Landtagswahlen im Osten - Erlebt Deutschland bald seinen Wilders-Moment?

Solange Parteien vom rechten Rand nur maximal zweitstärkste Kraft werden, lassen sie sich von der etablierten Politik noch gut wegbeißen: durch Mehrheitsbeschaffung in den Parlamenten. Was aber, wenn eine AfD, wie nun die PVV in den Niederlanden, wirklich stärkste Kraft wird?

Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst von Geert Wilders / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Der Spitzenkandidat des rot-grünen Bündnisses in den Niederlanden, der ehemalige EU-Kommissar Timmermans, ruft seine Landsleute jetzt zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat auf. Anlass ist der triumphale Wahlsieg des niederländischen Rechtsaußen Geert Wilders bei der jüngsten Parlamentswahl. Als Wahlsieger formuliert Wilders selbstredend einen Regierungsanspruch. Was auch sonst? Und Timmermans gefällt das gar nicht

Seit 20 Jahren mischt Wilders die niederländische Politik auf, ist also alles andere als ein Neuling im politischen Geschäft. Doch bisher wurde Wilders mit seinen wasserstoffblonden Haaren und seinen antiislamischen Parolen – obgleich er im Wahlkampf zuletzt etwas mildere Töne angeschlagen hatte – von den etablierten Politikerin insbesondere des linken Spektrums vor allem als Störgeräusch im Parlament empfunden; wenn auch als ein sehr lautes. Nun sieht die Sache anders aus: Das Störgeräusch beansprucht für sich, nach der Parlamentswahl den Ton anzugeben. 

Stärkste Partei im Parlament

Denn Wilders‘ Partei für die Freiheit (PVV) kommt nach den jüngsten Hochrechnungen auf 36 der 150 Sitze in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments, vergleichbar mit dem Deutschen Bundestag. Das wären erstens mehr als doppelt so viele Mandate wie bei der vorherigen Wahl 2021. Und es wären zweitens so viel Mandate, dass Wilders‘ PVV mit Abstand stärkste Partei im Parlament wird. Wilders dürfte das freuen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Niederlande nun vor einem demokratietheoretischen Problem steht, das kommendes Jahr auch Deutschland blühen könnte. Im Osten der Republik nämlich.

Solange eine Rechtsaußen-Partei wie die von Wilders oder das deutsche Pendant, die AfD, nur irgendwo zweitstärkste Kraft werden, lassen sie sich von der Konkurrenz noch gut wegbeißen. Jene Partei, die stärkste Kraft wird, sucht sich einfach einen Koalitionspartner mit weniger Stimmen als der Zweiplatzierte, um in der Summe dann auf die Mehrheit im Parlament zu kommen. Wird eine Partei wie die von Wilders nun in den Niederlanden oder die AfD kommendes Jahr bei einer der Landtagswahlen im Osten (Sachsen, Thüringen, Brandenburg) jedoch stärkste Kraft, sieht die Sache völlig anders aus.  

So durchschaubar wie erfolglos

Die Strategie der vergangenen Jahre im Umgang mit Parteien wie der PVV in den Niederlanden oder der AfD in Deutschland war so durchschaubar wie erfolglos. Man etikettierte sie als antidemokratisch, autoritär und irgendwas-phob, während man für sich selbst freilich beanspruchte, genau das Gegenteil zu sein: demokratisch, liberal, tolerant. Dies gipfelt in Deutschland seit einigen Monaten – keine Ahnung, welcher Politstratege sich den Quatsch schon wieder ausgedacht hat – im permanenten Herunterbeten der Phrase von „den demokratischen Parteien“, von denen Politiker, die nicht der AfD angehören, so inflationär wie selbstreferenziell in Talkshows oder in ihren Reden in den Parlamenten faseln, wenn sie alle Parteien außer die AfD meinen; inklusive der eigenen.


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Die wohlwollende Interpretation dieser schlechten PR-Nummer ist, dass man beschlossen hat, statt auf die AfD lieber auf sich selbst zu zeigen, während man die AfD sozusagen einmal ums Eck attackiert. Die weniger wohlwollende ist, dass die etablierte Politik den Wähler tatsächlich für so manipulierbar hält, dass man durch die permanente Wiederholung genannter Phrase eine Art Gehirnwäsche vollziehen möchte; eine tiefenpsychologische Finte, damit der Bürger am Ende nicht die AfD wählt, weil sein Unterbewusstsein an der Urne dann ruft: „Haaaaalt! Keine demokratische Partei!“ Kann man so machen, wird aber nichts nützen – und, wie auch die restliche Antirechtspopulismus-Strategie der vergangenen Jahre, vielleicht eher das Gegenteil bewirken, wenn das Unterbewusstsein an der Urne dann ruft: „Jetzt erst recht!“ 

Alle-demokratischen-Parteien-Herrschaft

Außerdem stellen sich damit alle Parteien, die nicht die AfD sind, selbst eine Glaubwürdigkeitsfalle und manövrieren sich damit perspektivisch womöglich in ein Dilemma. Denn wer in Abgrenzung zu einer demokratisch wählbaren Partei für sich beansprucht, eine demokratische Partei zu sein, während er dies der einen anderen Partei nicht zugesteht, muss selbstverständlich auch den Wählerwillen respektieren. „Demokratie“ bedeutet schließlich Volksherrschaft, nicht Alle-demokratischen-Parteien-Herrschaft.

Was aber, wenn die PVV in den Niederlanden – wie jetzt geschehen – oder die AfD in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg – stärkste Kraft wird, was kommendes Jahr geschehen könnte? Eine Blockpartei aus Zweit-, Dritt- und Viert-, vielleicht noch Fünftplatzierten basteln? Und wenn ja, was würde das dann eigentlich über das Demokratieverständnis der Blockpartei-Parteien aussagen, wenn sie jene Partei, die stärkste Kraft in einer demokratischen Wahl wird, einfach außen vor lassen? Wird der Selbstanspruch, demokratische Partei zu sein, dann nicht zur hohlen Phrase, wenn auf das Wort die Tat nicht folgt? Oder frei nach Grönemeyer: Wann ist ein Volksvertreter ein Volksvertreter? 

Das Migrationsproblem in den Griff kriegen

Die etablierte Politik in Deutschland hat nicht erst seit der völlig verkorksten, weil verfassungswidrigen Nachtragshaushaltsnummer der Ampel ein veritables Glaubwürdigkeitsproblem. Aber, und das ist die gute Nachricht für die Betroffenen: Die Ampelparteien ebenso wie die Union haben auch noch ein bisschen Zeit bis in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt wird. Auch die EU-Wahlen finden kommendes Jahr statt. Im Jahr drauf folgt dann die nächste Bundestagswahl. 

Insbesondere für die Ampelparteien wäre auf Bundesebene nun Folgendes angezeigt: Das Migrationsproblem in den Griff kriegen (Zahlen runter, Pull-Faktoren auflösen), den Haushalt verfassungskonform gestalten (sinnvoll sparen!), sich von utopischen Projekten wie der Energiewende im grünen Stil ebenso verabschieden wie von postfaktischem Unfug wie dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz – und in der Summe eine Realpolitik im Sinne der deutschen Bevölkerung und der deutschen Wirtschaft machen; kurzum: eine vernünftige Politik. 

Die Union wiederum täte gut daran, ihr Profil zu schärfen, sich dem grünen Zeitgeist konsequent zu entziehen und wieder in die konservative Spur zu finden. Dies gilt insbesondere für jene Christdemokraten, die es immer noch für eine gute Idee halten, das Erbe Angela Merkels zu bewahren. Sonst erlebt Deutschland und erleben damit auch Union, SPD, Grüne und FDP vielleicht schon bald ihren Wilders-Moment.

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