Friedrich Merz rudert zurück - Kotau vor dem politischen Gegner

Konservative sind die ewigen Verlierer. Sie räumen Position für Position. Wie es soweit kommen konnte, demonstrierte in dieser Woche Friedrich Merz, als er sich von seiner „Sozialtourismus“-Formulierung distanzierte. Denn wer sich laufend für sein eigenes Denken und Reden entschuldigt, beugt sich der Logik des politischen Gegners. Debatten gewinnt man so nicht. Wähler auch nicht.

Friedrich Merz: Rückzugsgefecht statt Attacke / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Warum sind Konservative eigentlich die dauernden Loser? Weshalb ziehen sie in den Auseinandersetzungen mit der politischen Linken permanent den Kürzeren? Weshalb verlieren sie jede, aber auch jede gesellschaftspolitische Auseinandersetzung?

Wen diese Frage schon immer umtreibt, der bekam am vergangenen Dienstag die Antwort. Und zwar von Friedrich Merz. Der ehemaligen Hoffnung aller Konservativen in der CDU. Den nicht mehr ganz so neuen Vorsitzenden der Christdemokraten.

So wird Konservatismus überflüssig

Am Dienstag konnte man Zeuge eines verhängnisvollen Rituals werden, dem sich angeblich Konservative immer wieder mit anscheinend masochistischer Lust unterziehen und das endgültig dazu führt, das Attribut „konservativ“ zu diskreditieren und lächerlich zu machen. Denn ein Konservatismus, der sich den Normen und Denklogiken des politischen Gegners unterwirft, ist nicht nur piefig und unsexy, sondern vor allem komplett überflüssig. Was war passiert?

Am Montag hatte Friedrich Merz in einem Interview mit der BIld-Podcast Die richtigen Fragen Ukraine-Flüchtlingen „Sozialtourismus“ vorgeworfen. Wörtlich sagte er: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine, von denen sich mittlerweile eine größere Zahl dieses System zunutze machen.“

Mit „diesem System“ meinte der Unions-Chef die brillante Idee der derzeitigen Regierung, Flüchtlingen keine wie immer ausgestalteten Asylbewerberleistungen zu zahlen, sondern Harz-IV-Zahlungen in vollem Umfang zukommen zu lassen – und ab kommendem Jahr das kommode Bürgergeld.

Rückzug nach Shitstorm der Empörten

Es kam wie es kommen musste und wie es absehbar war. Über Friedrich Merz brach ein Shitstorm der Entrüsteten und Empörten herein. „Eklig und unanständig“ seien Merzens Aussagen, befand die Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal auf Twitter, Bundesinnenministerin Nancy Faeser empfand sie als „schäbig“. Der westfälische SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese als „erschreckend“. Und unter hinter den mehr oder weniger Prominenten, die routiniert ihr moralisches Entsetzen inszenierten, sammelte sich umgehend die digitale Horde jener, die ihre Ressentiments mit hysterischem Moralismus kaschieren.

 

Mehr aus der „Grauzone“:

 

Und wie reagierte Friedrich Merz? Er knickte ein. Was ein Bild des Jammers. Sein Hinweis sei „eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems“ gewesen. Wenn seine Wortwahl als verletzend empfunden worden sei, dann bitte er dafür in aller Form um Entschuldigung.

Nein, Friederich Merz, so geht politische Auseinandersetzung nun wirklich nicht. Fragen wir uns einfach: Wie hätte ein Franz-Josef Strauß, ein Helmut Kohl, ein Alfred Dregger ein Heiner Geißler auf einschlägige Vorwürfe reagiert? Mit lammfrommen Entschuldigungen? Mit Selbsterniedrigung? Mit Relativierungen? Natürlich nicht. Politiker von Format hätten vielmehr nachgelegt, zugespitzt, zum Gegenangriff geblasen. Aber Friedrich Merz hat erkennbar dieses Format nicht. Also gibt er klein bei und rudert zurück, also nach links. Achtung und Respekt gewinnt man so nicht. Wähler auch nicht. Und der politischen Denkfamilie der man angehört, fügt man maximalen Schaden zu.

Mut? Eigensinn? Friedrich Merz fehlt beides.

Doch mit diesem Reflex zum umgehenden Kotau steht Merz nicht allein. Publizisten, Journalisten, Künstler, Politiker und Wissenschaftler – die Liste derjenigen, die in den letzten Jahren nach einer angeblich falschen Bemerkung, einer zugespitzten Formulierung oder einer provozierenden Einschätzung jenseits des gängigen Meinungskorridors verzagt den Rückmarsch antraten und sich wieder brav in die Reihen der Gleichmeinenden einreihten, ist leider lang.

Wenn einmal zukünftige Historiker den Niedergang des Konservatismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts untersuchen werden, werden sie auf Gestalten wie Friedrich Merz verweisen, die sich der Deutungshoheit des politischen Gegners beugten, seiner Sprache und seinen Regeln des Sagbaren. Denn wer sich dem Denken seines politischen Gegners fügt, der macht es sich langfristig zu eigen. Wer die politischen Normen des weltanschaulichen Kontrahenten zu Maßstab des eigenen Handels macht, wird sie übernehmen.

Konservatismus lebt vom Mut. Und vom Eigensinn. Friedrich Merz fehlt beides. So gesehen, ist er der tatsächlich der ideale Vorsitzende für die CDU.

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