Vorsitzende der Gas-Expertenkommission der Bundesregierung - „Preisdeckel darf den Anreiz zum Gassparen nicht konterkarieren“

Das Kippen der Gasumlage und die Schaffung eines Sondervermögens zur Deckelung der Energiepreise stoßen auf allgemeine Zustimmung. Doch die Gefahr eines Gasmangels ist damit nicht gebannt, warnt die Ökonomin Veronika Grimm.

Energieexpertin Veronika Grimm / dpa
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Veronika Grimm ist seit 2008 Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie ist Vorsitzende der Expertenkommission, die die Bundesregierung in Sachen Gaspreisdeckel berät.

Frau Grimm, die Bundesregierung hat beschlossen, dass die Gasumlage gekippt wird. War diese Entscheidung überfällig?

Die Gasumlage war keine schlechte Idee, aber nicht gut konzipiert. Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist es sehr sinnvoll, dass die Gasumlage nicht kommt und stattdessen zielgerichtete Entlastungsmaßnahmen angedacht werden. Verbraucher werden aktuell zunehmend mit substanziellen Preissteigerungen belastet, die viele Menschen bis in die Mitte der Gesellschaft in große finanzielle Bedrängnis bringen können.

Was waren die Konzeptionsfehler der Gasumlage?

Die Gasumlage war ursprünglich dafür gedacht, Unternehmen zu stützen, die bei Wegfall russischer Lieferungen mit deutlich höheren Beschaffungskosten rechnen müssen und in eine finanzielle Schieflage geraten. Diese Unternehmen müssen das Gas nun aber deutlich teurer auf dem Weltmarkt einkaufen, haben aber bestehende Verträge mit ihren Kunden, die eine Weitergabe der Kosten unmöglich machen. Hier gilt es einzugreifen, um die Insolvenz der Versorger zu verhindern und so die Versorgung der Kunden sicherzustellen.

Allerdings gab es auch Gasversorger, die gar nicht in existenzielle finanzielle Nöte gekommen sind, obwohl sie kein russisches Gas mehr bekamen. Durch die Gasumlage hätten auch diese Unternehmen die hohen Kostensteigerungen auf die Gaskunden abwälzen können. Die Gasumlage konnte offensichtlich nicht so konzipiert werden, dass nur finanziell angeschlagene Gasunternehmen das Instrument der Umlage nutzen können. Das ist letztlich in der aktuellen Lage nicht vermittelbar.

Wie werden die Gasunternehmen dann zukünftig entlastet?

Der Staat steigt direkt bei jenen Unternehmen ein, die in finanzielle Notlagen geraten und die wichtig sind, um die Versorgungssicherheit aufrechtzuhalten. Deswegen gab es den staatlichen Einstieg bei Uniper und anderen systemrelevanten Gasversorgern. Dadurch erübrigt sich die Notwendigkeit für die Gasumlage. Der Fokus sollte nun darauf liegen, die immensen Preissteigerungen in den Griff zu bekommen, die Gasrechnung kann sich aktuell leicht mehr als vervierfachen, wenn man einen neuen Vertrag abschließen muss. Gelichzeitig muss aber Gas gespart werden, um eine Gasmangellage zu vermeiden. Das ist ein herausforderndes Spannungsfeld.

Scholz hat zur Entlastung der Bürger von den hohen Energiepreisen einen Abwehrschirm im Umfang von 200 Milliarden Euro angekündigt. Wird das ausreichen?

Die angekündigten 200 Milliarden Euro haben viele Beobachter zunächst überrascht, da die Summe beeindruckend ist. Man muss aber berücksichtigen: Die Energiekrise wird sich nach derzeitigen Einschätzungen bis mindestens in das Frühjahr 2024 hinziehen und betrifft die Haushalte und die Wirtschaft in der ganzen Breite. Die 200 Milliarden Euro sind eine Summe, die für deutliche Entlastung sorgen kann. Aber es wird nicht ohne begleitende Maßnahmen gehen: Das Energieangebot muss schnellstmöglich ausgeweitet werden, und die Nachfrage muss runter.

Kritiker befürchten, dass hochsubventionierte Energiepreise den Sparanreiz bei Unternehmen und Privathaushalten erlahmen lassen könnten.

Die Sorge ist absolut berechtigt. Die in Europa verfügbare physische Menge an Gas wird in diesem und im nächsten Jahr begrenzt bleiben. Im kommenden Winter kann es zu einer Gasmangellage kommen, wenn wir den Verbrauch nicht ausreichend reduzieren. Insofern muss das Gassparen oberste Priorität haben und muss bei jedem Vorschlag zur Gaspreisbremse berücksichtigt werden. Das ist auch mit Blick auf die Situation in Europa wichtig. Wir dürfen nicht durch nationale Maßnahmen die Angebotssituation in anderen Mitgliedstaaten unnötig verschärfen.

Wie kann das gelingen?

Der Sparanreiz könnte weiterhin sichergestellt werden, indem jedem Verbraucher nur ein gewisses Kontingent zu einem niedrigen Preis angeboten wird. Wer darüber hinaus Gas beziehen möchte, müsste dann einen höheren Preis bezahlen. So wäre auch ein Anreiz gegeben, Gas einzusparen, weil das Einsparen tatsächlich dazu führt, dass man die hohen Preise für den Spitzenverbrauch vermeidet.

 

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Wie wird die Gaspreisbremse konkret ausgestaltet werden?

Die Bundesregierung hat am Donnerstag die Leitplanken gesetzt. Die Koalitionspartner haben sich jetzt im ersten Schritt darauf geeinigt, dass es grundsätzlich eine Gaspreisbremse geben wird. Außerdem haben sie das Volumen auf 200 Milliarden Euro beziffert. Es wurde eine Kommission unter dem gemeinsamen Vorsitz von Siegfried Russwurm, Michael Vassiliadis und mir einberufen, die in sehr kurzer Zeit Vorschläge zur Ausgestaltung der Gaspreisbremse erarbeiten wird. In der Kommission ist viel Expertise versammelt, das ist sehr zu begrüßen. So finden Sie dort unter anderem die Wissenschaft, Sozialverbände, Gewerkschaften und die Wirtschaft vertreten. Dadurch können die Vorschläge aus der Wissenschaft, die Anliegen und die Einsichten aus vielen betroffenen Bereichen der Gesellschaft berücksichtigt werden, ebenso wie die Expertise derjenigen, die an der Umsetzung beteiligt sein werden.

Was wird am Ende eine gute Gaspreisbremse auszeichnen?

Einige zentrale Anforderungen sind, dass sie schnell umsetzbar und unbürokratisch und möglichst fair sein muss. Aber vor allem Dingen darf der Anreiz zum Gassparen nicht konterkariert werden. Wenn wir am Ende eine Gasmangellage erleben, dann verlieren alle.

Welchen konkreten Vorschlag würden Sie für eine sinnvolle Ausgestaltung der Gaspreisbremse machen?

Es gibt viele Vorschläge aus der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft. Ich selbst habe auch einen in die Diskussion eingebracht. Nun ist es aber so, dass wir in der Kommissionsarbeit davon profitieren werden, wenn wir uns jetzt als Mitglieder nicht öffentlich festlegen, sondern im Dialog die bestehenden Vorschläge diskutieren und abwägen. Wir müssen die besten Elemente aus den unterschiedlichen Vorschlägen identifizieren und auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüfen.  

Sie möchten Ihren Vorschlag noch nicht in der Öffentlichkeit äußern?

Jetzt gilt es, in der Kommission gemeinsam einen guten Vorschlag zu erarbeiten, der von vielen getragen wird. Wir müssen in sehr kurzer Zeit liefern, die Erwartungen in der Öffentlichkeit sind hoch. Die in die Diskussion vorab eingebrachten Vorschläge sind alle öffentlich einsehbar und kommuniziert. Jetzt muss der Fokus darauf liegen, in der Kommission die Expertise zusammenzubringen und zu einem guten gemeinsamen Vorschlag zu kommen.

Wie wird die Gaspreisbremse finanziert werden?

Das hat die Regierung am letzten Donnerstag angekündigt. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds soll nochmals neu befüllt werden. 200 Milliarden Euro sind eine beachtliche Summe, die wir aber auch durchaus brauchen, da sich die Krise bis 2024 hinziehen wird.

Ist unter diesen Umständen die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2023 überhaupt vorstellbar?

Gerade weil man die Regelgrenzen der Schuldenbremse wieder einhalten will, wurde die Befüllung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds vorgeschlagen, die Schulden werden bei der Befüllung, also in diesem Jahr und nicht bei der Entnahme angerechnet. Der Finanzminister möchte die Schuldenbremse im Jahr 2023 weiterhin halten. Gleichzeitig gibt es aber die derzeitige Energiekrise. Das ist also ein gangbarer Weg, so hat man in der Koalition die unterschiedlichen politischen Positionen zusammengebracht.

Rechnen Sie damit, dass die Oppositionsparteien eine Gaspreisbremse unterstützen werden?

Ich nehme die Diskussion derzeit so wahr. Es gilt nun, die enorme Unsicherheit der Verbraucher und der Unternehmen zu reduzieren und Klarheit zu schaffen, wie die auf sie zurollenden enormen Belastungen gestemmt werden können. Daher ist es denkbar, dass bei einer gut ausgestalteten Gaspreisbremse diese quer durch die politischen Parteien und Fraktionen mitgetragen werden. Aber man muss auch sehen: Keine kurzfristig umsetzbare Lösung wird jedem Einzelfall gerecht werden können. Es wird immer Ansatzpunkte für Kritik geben, egal was die Kommission vorschlägt und was die Politik entscheidet. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn das in der Gesellschaft auch breit vermittelt wird. Denn eine weitere Verunsicherung und Spaltung der Gesellschaft hilft in dieser Situation niemandem.

Das Interview führte Clemens Traub.

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