Große Koalition in Berlin - Mit Giffey wird die Parteilinke noch abrechnen

Keine Experimente, mehr Sicherheit und eine Stadt mit sozialem Antlitz: So soll er aussehen, der politische Kurs der Großen Koalition in Berlin. Dass Franziska Giffey dafür ein bürgerliches Bündnis geschmiedet hat, werden ihr ihre Gegner in der Berliner SPD nicht verzeihen.

Franziska Giffey und Kai Wegner / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Moritz Eichhorn leitet das Politikressort der Berliner Zeitung. Er studierte Intl. Beziehungen und Pol. Philosophie in Großbritannien, publizierte unter anderem bei Vice und der Financial Times und war Politikredakteur bei der FAZ.

So erreichen Sie Moritz Eichhorn:

Anzeige

Es ist die große Ironie des Berliner Wahlfinales, dass Franziska Giffey abtreten musste, damit ihre politische Vision Wirklichkeit werden konnte – umgesetzt von einem Regierenden Bürgermeister der CDU. Tatsächlich ist der schwarz-rote Koalitionsvertrag, dem die SPD-Mitglieder nun mit 54 Prozent zugestimmt haben, nämlich kein Kompromiss zwischen SPD- und CDU-Inhalten. Es ist der Kompromiss zwischen Positionen der CDU auf der einen und von Linken und Grünen auf der anderen Seite. Er ist das, womit Franziska Giffey 2021 antrat: keine Experimente, klare Kante bei der Sicherheit und eine Stadt mit sozialem Antlitz.

Aber wie hoch der Preis ist, den Giffey dafür zahlen muss, ist noch nicht ausgemacht. Denn ihren Verzicht auf das Rote Rathaus rechnet sich zwar die erste ostdeutsche Frau an dieser Stelle hoch an – so wie viele Konservative und Bürger der Stadt es tun. Doch bei den Gegnern in ihrer Partei gibt es dafür wenig Anerkennung. Sie sehen den Schritt als Verrat, und Giffey soll zahlen. So sind auch die ersten Rufe aus Kreisen der Jusos nach einer Trennung von Staats- und Parteiamt zu verstehen.

Austrittsankündigungen sind noch keine Austritte

Die Mitgliederbefragung hat noch einmal deutlich gezeigt: Die SPD ist eine gespaltene Partei mit knapper bürgerlicher Mehrheit, während ein Großteil der Funktionäre auf stramm linkem Kurs fährt. Auf Twitter häufen sich derzeit die Ankündigungen von SPD-Mitgliedern, sie würden die Partei verlassen. Kai Wegner sei ein Rassist und so weiter. Ob sie es wirklich tun, darf bezweifelt werden. Denn dann hätten sie natürlich auch keinen Einfluss mehr. Bald schon werden wir hören, alle müssten bitte bleiben, um beim Parteitag dieses und vor allem nächstes Jahr – wo die Landesvorsitzenden neu gewählt werden – eine Kurskorrektur vorzunehmen.
 

Mehr zum Thema Berlin:


Giffeys Gegner lassen sich nicht dadurch überzeugen, dass der neue Koalitionsvertrag eine „sozialdemokratische Handschrift“ trägt, wie von der Parteiführung und den Unterstützern aus dem SPD-Establishment im Rahmen der #BesserMitUns-Kampagne unentwegt beteuert wurde. Denn es ist eine Sozialdemokratie in der Lesart von Franziska Giffey. Es ist nicht die Sozialdemokratie der Mietendeckel, Enteignungen, Fahrradstraßen und Binnen-I-Genderer.

Diese großen Teile der Berliner SPD hatten noch nie Lust auf bürgerliche Politik. Sie wollten Franziska Giffey benutzen, um Wahlen zu gewinnen, Rot-Grün-Rot fortzusetzen – und natürlich, um weiter auf ihren Posten zu bleiben. Inhaltlich aber sollte sich nichts ändern. Ohnehin ein aberwitziges Vorhaben angesichts des sinkenden Sterns der SPD nach mehr als 20 Jahren Regierungsverantwortung.

Die Rechnung ohne den eigenen Dilettantismus gemacht

Doch sie hatten die Rechnung ohne ihren eigenen Dilettantismus gemacht. Zuerst durchkreuzte das singuläre Versagen bei der Wahl 2021 die Pläne einer anschlussfähigen Spitzenkandidatin für die Wähler und des rot-grün-roten Weiter-so der Funktionäre. Und nach der Wahlwiederholung scheiterten sie an den Grünen, die sich zu sicher wähnten, die Regierende entmachten zu können, und einer SPD-Vorsitzenden, die nicht bereit war, das gleiche Spiel noch einmal zu spielen.

Das Ergebnis des Mitgliederentscheids zeigt eine Partei, die nicht mehr richtig auf die Berliner Landkarte passt. Während die CDU mit ihren bieder-bürgerlichen Positionen in den Außenbezirken dominiert und die Grünen den ultraprogressiven Kern vertreten, versucht die SPD, außen das eine und innen das andere zu sein. Der Kampf darum, was die Berliner SPD in Zukunft sein wird, ist mit diesem Ergebnis aber keinesfalls beendet, wenn 46 Prozent der Mitglieder einer De-facto-Umsetzung des SPD-Wahlprogramms Rot-Grün-Rot oder sogar den Gang in die Opposition vorziehen. Diese Teile der SPD wollten ihre eigene Partei durch Grüne und Linke einhegen.

Wenn die SPD Giffey kaputt kriegt, gewinnt nur Wegner

Freuen kann sich über die Zerrüttung der Sozialdemokraten hingegen Kai Wegner. Denn eine zerstrittene SPD mit einer belagerten Franziska Giffey wird in dreieinhalb Jahren eine sehr viel schwächere Konkurrenz sein. Giffey hätte eigentlich gar nicht so schlechte Chancen. Sie könnte im nächsten Wahlkampf stets behaupten, sie habe ja für das Wohl der Stadt zurückgesteckt und nun zeige sich, die CDU könne es auch nicht besser. So ist auch ihre Entscheidung für das Wirtschafts- anstelle des Bauressorts zu verstehen. Im Bauressort lässt sich kein Blumentopf gewinnen. Die Wirtschaft brummt.

Giffey scheint das zu wissen und gibt derzeit wenig auf die Partei. Im Interview mit der Berliner Zeitung kündigte sie kürzlich bereits an, 2026 wieder kandidieren zu wollen. Das aber entscheidet die SPD. Dass die Partei bis dahin eine andere adäquate Kandidatin aufbauen könnte, ist illusorisch. So brauchen sie einander, und wenn einer scheitert, scheitern die anderen auch.

In Kooperation mit:

Anzeige