Änderung des Grundgesetzes - Rassismus ohne Rassismus

Am Mittwoch stoppte die Unions-Fraktion das Vorhaben, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Alternativ sollte dafür die Formulierung „aus rassistischen Gründen“ verwendet werden. Doch wie zielführend ist diese Debatte überhaupt?

Artikel 3 des Grundgesetzes: Gleichheit vor dem Gesetz / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Jetzt ist sie also erst einmal vom Tisch: die Änderung des Artikel 3 des Grundgesetzes. Dort heißt es, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf. Eigentlich ist an dieser Formulierung wenig auszusetzen. Könnte man meinen.

Aber wir leben in Zeiten, in denen selbst wohlmeinende Formulierungen mit noblen Absichten schnell unter Beschuss geraten. Entsprechend formiert sich seit Jahren Widerstand gegen die Verwendung des Wortes „Rasse“ in besagtem Artikel. Im vorigen Sommer traten die Grünen mit einem eigenen Formulierungsvorschlag an die Öffentlichkeit. Kurz darauf folgte der Stadtstaat Hamburg mit einer Bundesratsinitiative. Dann nahm sich die Bundesregierung der Sache an. Am Mittwoch stoppte die Unions-Fraktion das Vorhaben.

Einfach alles durchwinken

Eines ist klar. Wer über Rasse diskutiert oder auch nur über den Ausdruck „Rasse“, betritt vermintes Gelände. Wer nicht Gefahr laufen will, am Ende des Tages als Rassist dazustehen, ist gut beraten, einfach alles durchzuwinken, was einschlägige Initiativen, Aktivisten und Parteien fordern. Doch Politik sollte nicht aus Opportunismus bestehen, sondern aus guten Argumenten.

%paywall%

Das gilt insbesondere bei einer Änderung des Grundgesetzes. Denn dem kommt nolens volens eine Schlüsselstellung für unser Gemeinwesen zu. Kleine Änderungen können hier über die Rechtsprechung eine bedeutende Wirkung entfalten. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz ist dafür ein gutes Beispiel.

Rassisten der Moderne

Im Wesentlichen gibt es zwei Argumente, die die Befürworter der Streichung des R-Wortes aus dem Grundgesetz anführen: Erstens: Der Begriff „Rasse“ sei unwissenschaftlich und Produkt einer rassistischen Wissenschaft. Dabei werden zumeist Genetiker zitiert, die zu Protokoll geben, dass es genetisch gesehen keine Menschenrassen gäbe. Diskussion beendet.

Doch jetzt wird’s heikel. Denn Rassen werden eben nicht über den Genotyp, sondern über den Phänotyp definiert. Eine Rasse ist, evolutionsbiologisch, die Zusammenfassung phänotypisch ähnlicher Populationen einer Art. So sind – nur als Beispiel – Charolais oder Angus Rassen beziehungsweise Subspezies der Art Hausrind der Gattung Rind.

Natürlich gilt: Keine phänotypische Unterscheidung ohne genotypische Differenz. Doch die ist mit Blick auf das Ganze des Genoms irrelevant. Erst die Rassisten der Moderne haben behauptet, dass verschiedene Phänotypen Rückschlüsse auf höherstehende oder minderwertige Genotypen erlauben. Das aber war eine rassistische Umdeutung des Begriffs „Rasse“. Der meint lediglich: Es gibt Menschenpopulationen mit phänotypischen Unterschieden.

Meinungen aussperren

Also bemüht man ein zweites Argument, um den Ausdruck „Rasse“ aus dem GG zu streichen: seine angeblich rassistische Konnotation. Ersetzt werden sollte er daher durch die Formulierung „aus rassistischen Gründen“. Man kann sich über diese Formulierung lustig machen. Aber sie trifft den Kern des Anliegens im Grunde sehr gut: das Verbot von Diskriminierung aufgrund rassistischer Ideologien – unabhängig von der empirischen Diskussion, ob es nun Rassen gibt oder nicht. Die nun gescheiterte Initiative der Bundesregierung ging daher in die richtige Richtung. Im Grunde. Doch es gibt ein Problem: Die Definition von „rassistisch“.

Anfang der 90er-Jahre prägte der französische Philosoph Étienne Balibar die inzwischen in einschlägigen Kreisen allpräsente Formulierung vom „Rassismus ohne Rasse“. Der Grundgedanke: Rassistische Diskurse würden im modernen Europa nicht mehr offen rassistisch geführt, sondern kulturalistisch. Etwa, indem man verschiedene Kulturen, beispielsweise die christliche und die muslimische, für unvereinbar erkläre. Seitdem kann man auch Rassist sein, ohne Rassist zu sein. Zum Beispiel, indem man auf eine Leitkultur pocht. Oder auf kulturelle Identität.

Und genau hier beginnt das Problem. Denn wenn auch Aussagen als rassistisch gelten, die gar nicht rassistisch sind, dann wird die Formulierung „aus rassistischen Gründen“ zu einem scharfen Schwert, um alle unliebsamen Meinungen aus dem Verfassungsbogen auszusperren. Dass sogar ein Horst Seehofer dieses Spiel mitspielen wollte, sagt viel über den Zustand der Unionsparteien. Dass die Unions-Fraktion dieses Vorhaben gestoppt hat, lässt hoffen. Zumindest bis zu den kommenden Koalitionsverhandlungen.

Anzeige