimmung faselte sie etwas von einem „guten Klima für Veränderung“. Schlagzeile: „Die Chance, dass es klappt, ist gross“; schliesslich seien die Berliner scharf darauf, ihre Stadt „zu einer der fortschrittlichsten Klimaschutz-Metropolen der Welt“ zu machen. Nein, das sind sie nicht.

Erschüttert mussten die Initiatoren, ihre Unterstützer und ihre millionenschweren Geldgeber daher zur Kenntnis nehmen, dass die dezidierten Gegner des großartigen Sieben-Jahres-Plans fast genau so stark waren wie die Befürworter, die Kontrahenten gerade einmal zwei Prozentpunkte auseinander lagen, und dies, obwohl von einer Gegenkampagne, die über einige Statements von Skeptikern hinausging, keine Rede sein konnte. 

Schuld war der Landeswahlleiter

Die nächste falsche Behauptung der sogenannten Klimaschützer hart an der Grenze zur bewussten Lüge folgte noch am selben Abend: Sie seien ja lediglich an der Weigerung des Landeswahlleiters gescheitert, die Abstimmung mit der Wahlwiederholung vom 12. Februar zusammenzulegen, wie es „50 Organisationen und Personen des öffentlichen Lebens“ im November vom Senat verlangt hatten. Mit dieser Erklärung machen die Klimaretter sich und anderen wiederum nur etwas vor – wider besseres Wissen, wie jeder Blick in die Analysen nach der Wiederholungswahl und nach dem Klima-Entscheid zeigt. 

Bereits eine minimale Mobilisierung der Gegner des Volksentscheids genügte, um fast Gleichstand mit den Befürwortern zu erreichen – Vorsprung „Ja“ lediglich 20.000 Stimmen. Mit einer gut doppelt so hohen Beteiligung – etwa 62 Prozent (wie bei der Wahlwiederholung) anstelle von lediglich 30 Prozent – wäre die Initiative nach allem, was man heute wissen kann, erst recht gescheitert, dann aber nicht an der Verfehlung des Quorums, sondern an den ausdrücklichen Nein-Stimmen.

Einfach, weil die Unterstützer ihr Potential am vergangenen Sonntag logischerweise schon viel weitgehender ausgeschöpft haben als die Skeptiker und Kritiker, denen „Klimaneutralität“ 2045 – dabei bleibt es nun, was ebenfalls schon ambitioniert ist – anstelle von 2030 angesichts der gigantischen Folgekosten nicht unbedingt als verbrecherischer Anschlag auf den Planeten erscheint. 

Nächster Rückschlag „Selbstbestimmungsgesetz“

In einer wirklich breiten Diskussion wäre zudem der Fakt, dass selbst der rot-grün-rote Berliner Senat das Zieljahr 2030 als „unrealistisch“ bezeichnet hatte, wobei er sich auf zahlreiche Wissenschaftler stützte, viel stärker zur Geltung gekommen. Dieser Vorstoß war so oder so zum Scheitern verurteilt, weil er schlicht Murks war – und Kleine-Leute-verachtend. 

Kleiner Tipp: Im Streit um das künftige „Selbstbestimmungsgesetz“ lauert für die Grünen und die von ihr mit immer mehr Steuergeld subventionierte Transgender-Lobby in wenigen Tagen die nächste große Enttäuschung, weil das Ergebnis meilenweit entfernt von ihren Maximalforderungen ausfallen wird, mit denen sie, wie in der Klima-Frage angestachelt, ja aufgehetzt von denselben Qualitätsmedien und öffentlich-rechtlichen Anstalten, über Jahre hinweg völlig unrealistische Erwartungen aufgebaut und Ansprüche erhoben haben. 

Am Ende ist wahrscheinlich wieder der Bundeskanzler schuld, weil er sich weigerte, gegen den Widerstand eines FDP-Justizministers voll ausgestatteten Herren freien Zugang zu Frauen-Wettbewerben, Frauensaunen, Frauen-Umkleiden und sogar Frauenhäusern durchzusetzen.     

Und wenn CO2 gar nicht der Schlüssel ist?

Das alles führt zu der Frage, was radikale Aktivisten, Linke und Grüne und die Qualitätsmedien vorneweg und hintendran eigentlich so attraktiv daran finden, nicht nur die Öffentlichkeit, sondern am Ende auch sich selbst mit vorsätzlich falschen Behauptungen, Szenarien, Drohungen, Warnungen, Erklärungen, Forderungen und Analysen wieder und wieder in die Irre zu führen und zu täuschen, obwohl nicht einmal die Überschreitung der Grenze von der Propaganda zur systematischen Gehirnwäsche noch etwas bringt, wenn das Ergebnis doch regelmäßig auch ihnen selbst niederschmetternd anmuten muss. 

Dieses Leben und Wirken in einer Blase ignoriert und vernichtet nicht nur alle Erfolge der europäischen Aufklärung, deren Kern der Zweifel ist und eben nicht die Unfehlbarkeit, das empirisch belegbare und reproduzierbare Wissen und nicht der Glaube, was jedes Mal aufs Neue auch Glaubwürdigkeit und Ansehen kostet. Zwei Faktoren, mit denen es sowieso nicht mehr so weit her ist.   

Selbst wenn man einen unnatürlichen Klimawandel unterstellt und diesen als menschengemacht identifiziert, heißt das noch lange nicht, dass der Hebel im Kohlendioxid liegt und nirgendwo sonst, also alle Ressourcen vernünftigerweise auf eben diesen Bestandteil der Atmosphäre zu konzentrieren seien. Letztlich läuft dieses Mantra auf die strikte Verweigerung des Umstands heraus, dass auch Deutschland jeden Euro nur einmal ausgeben kann.  

Unverändert diskussionswürdig

Sollte irgendwann ein Asteroid auf die Erde zurasen, gäbe es außerhalb einiger Spinner- und Esoterikerkreise sowie Donald Trump und seinen Followern keine große Debatte, dass es unverzüglich darum gehen muss, ihn möglichst noch rechtzeitig mittels einer Sonde von seiner Bahn abzulenken, wie es die NASA am 27. September 2022 mit ihrem Projekt „DART“ und überraschend großem Erfolg getestet hat. Ob aber „Klimaneutralität“ (noch) etwas bewirkt und vor allem wann und in welchem Umfang, ist demgegenüber unverändert fraglich und, hört man führenden Klima-Modellierern genau zu, auch unter Experten weltweit durchaus umstritten, jedenfalls unverändert diskussionswürdig. 

Endgültige Wahrheiten gibt es hier genauso wenig wie in anderen Bereichen der Forschung, so oft dies auch immer wieder von interessierter Seite mit reichlich Schaum vor dem Mund unter Hinweis auf angebliche Mehrheitsverhältnisse („99 Prozent der Wissenschaftler“) behauptet wird. Minimale Änderungen am Ausgangs-Parameter X führen, das liegt in der Natur der Sache, zu gravierenden, manchmal sogar gegenteiligen Folgen für das Ergebnis Y. In hochkomplexen Systemen, etwa einer modernen Industriegesellschaft oder erst recht der terrestrischen Atmosphäre, gilt das in extremer Weise. 

Siso-Gesetz: Shit in, shit out

Robert Habeck selbst ist dafür ja nach nicht einmal eineinhalb Jahren als Minister das beste Beispiel: Jedes Mal, wenn er auch nur einen einzigen Ausgangsparameter in einem seiner gesellschaftlichen Großexperimente ändert, wundert er sich wenige Tage später über ein Ergebnis, mit dem er nie im Leben gerechnet hatte. Anschließend kann das Publikum ihm dann beim Denken zusehen, wie es wohl passieren konnte, dass es ganz anders kam als von ihm erwartet. Das immerhin geschieht dann vor laufenden Kameras so langsam und in leichter Sprache, dass es wirklich jeder mitkommt. Inklusion in seiner schönsten Form. Irgendwann will man das aber nicht mehr sehen, so „spannend“ es anfangs auch gewesen sein mag, weil er die von ihm verursachten Rechnungen ja nicht selbst bezahlt, sondern weiterreicht an die Allgemeinheit. 

Geht es demgegenüber – anders als bei Habeck, der bis heute das Wesen einer Industriegesellschaft nicht verstanden hat, was dann regelmäßig zu hektischen Reparaturversuchen führt – um riesige Datenmengen, gilt erst recht das Siso-Gesetz: Shit in (bei der Dateneingabe) führt zu shit out. Ohne dass man dem Daten-Eingeber daraus in allen Fällen einen Vorwurf machen könnte – er muss sich dieser Tatsache aber stets bewusst sein, was ernstzunehmende Klimaforscher mit ihren leistungsstärksten Rechenmaschinen der Welt auch sind. 

Genau das ignorieren oder bestreiten aber dieselben Leute, die vor kurzem noch fasziniert waren von der These, der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien könne einen Tornado in Texas auslösen. Eine schöne Idee, aber auf absehbare Zeit wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise beweisbar. Korrelation und Kausalität (was passiert gleichzeitig, ohne dass das eine Voraussetzung für das andere ist – oder eben doch?) zu unterscheiden, ist dabei eine stete Herausforderung.  

Mittelalterlicher Unfehlbarkeitsanspruch

Insofern ist jede dogmatische Festlegung auf ein einziges Ursache-Wirkung-Muster das Gegenteil von „Follow the Science“ („Folge der Wissenschaft“), sondern näher an Religion und Sekte, die jede Skepsis mit Verfolgung bestraft. Dieser mittelalterliche Unfehlbarkeitsanspruch der Klima-Aktivisten ist nicht nur zunehmend nervig, sondern sehr gefährlich, weil er die Suche nach der –unter den gegebenen Umständen und mit den gegebenen Möglichkeiten – besten Lösung rigoros zu beenden versucht, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. In der Klima-Frage, schöne Grüße von Galileo Galilei, darf sie erst recht niemals für abgeschlossen erklärt werden. 

Die Niederlagenserie der Grünen und der sie unterstützenden und antreibenden Anhänger ist umso bemerkenswerter, als sie stattfindet in einer medialen Großwetterlage, in der Propaganda nicht mehr genügt, sondern die Agitation – wie gesagt – bereits in die Phase der Gehirnwäsche eingetreten ist, die an dieser Prioritätensetzung keinen Zweifel mehr duldet. 

Das Besuchsprogramm, das sich der Bundespräsident für König Charles III. ausgedacht hat, ist dafür ein prominentes Beispiel: Niemand ist anständiger, ökologischer, geschichtsbewusster und weltrettender als wir. In ihrer Ballung verfehlt diese Programmatik ihr Ziel, wirkt im Gegenteil langsam sogar herablassend gegenüber dem Rest der Welt, die sich fragt, ob diese Germans wirklich glauben, ihre Sonderrolle täglich immer wieder aufs Neue betonen zu müssen. Vernunft und Augenmass, gar so etwas wie Demut und Bescheidenheit anzumahnen und Fragen zu stellen, gilt in einem solchen medialen und politischen Klima ernsthaft als „rechts“.   

Denken in Alternativen streng verboten

Dass eine radikale und baldmöglichst vollständige Reduzierung des CO2-Ausstosses die Erde nicht retten kann, sondern ein ausgewogener Maßnahmen-Mix vielleicht eine klügere Schlussfolgerung aus den Wetterphänomenen und Klimaprognosen wäre, wird nicht einmal mehr als theoretische Möglichkeit anerkannt. Jeder, der sich den gängigen Theorien nicht komplett unterwirft, als Politiker, Wissenschaftler oder Mensch, hat seine Bürgerrechte und sein Ansehen verwirkt – bis hin zu Karriere-Aus und öffentlicher Ächtung. 

Verweigert sich gar eine ganze Hauptstadt der Anbetung ihrer Klima-Religion, rasten Aktivisten wie der ZDF-Meteorologe Özden Terli, an dem ein autoritärer preußischer Oberlehrer verloren gegangen ist, vollends aus und sehnen die gerechte göttliche Strafe herbei, um bloß recht zu behalten, denn schon die nächste Überschwemmung, die nächste Windstärke 12 geht auf das Konto der Verweigerer:   

„Wer mit „nein“ gestimmt hat, hat mit „ja“ zu Extremwettern jeglicher Art zugestimmt. Bitte, dann nicht beschweren wenn es übel wird. Glückwunsch ganz toll, gaaaaanz toll gemacht!“ (Stilistischer Unfall und Interpunktion wie im Original) 

Reaktion des FDP-Politikers Jan Mücke, ehemaliger Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, ebenfalls auf Twitter:

„Unfassbar diese Stellungnahme. Offene Missachtung einer demokratischen Volksabstimmung. Und das vom Sender mit der Demokratieabgabe.“

Bundesverkehrsminister als Goebbels

Abgedriftet nach den nicht wunschgemäß verlaufenen Koalitionskrisenklausuren ist auch die taz mit einer Zeichnung, die wohl eine Karikatur werden sollte: Verkehrsminister Volker Wissing mit Hakennase als Propagandaminister Joseph Goebbels. Anstelle einer Hakenkreuz-Armbinde verpasste ihm Mathias Hühn eine mit Autobahn-Symbol, was aber keineswegs als Abschwächung missverstanden werden sollte, besteht für die taz zwischen einer Autobahn und einem NS-Folterkeller 90 Jahre später offensichtlich kein wesentlicher Unterschied mehr. 

Einen FDP-Politiker auf diese Weise zum Abschuss freizugeben, ist damit für solche Leute kein Problem. Erst wütender Protest konnte die beiden taz-Chefredakteurinnen veranlassen, ihre Illustration im Stürmer-Stil im Laufe des Tages aus dem Verkehr zu ziehen: Sorry, hätte nicht passieren dürfen, war ja auch kontraproduktiv für unsere gerechte Sache. 

Wenn die Menschheit und ihre Politiker nicht endlich meine Forderungen erfüllen, dann haben sie es nicht verdient, zu überleben: Das war die Botschaft der Greta Thunberg im September 2019 auf dem UN-Klimagipfel in New York. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte sie sich zum Entzücken von SPD, Grünen und Linken zu eigen, obwohl gerade Merkel diese durch und durch totalitäre Haltung hätte zu denken geben müssen. 

Stattdessen ließ sie ein Foto verbreiten, wie die damals 16-Jährige der andächtig lauschenden deutschen Regierungschefin eine Audienz gibt. An diesem fundamentalen Fehler leidet die deutsche Klima- und Umweltpolitik bis heute, wenn sie nicht auf die Kraft des besseren Arguments setzt, sondern auf Befehl und Gehorsam. Und wer nicht spurt, der stirbt halt aus und das geschieht ihm auch ganz recht.

Letzter Dampf aus dem Kühlturm

Einen nicht zu unterschätzenden Vorteil hat freilich das großflächige Gejammer der Grünen über die Gemeinheit der anderen: Von der Tatsache, dass in zwei Wochen auch die letzten drei deutschen Atomkraftwerke ohne Sinn und Verstand abgeschaltet werden sollen, konnten sie damit prima ablenken. Bis auf Weiteres ist deshalb demnächst Schluss mit Sicherstellung von Grundlast-Strom, wie in der Süddeutschen Zeitung diese Woche am Beispiel des letzten verbliebenen bayerischen Atomkraftwerks zu lesen war:

„Laut Isar-2-Standortleiter Carsten Müller werden am Samstag, 15. April, erst einmal die Regler runtergefahren, um die Leistung des Kraftwerks nach und nach zu reduzieren, bis um 23.30 Uhr kein Strom mehr ins Netz eingespeist wird. Danach werde der Reaktor runtergefahren und abgeschaltet, "da gibt es diesen berühmten roten Knopf", sagt Müller. Dann ist Ende, auch wenn am Sonntag, 16. April, noch eine Weile Dampf aus dem Kühlturm steigen wird.“          

Ein Wiederaufflammen dieser Diskussion, so notwendig sie auch wäre, fand zur Erleichterung der Grünen nicht statt. Nicht einmal die Union traute sich, hier noch einmal initiativ zu werden. Sie hält wie die FDP die Atomkraft für ein Verliererthema, für das es sich nicht mehr zu verkämpfen lohne. Das könnte sich schon bald als weiterer Irrtum herausstellen, handelt es sich beim europäischen Stromnetz doch ebenfalls um ein hochkomplexes System, das zu unerwarteten Reaktionen neigt, wenn ideologisch verblendete Amateure gegen das Votum von Ingenieuren an Stellschrauben herumfummeln, von deren Wirkung auf das Gesamtsystem sie nichts verstehen.

Ups, damit hat doch niemand rechnen können? Diese Ausrede, das ist gewiss, wird im Falle eines Blackouts schlechter als schlecht funktionieren. Dafür wenigstens haben die Auseinandersetzungen der letzten Jahre hinreichend gesorgt. Wenn eine Regierung trotzdem bewusst ein solches Risiko eingeht, sagt das alles über ihren Charakter.


Raphael M. Bonelli im Podcast: „Die Realität wird tabuisiert“

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