Designierte Antidiskriminierungsbeauftrage Ferda Ataman - Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Kartoffeln werfen

Ferda Ataman soll Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung werden. Ihre Kritiker sind in Rage, Ataman sei eine linke Ideologin und Spalterin, sagen sie. Aber was genau ist eigentlich links an einer Aktivistin, die Diversität in Chefetagen fordert und voller Verachtung über Arbeitslose spottet?

Ferda Ataman: Angewidert von Menschen, die „auf der Couch sitzen und morgens vielleicht schon Bier trinken“ / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Die Journalistin und Politologin Ferda Ataman soll Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes werden. Ataman stehe für großes Engagement für eine inklusive, demokratische Gesellschaft und werde allen Menschen eine starke Stimme verleihen, die in Deutschland Diskriminierung erfahren, verkündete Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Mittwoch in Berlin.

Das sehen viele anders. In der Union und in der FDP stößt die Idee auf Kritik. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Bundestagsgruppe, Stefan Müller, moniert: „Wieder wird eine linke Aktivistin in ein vom Steuerzahler alimentiertes Regierungsamt gehoben.” Ahmad Mansour, der von Ataman wegen seines Anti-Islamismus schon als rechter Steigbügelhalter abqualifiziert wurde, twitterte: „Eher Bundesbeauftragte für Spaltung und Identitätspolitik.”

Der Streit kreist sich vor allem um Atamans Polemiken in ihrem Kampf gegen Rassismus, der bei ihr oft dort zu beginnen scheint, wo jemand nicht ihrer Meinung ist. Während der Hochphase der Corona-Pandemie, um nur ein Beispiel zu nennen, behauptete sie quasi, Krankenhäuser würden so weit gehen, Deutsche ohne Migrationshintergrund zu bevorzugen, wenn die Beatmungsgeräte knapp werden, und nicht-weiße Menschen dafür sterben zu lassen.

Verharmlosung von Clan-Kriminalität

Ein großer Aufreger ist auch die Kartoffel. Anfang 2020 begründete Ataman in einer Spiegel Online-Kolumne, warum sie Deutsche ohne Migrationshintergrund Kartoffeln nennt. Sozusagen als Revanche im Stile der schwarzen Pädagogik, damit die „Almans“ mal zu spüren bekommen, wie das ist, wenn man in Gruppenkategorien gesteckt wird.

Die „Almans“ unter den Ataman-Supportern betonen, wie wenig es sie stört, Kartoffel genannt zu werden – schließlich gehören sie zu den guten, ihre Privilegien checkenden Deutschen. Ataman-Gegner sind empört und fühlen sich diskriminiert, zumal sie sich ohnehin als Opfer einer sie gängelnden woken Übermacht begreifen.

Dass vor allem Konservative empört sind, sehen Linksliberale wiederum als Bestätigung dafür, dass die Idee, Ataman zu besetzen, ganz großartig sein muss (Beispiele finden Sie hier, hier und hier). Ein bequemer Weg. Wer Kritik per se als Ergebnis einer „falschen Ideologie“ abtut, muss sich nicht mit der kritischen Prüfung der Worte und Aktionen Atamans herumschlagen – zum Beispiel mit ihrer notorischen Verharmlosung von Clan-Kriminalität und türkischem Rechtsextremismus oder mit den Gruppen, die sie aus ihrem Inklusionsprogramm exkludiert (zu Letzterem später mehr).

Repräsentationspolitik ist nicht gleich links

Allerdings ist es eine Verzerrung, dass der Streit um Ataman, auch bisher in diesem Text, als ein Rechts-Links-Duell dargestellt wird. Denn was ist eigentlich links an Ataman? Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM), deren Vorsitzende sie ist, widmen sich laut Selbstbeschreibung der „Förderung kultureller Vielfalt durch ethnische Pluralität in den Medien“. Die NGO, von der Bundesregierung mit üppigen Förderungen ausgestattet, hat unter anderem ein Glossar mit „Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland“ Deutschland erstellt. Ataman, die einst Redenschreiberin für Armin Laschet war, und die NDM schlagen in ihrem „Diversity-Guide“ „eine 30-Prozent-Quote für Journalist:innen aus Einwandererfamilien, für Schwarze Journalist:innen und Medienschaffende of Color“ vor. Auch dass Vorstände nicht divers genug sind, gehört zu ihren Kritikpunkten.

Nun sind Sprach- und Repräsentationspolitik ja nicht per se linke Politik. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich Konzerne wie Amazon mit „Diversity“-Checklisten aktivistischen pressure groups und ihrer enthemmten Identitätspolitik anbiedern, während sie gleichzeitig ihre vornehmlich schwarzen Lagerarbeiter, die eine Gewerkschaft gründen wollten, aggressiv bekämpfen.

Die „Goldene Kartoffel“ für eine Debatte

Ein Beispiel von vergangenem Jahr zeigt, dass Amazon mit Sicherheit auch kein Problem mit Atamans Diversity-Verständnis hätte. 2021 verliehen die Neuen Deutschen Medienmacher*innen ihren Anti-Preis, die Goldene Kartoffel, „an die Debatte über ‚Identitätspolitik‘ in bürgerlichen Medien“, die angeblich „rechtsradikale Thesen normalisiert und salonfähig gemacht“ hätten. Diese „bürgerlichen Medien“ hätten „schwere Geschütze“ aufgefahren, um „die verlorene Ehre des alten, weißen Mannes“ zu retten.

Die NGO holt sämtliche Tricks der Diskurserstickung aus der Mottenkiste – die Verabsolutierung der eigenen Position durchs Heraufbeschwören einer Gut-Böse-Dichotomie, die pauschalisierende Entlegitimierung des Kritikers durch ideologische Unterstellungen (rechte Denkweisen salonfähig machen, den alten, weißen Mann retten wollen et cetera). Auch beliebt: Identitätspolitik in Anführungszeichen setzen, um zu signalisieren, dass die Kritik sich gegen ein Hirngespinst richte.

In diesen Debatten geht es immer wieder auch um die Frage, ob Identitätspolitik die Gesellschaft spalte und Klassenwidersprüche verschleiere. Ataman hält das offenbar für absurd oder für eine rechte Verschwörungstheorie. Dabei lieferte sie kurz vor der Verleihung der Goldenen Kartoffel selbst einen Beleg für die Validität der Kritik.

Atamans Klassismus

Bevor die Bild mit ihrem Fernsehformat an den Start ging, antwortete Ataman im Gespräch mit Radio Eins auf die Frage, an wen sich Bild TV richtet: „Die natürliche Zielgruppe für so ein Julian-Reichelt-TV (…) ist vermutlich 60+, anfällig fürs TV-Shoppen und für SMS-Gewinnspiele. Bild fischt nach dem digital vernachlässigten, rechten Rand. Ich stelle mir so Leute vor, die auf der Couch sitzen, morgens vielleicht schon Bier trinken und über Merkel und Migranten herziehen.“

Wer erkennt sie hier nicht wieder, die Chiffren für den stereotypen Proll aus der Unterschicht, die knapp zwei Jahrzehnte „Hartz-IV-TV“ in der Öffentlichkeit etabliert haben? Faul, herzlos, den ganzen Tag vor der Glotze hängend, morgens schon Bier trinkend – und natürlich ist seine prekäre Lage selbstverschuldet durch seinen schlechten Charakter.

„Die faulen Arbeitslosen“

Der traurige Witz ist: Ataman bedient damit klassistische Abwertungen, an deren Verbreitung die Bild einen maßgeblichen Anteil hat. Erinnert sich noch jemand an Arno Dübel, laut Bild „Deutschlands frechster Arbeitsloser“? Das Boulevardblatt berichtete gerne über den Langzeitarbeitslosen, der nicht daran denkt, arbeiten zu gehen und stattdessen sein Arbeitslosengeld für Bier und Zigaretten ausgibt – und verfestigte unter dem Scheinargument, einen echten Fall zu zeigen, das Klischee vom faulen Arbeitslosen, der es sich auf Kosten des Steuerzahlers „in der sozialen Hängematte“ bequem macht. Böse Zungen behaupten, die Berichterstattung sei Teil einer kulturellen Flanke zur Rechtfertigung des Sozialabbaus der Agenda-Reform gewesen.

Zu Recht wird kritisiert, wenn die soziale Frage zu einer Opposition „Deutsche vs. Migranten“ stilisiert wird und ökonomische Fragen pauschal gegen anerkennungspolitische Anliegen von und für Minderheiten ausgespielt werden. Warum soll es andersherum besser sein, wenn Anerkennungspolitik gegen die Teile unterer Schichten ausgespielt wird, die in Atamans starrem Identitätsbaukasten als „privilegiert“ gelten, allein deshalb, weil sie weiß und deutsch sind?

Ataman, eine privilegierte Kartoffel

Dass Ataman ohne Kritik mit solchen Ausfällen durchkommt und dann noch von zahlreichen Linksliberalen als linker Part in einem Links-Rechts-Dualismus gefeiert wird, dürfte der Nachwirkung einer ökonomischen Entkernung vor rund 30 Jahren zuzuschreiben sein, die der Philosoph Robert Pfaller folgendermaßen zusammenfasst: „Unter dem Schock von Reagan und Thatcher (…) haben auch die Sozialdemokraten nur noch neoliberale Austeritätspolitik betrieben und volkswirtschaftlich relevante Sektoren wie Gesundheit, Infrastruktur, Altersvorsorge oder Bildung zunehmend betriebswirtschaftlichen Normen unterworfen. Um sich aber wenigstens irgendwie von ihren Gegnern noch zu unterscheiden, haben sie die politischen Probleme kulturalisiert. Ab da war Politik vorwiegend nur noch Symbolpolitik“, so Pfaller.

In ihrer Kartoffelkolumne schrieb Ferda Ataman, bei ihrer Empörung über „Kartoffeldeutsche“ ginge es ihr in Wahrheit „um den inneren Widerstand, sich mit den eigenen Privilegien zu beschäftigen“. Schaut man sich die Förderliste und den gesellschaftlichen Status Atamans, die in Deutschland zur Welt kam, mitsamt ihrem privilegierten Zugang zur veröffentlichten Meinung an, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass auch sie eine Kartoffel ist.

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